Red Rocket
Darsteller: Simon Rex, Bree Elrod, Brenda Deiss, Suzanna Son
Regie: Sean Baker
Dauer: 130 Minuten
FSK: freigegeben ab 16 Jahren
Website: www.upig.de/micro/red-rocket
Facebook: facebook.com/UniversalPicturesDE
Independentfilmer Sean Baker („Starlet“, „Tangerine“) hat sich inzwischen als scharfer Beobachter der Welt der sozial Abgehängten einen Namen gemacht und bekam für seinen Vorgänger „The Florida Project“ zuletzt endlich die verdiente Anerkennung. Mit „Red Rocket“ taucht er nun erneut tief in die Gesellschaftsschicht jenseits der Mitte ein, die sonst gemeinhin eher wenig Beachtung findet, und sorgt so dafür, dass diese zumindest nicht völlig vergessen wird.
Unseren Blick richtet er diesmal auf den abgehalfterten Pornodarsteller Mikey Saber (Simon Rex), der eines Tages völlig abgerockt in seiner texanischen Heimatstadt wieder bei seiner Frau Lexi (Bree Elrod) und deren Mutter Lil (Brenda Diess) auf der Matte steht. Da er sich schon ewig nicht mehr gemeldet hat, kann das für sie nur bedeuten, dass er sich gar nicht mehr anders zu helfen weiß, wofür definitiv auch sein desolater Zustand spricht. Doch obwohl sich Lexi seines selbstsüchtigen Wesens sehr wohl bewusst ist, kann sie seinem Betteln schließlich nicht widerstehen, ihn wieder bei sich in der runtergekommenen Hütte aufzunehmen. Schließlich kann Mikey auch ganz charmant sein und verspricht hoch und heilig, sich nicht nur finanziell am Haushalt zu beteiligen.
Das aber ist leichter gesagt als getan, wirkt sich sein Lebenslauf bei diversen Vorstellungsgesprächen doch alles andere als vorteilig aus und ist er letztendlich darauf angewiesen, wie früher wieder für die lokale Kiezgröße Leondria Gras zu verkaufen. Natürlich ahnen das Lexi und Lil irgendwie, solange sich aber Mikey an die Abmachungen hält, ist ihnen die Herkunft des Geldes herzlich egal. Und zumindest der auch nicht mehr ganz taufrischen Lexi gegenüber hat Mikey, körperlich einmal wiederhergestellt, als Ex-Pornostar noch gewisse andere Vorzüge.
Wieder einmal erweist sich Regisseur Baker als Meister des Schaffens einer Atmosphäre, die er uns in der abgewirtschafteten Industriestadt Texas City aufsaugen lässt, in der inzwischen jeder irgendwie gucken muss, wie er über die Runden kommt. Ganz anders als es uns seine knallbunten Bilder im ewig sonnigen Texas oberflächlich glauben machen, verrät sein genauer Blick hinter diese Fassade, dass jenseits der Shopping Malls und Donut-Shops eben viele ihre Zeit hauptsächlich dem täglichen Kampf um ihren Lebensunterhalt widmen müssen. Neben Mikey, dessen zwielichtiger Ruhm in Hollywood ihm jetzt auch nicht mehr hilft, ist das unter anderem auch die blutjunge Strawberry (Suzanna Son), die ihre Kasse als Donut-Verkäuferin aufbessert und Mikey dort sofort ins Auge fällt.
Gerade diese Szene ist bezeichnend für Mikeys Charakter, den Simon Rex – selbst übrigens mit einschlägiger Vergangenheit in der Pornobranche – wunderbar herausarbeitet. Hat sich Mikey gerade noch ungemein manipulativ das Wohlwollen von Lexi und Lil gesichert, signalisiert sein genauso lüsterner wie berechnender Blick auf die aufreizende Schülerin gleichzeitig, was er von Verlässlichkeit hält. Schon in diesem Augenblick wird sein Aufenthalt in Texas für ihn wieder zur Durchgangsstation, sind seine Zukunftspläne im Erotikbusiness mit Strawberry in der Hauptrolle blitzschnell abgespeichert.
Hat sich Sean Baker in „The Florida Project“ noch einfühlsam der Parallelwelt im Schatten amerikanischer Freizeitparks gewidmet, kümmert er sich hier um das Dilemma einer Gesellschaft, in der oft der Schein mehr gilt als das Sein. Das trifft im Großen auf die Doppelmoral der Sexindustrie zu, die Mikey jeglicher Chancen auf dem Arbeitsmarkt beraubt. Wird im Kleinen von dem aber auch gnadenlos gebraucht, um Menschen für das Erreichen seiner Ziele zu benutzen. Dass das in letzter Konsequenz auch eine Minderjährige sein kann, ist ein entlarvender Winkelzug von Bakers Drehbuch, der die Gewissenlosigkeit der Gesellschaft auf den Existenzkampf der Benachteiligten projiziert.
Indem er „Red Rocket“ aber immer wieder komödiantisches Potenzial entfalten lässt, verleiht Baker seinem ansonsten doch überwiegend ernüchternden Drama eine angenehme Leichtigkeit, mit der er seine stimmungsvolle Gesellschaftskritik äußerst amüsant verpackt. Dadurch gibt er erneut denjenigen eine Stimme, die nur selten gehört werden, ohne dabei jemals abschätzig zu werden und sorgt damit gleichzeitig für ein kurzweiliges Kinovergnügen.
Trailer:
Bewertung: 7 von 10 Punkten