Nachdem Alphaville 2019 mit der Deluxe-Version ihres damals sehr erfolgreichen 1984er-Debütalbums “Forever Young” noch einmal in die Top Ten der deutschen Charts klettern und mit der Vinylausgabe sogar Platz eins der Vinylcharts erobern konnten, war es fast schon logisch, dass jetzt auch zum 35-jährigen Jubiläum von “Afternoons In Utopia” eine remasterte Variante erscheint.
Und nicht nur diese – die Gründungsmitglieder Marian Gold und Bernhard Lloyd (der inzwischen ja nicht mehr zum aktuellen Line-Up der Band gehört) haben auch gleich das 1989 erschienene, dritte Album “The Breathtaking Blue” neu mastern lassen, und beide Alben erscheinen mit einer zusätzlichen CD, die jede Menge Bonustracks aufbietet. Bei “The Breathtaking Blue” ist dies nicht mal alles, die damals zum Album entstandene Kurzfilmsammlung “Songlines” gibt es zusätzlich noch erstmals auf DVD.
Lies unsere Rezension zu den Re-Releases – und wie wir kurz nach der Veröffentlichung wissen, ging es mit diesen auch wieder in die Charts, denn “Afternoons In Utopia” ist auf Platz 19 eingestiegen, und “The Breathtaking Blue” hat mit Rang 23 seine damalige Platzierung übertroffen.
Über die Wiederveröffentlichungen und einiges mehr führten wir ein Interview mit Marian und Bernhard.
“Wir haben Innovation nie als ein Risiko begriffen. Unser Standpunkt war immer, dass man sich für jedes Album neu erfinden muss. Künstlerisch gesehen für mich eine Überlebensfrage.”
MUM: Nachdem ihr 2019 mit der Deluxe-Version eures Debütalbums “Forever Young” noch einmal in die Top Ten der deutschen Charts klettern und mit der Vinylausgabe sogar Platz eins der Vinylcharts erobern konntet, ist es fast schon logisch, dass jetzt auch zum 35-jährigen Jubiläum von “Afternoons In Utopia” eine remasterte Variante erscheint. Warum schickt ihr “The Breathtaking Blue” gleich mit – hattet ihr keine Lust, erst auf 2024 zu warten?
Bernhard Lloyd: Ja, exakt. So kann man das auch sehen. Es spielte tatsächlich ein praktischer Aspekt eine größere Rolle für diese Entscheidung. Bei dem Remastering für “Forever Young” ist uns klar geworden, dass das ein sehr aufwändiger Prozess ist, wenn man ein richtig gutes Ergebnis haben möchte. Das hat ja schon etwas mit Archäologie zu tun. Und wenn man dann schon mal in den Keller hinabgestiegen ist, kann man auch einen größeren Stapel Bänder heben und alles in einem Rutsch bearbeiten. Und so verschieden diese beiden Alben auch sind, gehören sie aus unserer Sicht doch auf eine bestimmte Art zusammen. Nicht nur weil beide in den 80ern entstanden sind…
Marian Gold: …sondern auch, weil sie, jedes für sich, eine Aussage zum gleichen Thema darstellen: Die Verwirklichung eines für uns völlig unwahrscheinlichen Traums, nämlich, Musiker zu sein, selber Musik zu schreiben und damit gehört und dafür geliebt zu werden. “Forever Young” ist die in die Tat umgesetzte Fantasie dieses Wunsches, “Afternoons” die Reflexion darüber, nachdem der Wunsch Wirklichkeit wurde.
MUM: “Afternoons In Utopia” war 1986 zwar mit Platz 13 in den Charts auch noch ein Erfolg, konnte aber nicht an den großen Erfolg des Erstlings anknüpfen und enthielt mit “Dance With Me” ja auch nur eine Single, die noch an den Top Ten kratzen konnte. Würde es sich da nicht sehr merkwürdig und irreal anfühlen, wenn ihr die damalige Platzierung jetzt vielleicht sogar übertreffen könntet?
Bernhard Lloyd: Ja, das würde sich in der Tat merkwürdig anfühlen. Irreal war aber eigentlich die gesamte Alphaville-Geschichte und deshalb wundert mich gar nichts und ich würde das sehr schön finden, wenn das passiert.
Marian Gold: Das würde wieder mal gut zu uns passen. Ich glaube nicht, daß es eine merkwürdigere Band auf Erden gibt als Alphaville.
MUM: “The Breathtaking Blue” war ja damals dann sehr auf Konzept angelegt, bot den von diversen Regisseuren erschaffenen Film “Songlines” zum Album, wurde mit Klaus Schulze als Co-Produzent erschaffen. Im Nachhinein las man aber auch über Spannungen während der Produktion, und ein kommerzieller Erfolg blieb auch aus. Wolltet ihr rückblickend vielleicht zu innovativ sein und seht ihr das im Nachhinein als Fehler?
