Home MusikInterviews And One zum Album “9.9.99, 9 Uhr” (08/98)

And One zum Album “9.9.99, 9 Uhr” (08/98)

Autor: Tobi

And One gehören seit Jahren zum Creme de la Creme der deutschen Synthiepopszene, wobei die Wurzeln ja eigentlich in harter EBM lagen, was hier und dort auch noch zum Vorschein kommt, aber nicht mehr so häufig. Mastermind Steve Naghavi hat zusammen mit Drummer/Mitsänger Joke Jay und Keyboarder Rick Schah nun ein neues Album auf den Markt gebracht, das auf den merkwürdigen Namen “9.9.99, 9 Uhr” hört. Die Scheibe macht insgesamt einen ruhigeren Eindruck, allerdings ist ihr die harte Maschinenstürmer-EP mit deutschen Texten beigelegt, die eigentlich als eigener Release geplant gewesen war. Mit Steve traf ich mich zum Interview, wobei mir die EP leider noch nicht vorlag.

And One CD 1998 Jetzt bestellen bei Amazon.de

“Wir haben mit Garbage in Schweden gespielt, und dann sind wir völlig besoffen zweieinhalb Stunden auf dem Konzertgelände rumgerannt, mit geschwitzten Hemden, gleich nach dem Gig, und das war keine gute Idee.”

MUM: Ich fange mal mit einer Frage an, die jeder stellen wird. Warum heißt Euer neues Album “9.9.99, 9 Uhr”?

S: Wir würden das Album ja nicht so nennen, wenn wir nicht wollten, daß man uns die Frage stellt. Das Album heißt so, weil wir am 9.9.99 um 9 Uhr unser nächstes Album herausbringen werden.

MUM: Ist das also ein Montag, ja?

S: Es ist ein Donnerstag, die Freiheit nehmen wir uns. Wir benennen also unser neues Album nach dem Erscheinungsdatum des nächsten. Das hat auch einen Grund. Wir wollen mehr Platten verkaufen, sind zielgerichtet auf Plattenverkäufe, wie jede Band. Wir wollen außerdem mit dem nächsten Album möglichst hoch in die Charts einsteigen, möglichst Top 20, das ist unser Ziel. Der jetzige Name ist unsere Promotionidee. Hör mal, jetzt schon kennt jeder And One- oder Elektrofan den Ort Nordhausen. Das nächste Mal um die selbe Zeit kennt jeder das Erscheinungsdatum des neuen Albums. Wir könnten uns sogar die Plakatierungen sparen, da jeder weiß, wann es herauskommt.

MUM: Und wenn ich jetzt nicht nach dem Namen gefragt hätte?

S: Wir wissen ja, daß jeder fragt.

MUM: Wie lebt es sich denn so in Nordhausen?

S: Ach, Nordhausen! Ich bin froh, daß ich dort lebe. Jedesmal, wenn ich nach Berlin kommen muß, dann wird mir wieder klar, daß Nordhausen eine sehr gute Entscheidung war. Die Atmosphäre ist dort nach wie vor angenehmer, es ist alles nach wie vor nicht so hektisch wie hier in Berlin, die Leute sind nach wie vor hilfsbereiter dort.

MUM: Ihr seid auch wieder richtig fit, Rick ist wieder gesund und Deiner Stimme geht es auch gut?

S: Ja, gerade vor 48 Stunden hatte ich noch 40 Grad Fieber, aber ansonsten…

MUM: Aha (rutscht weiter weg)…

S: Nee, das ist nichts Ansteckendes. Wir haben mit Garbage in Schweden gespielt, und dann sind wir völlig besoffen zweieinhalb Stunden auf dem Konzertgelände rumgerannt, mit geschwitzten Hemden, gleich nach dem Gig, und das war keine gute Idee.

MUM: Du hast in einem Interview mal gesagt, daß Du musikalisch gerne mal zurückblickst. Ist dies auf dem neuen Album auch zu finden?

S: Mehr als beim letzten Album.

MUM: In wiefern?

S: Wie soll man das erklären, wenn man von einem hörbaren Ergebnis redet? Ich bin ja kein Journalist, ich bin Musiker, ich muß mich wenig damit befassen, etwas, das ich höre, dann auch in Worte zu fassen, das können Journalisten besser.

