Kapelle Petra
“Die vier Jahreszeiten”
(CD, Gute Laune Entertainment, 2021)
Nachdem Kapelle Petra, die sich selbst gerne kAPEllE PEtra schreiben, mit ihrem sechsten Album “Nackt” (lies unsere Rezension hier) vor zwei Jahren eine Top-50-Platzierung in den Charts erreichten, beschert das Indierock-Trio aus Hamm nun ganz auf den Spuren Vivaldis “Die vier Jahreszeiten”. So nämlich heißen sowohl ihr neues Album als auch ihre limitierte, nummerierte und handsignierte Sammelbox, in die man als Fan der Jungs die vier auch als Vinyl veröffentlichten EPs legen kann, die über das Jahr verteilt zyklenhaft erschienen sind und jeweils vier Lieder bieten.
Der eher ungewöhnliche Veröffentlichungsansatz war der Band dabei wichtig: “Wir wollten Musik unbedingt mal ganz anders veröffentlichen, als man es kennt. Der Quartalszyklus mit der ‘Die vier Jahreszeiten’-Idee kam da perfekt. Zudem bekommt jeder einzelne Songs nochmal eine andere Gewichtung bzw. größere Bedeutung.”
Dass Kapelle Petra Spaß bereiten und zugleich auch ernstere Themen aus dem Leben gut aufbereiten, das weiß man schon lange und das untermauerten sie auf etlichen Touren und Auftritten bei verschiedenen TV-Shows. Und nicht nur ihr auf YouTube mehr als vier Millionen mal geschauter Song “Geburtstag” aus dem Jahr 2007 zeigte, dass ihre Lieder voller guter Ideen stecken, mit guten Texten und ansprechenden Melodien zwischen Powerpop und Rock angesiedelt.
Das neue Album bietet auf seinen 53 Minuten nun also 16 Songs, und eröffnet wird die Scheibe mit den vier Tracks der EP “Der Frühling”. Als ersten Song schickten die Jungs Ende Januar 2021 “Ein bunter Strauß” voraus, der der im Midtempo melodisch fröhlich daher kommt, dem besungenen Gegenüber aber wenig Gutes wünscht – und dessen Videoclip inzwischen irgendwie wieder aus YouTube entfernt wurde, warum auch immer. “Wahrscheinlich hat jeder jemanden, dem man mindestens einen Pickel am Po wünscht. Unser bunter Strauß ist die floral-pazifistische Abrechnung mit eben diesen und weit kreativer als ein einfach hochgestreckter Stinkefinger”, erklärte die Kapelle damals über den Song. “Der Strauß ist universal – und für alle gedacht, die scheiße zu anderen sind. Bekannte, Mitarbeiter, Chefs, Ex-Partner, Hasskommentarschreiber, ehemalige Präsidenten oder auch Viren können hier potentielle Empfänger sein.”
Im Februar ließ das Trio das groovige “Meine Zeit” folgen. Auch hier zeigen es sich genervt, und zwar von der Unpünktlichkeit ihrer Mitmenschen – und hiermit kann man sich bestens identifizieren. Eröffnet wird das Album allerdings vom schmissigen, rockigen “Reißt die Fenster auf”, das noch am deutlichsten von den Frühlingsliedern saisonal geprägt daher kommt, zur Jahreszeit passt und damals auch Hoffnung verbreitete, dass die so sehr ersehnte Normalität mit guter Laune zurück kehren könnte – so kam es in diesem Jahr leider aber ja noch nicht.
Den Abschluss der ersten EP bildete das von Streichern bereicherte und auch gut abgroovende “Wirtschaftsflüchtling” über Vorurteile und Wutbürger, die statt wie einst Freude am Frühling zu finden mit starrem Blick auf jeden schauen, der irgendwie fremd aussieht – verblendet von der falschen Partei.
Die EP untermauerte bereits, dass die Kapelle auch nach 24 Jahren noch Spaß an der Musik und gute Ideen hat. Drei Monate später dann ließen Sänger/Gitarrist Guido “Opa” Scholz, Bassist Rainer “Der Tägliche Siepe” Siepmann und Drummer Markus “Ficken” Schmidt (die live noch um die Bühnenskulptur Gazelle zum Quartett erweitert werden) mit “Der Sommer” die nächsten vier Tracks folgen.
“Im 4-Jahreszeitenkontext wollten wir textlich auf keinen Fall bloß das Wetter- und die quartalstypischen Baumzyklen eines Jahres beschreiben”, betont der für die Texte verantwortlich zeichnende Opa. “Vor allem ging es um persönliche Momentaufnahmen, die tatsächlich jahreszeitlich bedingt sind. Wir haben die Songs dann auch bewusst in der jeweiligen Jahreszeit geschrieben und aufgenommen.”