Bernhard Lloyd: Rückblickend können wir mit einigem Stolz auf dieses Album blicken. Wir haben es trotz der erwähnten Spannungen geschafft, ein sehr schönes Album zu machen. Sehr verschiedenartige Songs mit sehr verschiedenen Stilen, das trotzdem wie aus einem Guss klingt. Das erste Album im eigenen Studio mit einem tollen Produzenten Klaus Schulze, der uns den Druck genommen hat und uns angespornt hat zu experimentieren und mit “Songlines” waren wir ganz sicher innovativ. Vor allem wollten wir aber für uns etwas Neues. Kommerzieller Erfolg war ja nie unsere Triebfeder, auch wenn das niemand geglaubt hat.
Marian Gold: Wir haben Innovation nie als ein Risiko begriffen. Unser Standpunkt war immer, dass man sich für jedes Album neu erfinden muss. Künstlerisch gesehen für mich eine Überlebensfrage.
MUM: Christoph und Wolfgang Lauenstein entfernten später eure Musik aus dem “Songlines”-Clip zu “Middle Of The Riddle”, nannten das Ganze “Balance” und gewannen damit 1990 einen Oscar® in der Kategorie “Best Animated Short Film”. Seid ihr hier noch irgendwie eingebunden gewesen, oder war es von vorne herein geplant, dass sie den Film auch ohne Musik nutzen können?
Bernhard: Eigentlich war es genau anders herum. Die Lauensteins hatten ihren Film “Balance” fast fertig als wir mit unserer Anfrage bei denen aufgetaucht sind. Die beiden haben dann ihren Film auf unseren Song zugeschnitten, ohne uns die exklusiven Rechte zu übertreten. Das war aber auch nicht unser Ansinnen. Wir fanden einfach, dass der Film perfekt zu “Middle Of The Riddle” passte. Es war also klar, dass sie diesen genialen Film auch ohne unsere Musik nutzen konnten.
Marian Gold: Es hat mich damals trotzdem gewurmt, dass da nicht unsere Musik mit drauf war. Dann wär uns ‘ne Einladung in Hollywood sicher gewesen. Das hätte mir schon gefallen.
MUM: Wieviel Spaß hat es euch gemacht, jetzt noch einmal an den Deluxe-Versionen der beiden Alben zu arbeiten, und wie sehr fühlt man sich dabei in alte Zeiten versetzt?
Bernhard Lloyd: Man fühlt sich vollkommen in diese Zeit versetzt. Wir haben ja aber auch die Cover und die Booklets komplett neu gestaltet. Alle Bilder und Geschichten von damals kommen hoch und man verarbeitet es neu und vielleicht auch abschließend. Man macht seinen Frieden mit den Missempfindungen, die man vielleicht damals auch hatte. Beide Albumproduktionen waren nicht ganz stressfrei. Und gerade deshalb freut man sich, dass uns so schöne Musik gelungen ist. Das hat jetzt wirklich Freude bereitet bei dem gesamten Remastering-Prozess.
Marian Gold: Ich kann das eigentlich nur unterstreichen, was Bernd da grad gesagt hat. Ich war anfänglich an der ganzen Sache nicht sonderlich interessiert, für mich war das abgehakt. Im Verlauf des Remastering wurde mir dann allerdings klar, dass noch ein paar offene Fragen im Raum standen, auf die es plötzlich überraschende und erhellende Antworten gab, und was für eine enorme Bedeutung “Afternoons” und “The Breathtaking Blue” für uns beide bis heute immer noch haben.
MUM: Wie muss man sich solch ein Remastering eigentlich vorstellen? Geht es hier nur um klangliche Optimierung durch moderne Technik, oder spielen da noch andere Aspekte eine Rolle, so dass man Stücke auch noch in Nuancen verändert?
Bernhard Lloyd: Im Idealfall ist es eine neue Digitalisierung von den alten analogen Masterbändern, die dann mit den modernen Methoden optimiert wird. Für uns war es dabei wichtig, dass der damalige Spirit nicht nur erhalten bleibt sondern verstärkt wird. Ein blindes Anpassen an aktuelle Hörgewohnheiten war für uns nicht das Ziel.
MUM: Musstet ihr lange nach dem geeigneten Material für die jeweils zweiten CDs mit Remixen, Demos, B-Seiten und Liveaufnahmen suchen, die für eure Fans als lohnende Extras natürlich ebenso wie der remasterte Sound viel Kaufanreiz bieten, oder konntet ihr hier in einen reichen Fundus und gut sortiertes Archiv greifen?
