Baby Queen
“The Yearbook”
(CD, Polydor, 2021)
Nachdem Baby Queen im letzten Jahr schon durch diverse Singles große Aufmerksamkeit erregen, hochlobende Pressestimmen erreichen und viele Fans gewinnen konnte, veröffentlicht sie nun mit “The Yearbook” ein erstes Album.
Dieses bezeichnet die 23-jährige, in Südafrika geborene und in London lebende Bella Latham (so ihr richtiger Name) als Mixtape – vielleicht, weil die zehn Songs mit 32 Minuten in puncto Spieldauer nicht allzu üppig daher kommen, vielleicht aber auch, weil sie aus ihrem Leben erzählt, und aus dem so vieler junger Menschen, die vor diversen Herausforderungen und Problemen stehen, diese manchmal nicht einmal erkennen.
Ihre erste Veröffentlichung “Internet Religion” war im letzten Sommer eine Abrechnung mit dem Einfluss der sozialen Medien auf ihre Generation, in “Pretty Girl Lie” ging es um aufgehübschte Insta-Selfies, in “Want Me” war sie schwer, aber nicht glücklich verliebt und in “Buzzkill” verdeutlichte sie ihren generellen Frust mit Zeilen wie “But this life is shit and I just don’t want it.” Sechs Tracks fand man auf ihrer Debüt-EP “Medicine”, und Baby Queen erklärt: “Das war die Einleitung zu dem Essay, in dem ich alle meine Punkte und Überzeugungen dargelegt habe. Jetzt habe ich die Freiheit, Liebeslieder zu schreiben, ohne dass jemand denkt, ich sei fade und oberflächlich.”
Okay, unbeschwerte Liebeslieder sind es nicht geworden, das hätte einen aber auch gewundert. Ein erster Vorgeschmack auf die neuen, nun auf “The Yearbook” zu findenden Stücke war die Single “Raw Thoughts”, und auch das neue Jahr begann Baby Queen nicht sonderlich fröhlich. “Am Abend zuvor hatte ich so krass gefeiert wie noch nie, und der Kater am Tag danach war entsprechend hart – richtig schrecklich … und deshalb kommen bei ‘Raw Thoughts’ auch ganz viele Gefühle und Stimmungen zusammen: Euphorie trifft auf echte Traurigkeit. Auch deshalb konnte ich ins Jahr 2021 nur mit diesem Stück starten”, erklärt die Künstlerin, die den treibenden Song für den “bislang wichtigsten Song” ihrer Karriere hielt, denn “schließlich ist das gewissermaßen der Katalysator, aus dem der Sound von Baby Queen überhaupt erst hervorgehen sollte.”
Natürlich sind auch die nachfolgenden Singles auf “The Yearbook” zu finden und untermauern, welch abwechslungsreichen Alt-Pop Baby Queen anzubieten hat, mit alles andere als glattgebügelten Texten. “These Drugs” blickt im Midtempo eher melancholisch auf wenig sonnige Momente zurück – aus gutem Grund: “Geschrieben habe ich dieses Stück, als es mir richtig mies ging, weil ich mir aus irgendeinem Grund einredete, ein schlechter Mensch zu sein, der genau genommen auch nichts Gutes verdient hat. Es gab da so viele Wesenszüge an mir, die ich viel zu lange ausgeklammert hatte, und wenn man so einen Schmerz beziehungsweise eigene Fehler zu lange verdrängt, kann man damit so einen selbstzerstörerischen Teufelskreis auslösen – und genau das passierte bei mir auch. Ich finde es wichtig, ab und zu der Realität zu entfliehen, und jede*r von uns macht das auf seine/ihre Art, wobei manche Praktiken ganz klar weniger gesundheitsschädlich sind als andere.”
Mit dem schönen “Dover Beach”, zu dem es hier auch noch einen poetischen, kurzen Sprech-Part 2 gibt, widmet sie sich genau diesem Ort, an den sie reiste. “Ich war besessen von dem Bild der weißen Klippen”, erklärt sie, und so verbrachte sie drei Wochen im Westflügel eines alten viktorianischen Hauses am Strand, mit Blick aufs Meer, und schrieb den Song, an dem sie auch von Erinnerungen an eine Person, in die sie einst verliebt war, heimgesucht wurde. Um Liebe ging es auch im hymnischen “American Dream”, wobei diese eben auch zum Wahn führen kann. “Dieser Song vergleicht eine persönliche Verliebtheit mit dem illusorischen Versprechen des amerikanischen Traums; etwas, das wie eine Möglichkeit erscheinen könnte, die in deiner Reichweite liegt, aber am Ende oft ein irreführendes und leeres Streben ist.”
Auch mit dem groovy tanzbaren “You Shaped Hole” präsentierte sich Baby Queen wenig glücklich. Sie selbst bezeichnet den Track als “einen satirischen Trennungssong mit Augenzwinkern” und erkennt dabei, dass nichts die sehr spezifische Lücke ersetzen kann, die eine Person hinterlässt, von der man verletzt wurde: “There’s a hole inside of me and it’s shaped like you”.
Neben diesen bereits bekannten Songs findet man mit “Baby Kingdom” ein blubberndes Intro, in dem sie über Selbstzweifel spricht und mit “Narcissist” eine getragene, mit Sprech-Strophe versehene und im weiteren Verlauf rockiger und somit progressiver angerichtete Ansage an ihre eigene, frühere Selbstverliebtheit und Selbstbesessenheit ist. “Die Gesellschaft hat so viel Wert auf mein Aussehen gelegt und darauf, wie ich mich präsentiere”, erklärt Bella. “Es fühlte sich an wie eine notwendige Ergänzung für das Mixtape.”
Mit dem locker und gutgelaunt anmutenden “Fake Believe” widmet sich Baby Queen dann noch einer Scheinwelt, in der es sich wunderbar leben lässt und wo Make Believe und Fake nahe beieinander liegen, bevor sie mit dem ebenfalls nicht vor Selbstvertrauen strotzenden “I’m A Mess” einen finalen Track abliefert, der klanglich und mit seinen Sprech-Strophen fast schon an alte Anne-Clark-Songs erinnert, aber im Refrain gesungen dann doch weit poppiger wird.
“Ich habe das Gefühl, dass es mein Instinkt ist, etwas Verstörendes und Schmerzhaftes zu nehmen und es verdammt schön und glücklich klingen zu lassen”, erklärt Baby Queen, und das trifft es sehr gut. Tiefgehende und auch persönlichen Frust verarbeitende Themen werden ohne Umschweife angesprochen und das Ganze klingt dann doch oft angenehm, was sie mit ihrer gefühlten Fusion von Mainstream und Indie durchaus besonders macht im Haifischbecken der Popmusik.
instagram.com/queenofthebabies
Bewertung: 8 von 10 Punkten
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