Ane Brun
“After The Great Storm”
(CD, Balloon Ranger Recordings, 2020)
Die Liedermacherin Ane Brun wurde 1976 in Norwegen geboren, lebt seit 2000 aber im schwedischen Stockholm. In diesen beiden Ländern erfreut sie sich seit ihrem zweiten Album “A Temporary Dive” im Jahr 2005 großer Beliebtheit , wobei sie in Norwegen bereits dreimal Platz 1 der Album-Charts erobern konnte, in Schweden mit “It All Starts With One” 2011 immerhin einmal.
Außerhalb dieser Länder ist sie allerdings eher unbekannt geblieben, vermutlich vor allem, weil ihr die finanziellen Mittel größerer Label fehlen, veröffentlicht sie doch seit jeher auf ihrem eigenen, das sie von DetErMine Records (“Das sind meine Platten”) 2010 ins internationaler klingende Balloon Ranger Recordings umbenannte. Ane könnte immer wieder mal aufgefallen sein, als sie zum Beispiel 2005 als Support-Act für A-ha in Großbritannien spielte oder 2010 für einige Monate im Vorprogramm von Peter Gabriels New-Blood-Tour auftrat, oder als ihr wunderbarer, in Schwedisch gesungener Song “Springa” im Biopic “Astrid” 2018 eine Mischung aus Melancholie und Schönheit mit sich brachte. Zum außerskandinavischen Durchbruch hat ihr das aber nicht verholfen.
Da sie fast immer in Englisch singt, könnte ihr dieser allerdings irgendwann gelingen und wäre ihr auch zu gönnen. Nachdem 2017 ihr letztes Studioalbum “Leave Me Breathless” mit Coverversionen erschien und mit Platz 3 in Norwegen sowie Platz 5 in Schweden erneut Erfolge verbuchen konnte, sie dann ein Jahr später mit “Live At Berwaldhallen” ihr drittes Live-Album veröffentlichte, diesmal mit Orchester, gibt es 2020 wieder neue Songs von Brun.
Bereits fünf Jahre sind vergangen, seitdem Ane mit “When I’m Free” letztmals eigene Songs auf einem Longplayer bot – dafür beschert sie ihre Fans nun gleich doppelt. Am 30. Oktober veröffentlicht sie das hier vorgestellte “After The Great Storm”, und nur vier Wochen später folgt am 27. November mit “How Beauty Holds The Hand Of Sorrow” Album Nummer neun.
Für die lange Pause, die den beiden Plattenproduktionen vorausging, gibt es einen traurigen Grund. “Making an album always involved digging deep into myself,” erklärt Ane. “I deal with everything that happens in my life – relationships, changes, challenges – through writing music. But when my father passed away in 2016 I neither could, nor wanted to. It was a strange experience: I’m a very process-and-digest kind of person. I work on my issues, and I move forward. But, in the grief of losing a parent, it didn’t work. I couldn’t find the right tools in my toolbox, and there was no solution. My father was gone. It took me some time to understand that time itself was the key.”
Erst im Sommer 2019 fand die Künstlerin zurück zur Kreativität, als sie sich für drei Wochen in eine Hütte tief in den norwegischen Bergen zurückzog. “I had a list of topics, ideas and sketches written down and worked my way through them, one by one. And on the day when that last idea on the list became a finished song, I closed the door and knew I had nothing more I needed to say. It was an almost physical feeling. I felt simultaneously empty and fulfilled…”
Anfang 2020 waren die Aufnahmen fast abgeschlossen, allerdings diesmal etwas anders, wie Ane erklärt: “On ‘When I’m Free’ we ended up lingering in post-production doing a lot of cut and paste, adding layers and instrumentation. It was really hard work, and it was worth it. But I wanted to try something else this time, more like ‘It All Starts With One’ (2011), by trying to make the magic happen there and then, live in the studio. We wanted real instruments to somehow play the role of machines, and to create beats that felt programmed but were still played by musicians.”
Die eingespielten Lieder waren ursprünglich für ein Doppelalbum vorgesehen, aber als der Lockdown einsetzte, veranlasste sie die durch die Pandemie auferlegte Freizeit dazu, dieses Konzept zu überdenken. Während den Songs der letzte Schliff verabreicht wurde, fügte Ane Brun einen letzten Song hinzu, bevor sie die Aufnahmen in zwei Sammlungen aufteilte, die sich durch gegensätzliche Stimmungen unterschieden. Auf “After The Great Storm” wird Anes schöner, ausdrucksstarker Gesang mit elektronischen und analogen Texturen unterlegt, während “How Beauty Holds The Hand Of Sorrow” mehr akustischere Klänge bringen soll.