Bernhard Lloyd: Weder noch. Wir haben nicht lange gesucht, weil ziemlich klar war was als Bonusmaterial unbedingt drauf sein musste. Die B-Seiten und die 12″ Mixe. Und dazu noch eine kleine Auswahl an Demos und zusätzlichen Remixen. Von “reichem Fundus und gut sortiert” würde ich aber auch nicht sprechen. Es musste gesucht werden.
Marian Gold: Gottseidank gab es Bernds Kellerräume. Da wurden wir meistens fündig.
MUM: Welche sind heute eure Lieblingssongs auf den beiden Alben, und warum?
Bernhard Lloyd: Auf “Afternoons In Utopia” sind das für mich nach wie vor “Lassie Come Home”, “Carol Masters” und “Jerusalem”, die drücken am besten die melancholische Sehnsucht aus, die mich manchmal ergreift. Auf “The Breathtaking Blue” sind das aus den gleichen Gründen “Summer Rain” und “For A Million”.
Marian Gold: Hmm, was soll ich sagen? Da ist mir Bernd jetzt zuvor gekommen. Das sind auch alles meine Darlings. Plus “Mysteries Of Love” und der B-Seiten-Single-Titel “Like Thunder”.
MUM: Unter dem Motto “In times of Corona and isolation we have music for you” habt ihr seit Beginn der Pandemie schon fast 20 Videos und Songs veröffentlicht – eine tolle Initiative für eure Fans. Wie würdet ihr die Resonanz hierauf zusammenfassen?
Marian Gold: Sehr positiv. Wir pflegen seit Beginn ein enges kreatives Verhältnis zu unseren Fans. Das fand beispielsweise schon Anfang des neuen Milleniums seinen Ausdruck in unserem “CrazyShow Projekt”, wo wir während der Albumproduktion kontinuierlich den Arbeitsfortschritt in Form von Rough Mixes zum freien Download ins Internet gestellt haben und auch Ideen von Fans in die Produktion mit einflossen. Das war ein tolles Abenteuer und in dieser Form ist es immer noch ziemlich einzigartig.
MUM: Im Februar erschien eine moderne Interpretation von “Summer In Berlin”, die Christopher von Deylen alias Schiller mit euch erarbeitet hat. Wie kam es hierzu?
Bernhard Lloyd: Christopher hat uns angesprochen ob wir offen wären für eine neue Version von “Summer In Berlin”. Erstens ist das einer seiner prägenden Lieblingssongs und zweitens passte er sehr gut in das Konzept für sein Album. Wir waren sehr erfreut darüber und ich finde die Version extrem gut gelungen.
MUM: Im Juli sind zwei Konzerte in Israel geplant, und dort scheint das Leben ja zumindest in puncto Corona auch bereits zu einer Art Normalität zurück zu kehren. Wie sehr freut ihr euch auf die Gigs, und seid ihr skeptisch auf Grund der dort doch sehr angespannten Situation?
Marian Gold: Die Situation in Israel ist eigentlich immer ziemlich angespannt. Da wir dort viele Freunde haben, macht mir das große Sorgen. Ich hoffe für beide Seiten, das sich die Lage nicht weiter zuspitzt, dass wieder verhandelt statt geschossen wird und dass es möglich sein wird, im Juli da aufzutreten. Und wenn das der Fall sein sollte, würde es mich sehr, sehr freuen.
MUM: Bernhard, wirst du auch wieder live mit zur Band gehören oder hast du dich jetzt nur für die remasterten Deluxe-Alben wieder mit Marian zusammen getan?
Bernhard Lloyd: Ich bin nicht für die Bühne gemacht. Das wird sich wohl auch nicht mehr ändern. Mit Marian bin ich aber ständig in Kontakt. Uns verbindet eine tiefe Freundschaft und für unsere Babies, also unsere ersten fünf Alben, die jetzt richtig erwachsen geworden sind, übernehmen und tragen wir natürlich gemeinsam die Verantwortung.
MUM: Was sind eure nächsten Pläne in einer Zeit, in der es ungewiss ist, wann man hierzulande wieder live spielen kann und unter welchen Voraussetzungen? Hättet ihr normalerweise geplant, zum Re-Release Konzerte zu geben?
Marian Gold: Genau. Das werden wir irgendwann nachholen. Zwei Alben komplett in einer Nacht. Und Bernd krieg ich dann auch noch irgendwie dazu.
MUM: Welche Frage wolltet ihr schon immer mal gestellt bekommen, und wie wäre die Antwort?
Bernhard Lloyd: Genau diese! Und die Antwort ist 42…
Marian Gold: …and the horse is a rabbit of course!
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MUM: Mucke und mehr
Mehr Informationen zu Alphaville findet man auf www.alphaville.info und facebook.com/avmoonbase.
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