MUM: Aber es ist doch weniger ein Rückblick auf alte Zeiten, ist doch softer, oder?

S: Da haben wir das Problem, daß Du die Maschinenstürmer noch nicht gehört hast.

MUM: Ja, was ist denn mit der nun eigentlich?

S: Die kommt auf’s Album mit rauf, also die wird beigelegt. Da sind Sachen drauf, die sind so hart, daß man sie von And One nicht im Schlaf vermuten würde.

MUM: Warum habt Ihr Album und Maschinenstürmer-EP so verkoppelt?

S: Die Maschinenstürmer war schon vor dem Album geplant, dann hat sich durch die Tour alles nach hinten verschoben, und dann hatte ich keine Lust, das kommt ja auch mal vor, daß ich keine Lust auf’s Musikmachen habe. Dann wollten wir das Album im Juli herausbringen, was aber der Maschinenstürmer im Weg gestanden hätte. Also haben wir gesagt: laß uns die Maschinenstürmer verschenken, wir müssen sie nicht verkaufen, wir packen sie einfach als Bonus-CD zum Album. Es gab natürlich einige Diskussionen mit der Plattenfirma, denn wer verschenkt schon gerne eine EP, aber wir konnten das im Endeffekt durchbringen. Da muß man Virgin loben, daß sie das so machen.

MUM: Könntest Du Dir denn vorstellen, noch einmal einen richtig harten Song als Single herauszubringen?

S: Sagen wir mal so, bevor der große Durchbruch erreicht ist, geht man die Gefahr ein, einen Hit zu haben, der keine Visitenkarte der letzten acht Jahre ist. Laß uns einen Platz 1-Hit haben mit “Nachtschicht in der Haßfabrik”, dem ersten Song auf der Maschinenstürmer – wir kriegen die falschen Fans. Die kaufen sich dann das Album und – oh Schreck – das ist ja gar nicht wie Rammstein oder wie Pantera, das ist ja Pop. Daher koppeln wir lieber so etwas wie “Get You Closer” aus, das ist ein Song, wo ich guten Gewissens weiß, daß diejenigen, die sich daraufhin das Album holen, nicht enttäuscht sind.

MUM: Und wenn der große Erfolg gar nicht kommt?

S: Wenn er jetzt nicht zufällig kommt, dann kommt er mit Sicherheit im September 99.

MUM: Kann man das so kalkulieren?

S: Man weiß es einfach.

MUM: Eventuell mit einer Coverversion?

S: Nein, wir werden keine Coverversion auskoppeln. Wenn wir den Durchbruch geschafft haben, dann vielleicht, denn dann weiß man: die Jungs können Songs schreiben. Aber wir wollen den Erfolg nicht mit einer Coverversion erreichen.

MUM: Es gibt auf dem Album ja einige Songs, die eher im Entertainer-Stil gehalten sind, siehst Du Dich als Enterteiner?

S: Wir sind Entertainer. Warst Du schon einmal in einem Konzert von uns?

MUM: Ja.

S: Wir sehen uns als Entertainer.

MUM: Würdest Du auch mal, wenn die Stimmung im Publikum mies ist, früher Schluß machen als geplant?

S: Wir spielen gar nicht erst dort, wo das eintreten könnte.

MUM: Aber das kann doch jedem überall mal passieren.

S: Gut, aber selbst wenn, der Anreiz, auch den letzten Zuschauer in den Bann zu ziehen, der wäre zu groß, wir würden da nicht früher Schluß machen.

MUM: Wie bist Du darauf gekommen, einen Elektro-Ska-Song wie “Evil Boys” zu machen?

S: Mein Studio zuhause ist so aufgebaut, daß ich auch mit elektronischer Musik spontan sein kann. meistens sind alle Geräte an, was für die Stromrechnung nicht so toll ist, aber ich brauche das, um schnell etwas ausprobieren zu können. Ska steckt glaube ich jedem aus meiner Generation im Blut. Auch wenn man mit Synthiepop aufgewachsen ist, Madness fanden eigentlich alle nicht schlecht, da ist kein Widerspruch drin. Das war geil, eine positive Begleiterscheinung. Solche Songs plant man nicht, die sind plötzlich da. man wippt mit, ich habe mich gefreut wie ein Kind, dann habe ich auch noch entsprechend gesungen, und das hat sehr viel Spaß gemacht.