“I still very much love a gorgeous string arrangement, an acoustic guitar, or a dusty night piano,” erklärt Ane, “but I wanted to combine these with new sounds and ways of writing. Somehow the scope of music I’m creating today reflects my taste more accurately than ever before, since the music I listen to is very varied, from acoustic music to experimental instrumental music, electronica, jazz, pop music, classical music, and everything in between.”
Die neun Songs auf den 48 Minuten von “After The Great Storm” spiegeln dies wider und packen einen durchweg mit atmosphärischer Klasse, vom Start weg. Das eröffnende, leicht jazzig angehauchte “Honey” nimmt den Hörer mit auf eine chillige und hierbei gut groovige Reise, der ruhige Titelsong wirkt mit seinen Weltmusik- und TripHop-Anleihen sowie toll eingesetzten Streichern hypnotisch, und das emotionale “Don’t Run And Hide” weiß einen als erster in der norwegischen Hütte geschriebener Song ebenfalls zu überzeugen.
Mit dem beschwingten “Crumbs”, das Brun mit den schwedischen Singer/Songwriterinnen Jennie Abrahamson und Linnea Olsson aufgenommen hat, dem konträr traurigen und dann musikalisch auch eher auf Schwere setzenden “Feeling Like I Wanna Cry” über eine gescheiterte Beziehung und dem elektronisch pulsierenden “Take Hold Of Me” über den Umgang der Menschen mit der Umwelt wird die Qualität hoch gehalten, und das gilt auch für die letzten drei Stücke.
Mit dem getragenen, wunderschönen, siebenminütigen “Fingerprints” zollt sie ihrer Trauer Tribut, wenn sie darüber singt, “how the ones you lose somehow exist within you even when they’re gone” und ihrem Vater “I miss you” versichert. Zum Abschluss gibt es dann noch einmal zwei sehr unterschiedliche Stücke. “The Waiting” kommt im Midtempo mit sich aufwallenden Elektro-Zwirbeleien und eher druckvollem Rhythmus daher, während “We Need A Mother” das Album zwischen Traurigkeit und Optimismus ruhig und sehr interessant abschließt, wobei Brun klar macht: “I am offended by a lack of human decency.”
Das Lied hätte durch alles Mögliche ausgelöst werden können, wurde aber ursprünglich von einer Wirtschaftskonferenz inspiriert, an der sie teilnahm und auf der in der Eröffnungsrede die Bedeutung des Klimaschutzes diskutiert wurde, bevor die Nacht mit einem riesigen Feuerwerk endete, das Millionen kostete und über dem Wasser explodierte. “It reminded me of how we as individuals, businesses and societies so often practice double standards when it comes to our values and priorities, myself included; how hard it is to live a wholesome, sustainable life; and how we as grown-up humans can act like adolescents, and it seems like we need mature leaders to keep us on the right track. I remember feeling so frustrated and upset, and when I woke up the next day I wrote this song. After I had finished, I felt relieved and calm.”
Für Brun ist das oftmals unschöne Jahr 2020 genau der richtige Zeitpunkt für die Veröffentlichung ihrer neuen Musik. “Both albums deal with the bigger questions in life, but in 2020 these questions have become even bigger. Even though I wrote most of them before this whole pandemic started, I feel they all have a message that fits the situation we’re in: frustration over the state of the world, how to grieve for a loved one, existentialism, love, relationships, loneliness, inner struggles, sleepless nights… I guess they’re just about being human.”
Mit “After The Great Storm” legt Ane Brun ein ganz hervorragendes Album vor, welches extrem viel Appetit macht auf den bald schon erscheinenden Nachfolger und welches sich bis dahin sicher noch oftmals wunderbar durchhören lässt.
Ihr für 2020 geplanten Konzerte hat Ane Brun ins nächste Jahr versschoben (verschoben aus 2020) – Tickets gibt es z.B. hier bei Eventim (Partnerlink):
16.10.21 A-Wien – WUK
19.10.21 Offenbach – Capitol
20.10.21 München – Technikum
21.10.21 CH-Zürich – Rote Fabrik
22.10.21 CH-Bern – Bierhübeli
25.10.21 Köln – Carlswerk
26.10.21 Berlin – Metropol
02.11.21 Hamburg – Fabrik
anebrun.com
facebook.com/anebrunofficial
Bewertung: 9 von 10 Punkten
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