Das Uptempo-Stück “Ameland” beschert jede Menge gute Laune und geht gut ins Ohr, zudem steckt einiges an Nostalgie im Song, so dass man sich gedanklich selbst dann an den Strand der westfriesischen Insel versetzt fühlt, wenn man noch nie dort war. “Alle aus unserer Generation kennen die Geschichten, wie man damals mit dem Bus zum Zeltplatz fuhr. Strand, Dünen, Sand, Lagerfeuer, Gitarrenmusik, Verliebtsein. Dieses Gefühl haben wir versucht in Liedform zu bringen”, erklärten Kapelle Petra.
Das folgende “Einsame Insel” kommt mit Reggae-Grooves in den Midtempo-Strophen und rockigerem, flotterem Refrain daher und stellt die Gedanken ans Meer in den Mittelpunkt, denn hier liegt der Zufluchtsort mitten auf der B1 – propagiert auf einem Zettel im Supermarkt. “Manche Menschen” machen Dinge, die anders sind, aber genau deshalb sind sie nicht unnormal – mit Bläserklängen und beschwingtem Latino-Groove lassen Kapelle Petra auch diesmal Gesellschaftskritik nicht aus und setzen ein musikalisches Zeichen für Akzeptanz.
Die als zweite Single der Sommer-EP auserkorene “Dachgeschosswohnung” beschert Einblick in eine sommerliche Wohnnormalität, in der es bei 40 Grad Hitze in der Bude kaum auszuhalten ist, die aber dank Palmen-Fototapete, Cocktail und Kicker Sonderheft doch noch irgendwie erträglich gemacht wird. Typisch für Kapelle Petra und witzig ist es, wie der rockig kratzige Song sich entsprechend der geschilderten Umstände dahin schleppt, Leid und Freudversuche tropfen aus jeder Note.
Die “Der Herbst”-Songs eröffnen mit “Melancholie”, welches selbige aber durchaus willkommen heißt, habe sie doch in den vorigen Monaten gefehlt. Die gute Laune ist im Herbst aber dann doch manchmal weg, wie “Lieblingsfarbe grau” verdeutlicht. “Es gibt Tage, da will ich Walter White sein, es gibt Tage, an denen sehe ich schwarz, dann bin ich Morgenmuffel bis zum späten Abend, dann bin ich schlimmer als Klaus Kinski und einfach nur ein Arsch.”
Viel positiver ergeht es dann doch anderen, “Der Eisenbahnromantiker” erfreut sich zum Beispiel gemütlich im Midtempo angerichtet an seiner zu Hause mit Liebe zum Detail aufgebauten und gut gepflegten Schmalspurbahn – ja, “Glück ist einfach!”
Oder auch nicht, denn im kraftvolleren “An unsrer Tanke brennt noch Licht” bietet selbige vielleicht noch die nötigsten Artikel, die Liebe ist allerdings aus dem Herzen gewichen. Hier ist der Herbst symbolisch in die Beziehung gekrochen, und das ist natürlich nicht gut.
Bleibt noch “Der Winter”, und dieses Kapitel eröffnet von weihnachtlichem Glöckchenklang eingeleitet mit zwei trocken erzählten, ziemlich fiesen Einzelschicksalen, wobei der schmissig abrockende Refrain dann schon erahnen lässt, dass sich aus diesen dann doch “Eine schöne Geschichte” ergibt – das macht Hoffnung!
Über ein aus dem Ruder gelaufenes Schrottwichteln und einen gern gesehenen Menschen, der längst weggezogen ist, mit dem aber das spät im Jahr vermutlich durch einen Weihnachtsbesuch bei der Familie sattfindende Wiedersehen stets zu einem freudigen Besäufnis wird, erzählt “Nitroglyzerin” – ein feiner Song über eine andauernde Freundschaft.
Auch “Perlen für die Säue” beschäftigt sich mit einer ausufernden Feier, denn hier lässt ein absoluter Gutmensch, der sich eigentlich immer umweltbewusst, sozial und akkurat verhält, zu Silvester einmal im Jahr die Sau raus, und nur an diesem Tag sind dann auch mal Böller statt Brot okay. Abschließend widmen sich Kapelle Petra in “Milliarden Kubikmeter Vakuum” noch getragen und gemütlich, aber auch mit knarzigen Riffs versehen einem Traditionalisten, der technisch und auch sonst nicht mit der Zeit geht, lieber Hörspielkassetten aus den 80ern hört und Moorhuhn spielt – was sicher ungewöhnlich ist, aber halt auch akzeptiert werden sollte.
Ein weiteres gutes Album der Band mit sympathischen Liedern aus dem Leben, mal rockiger, mal poppiger, immer aber interessant.
www.kapellepetra.de
facebook.com/KapellePetra
Bewertung: 8 von 10 Punkten
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