MUM: Wird denn “Evil Boys” die zweite Single?

S: Es ist in jedem Fall ein Song, mit dem ich einverstanden wäre.

MUM: Ein Song heißt “Pimmelmann”. Würde er nicht besser zum Cover des letzten Albums passen?

S: Ja klar, tut er. Guck mal, ein Cover kommt erst, wenn die Platte fertig ist. Also haben wir den Song auch erst danach geschrieben.

MUM: Ist der Song ein Gag, eine Groupievorbereitung, oder was?

S: Also wenn jemand 10 Minuten über den Text des Songs nachdenkt, dann ist das schon mal viel mehr, als wir bei der Entstehung. Der Song ist genau so gemeint, wie er gesungen ist. Das ist unsere Version von Superman, er kann eben andere Sachen.

MUM: Im Platteninfo steht, daß der Text live noch extrem schärfer ist. Was bekommt man denn da zu hören?

S: Das will ich hier nicht verraten, das sieht man ja dann live.

MUM: Du wirst aber nicht von der Polizei von der Bühne gezerrt werden.

S: Das will ich gar nicht mal ausschließen.

MUM: Den Walterbach-Frust hast Du inzwischen überwunden?

S: Gut verkraftet, ja.

MUM: Ist der Walterbach in Los Angeles also wieder ausgetrocknet.

S: Ich glaube, seine Frau hat ihn verlassen.

MUM: Aber nicht deinetwegen.

S: Nein, aber so bekommt jeder seine Strafe, die er verdient.

MUM: Ist “Hypnotize” auch etwas Hommage an Kraftwerk?

S: Ups?

MUM: Die Sounds klingen meiner Meinung nach ein wenig danach.

S: (überlegt lange, dann:) Ja, ja, ja. Also da hatte ich überhaupt noch nicht dran gedacht, aber manchmal hat man ja etwas im Hinterkopf und arbeitet dann unterbewußt Sachen mit ein. Ich habe bewußt bei diesem Song nicht verleugnet, daß ich Depeche Mode-Fan bin. Und die sind ja von Kraftwerk inspiriert. So schließt sich der Kreis. Deutschland holt sich das zurück, was nach Deutschland gehört und nicht nach England.

MUM: Das Album wird zum Schluß ja immer ruhiger…

S: Wie das letzte auch.

MUM: Ja, ist das ein Konzept?

S: Ich lege die Songs so, wie ich am liebsten ein Album hören würde.

MUM: Was kann man denn von Euch live erwarten?

S: Gute Laune, den Willen, es zu tun, wir freuen uns wirklich drauf. Die Leute werden das bekommen, was sie erwarten.

MUM: Singst Du nach den Stimmproblemen jetzt tiefer?

S: Ich habe viel gelernt aus den Fehlern und werde sie nicht wiederholen. Ich kenne jetzt die Grenzen meiner Stimme.

MUM: Wird ein “Big In Japan” wieder eingestreut?

S: Ich denke, daß die Leute es hören wollen, und wir werden sie da nicht enttäuschen.

MUM: Wieviel Anteil haben denn Rick und Joke eigentlich inzwischen an der Musik?

S: Joke hat z.B. “Hypnotize” geschrieben. Beim letzten Album hatter “Sometimes” geschrieben, den besten Song von der “Nordhausen” meiner Meinung nach und einen der besten von And One überhaupt, und “Creatures”, der überhaupt nicht gut angekommen ist. Er war also für die Extreme zuständig, laut Umfrage des besten und schlechtesten Song. Rick hat auch viel Einfluß, wir gehören schon zu dritt zusammen.

MUM: Gibt es diesmal für Dich einen besten Song auf der Scheibe?

S: Ich denke, das ist “Pray”.

MUM: Vielen Dank für das Interview.

_____________________

MUM: Mucke und mehr
S: Steve Naghavi von And One

Related Articles