Die Vierhändige
Darsteller: Frida-Lovisa Hamann, Friederike Becht, Christoph Letkowski, Maria Uchwat
Regie: Oliver Kienle
Dauer: 93 Minuten
FSK: freigegeben ab 16 Jahren
Website: www.dievierhaendige-film.de
Facebook: facebook.com/caminofilm
Passend zur Jahreszeit kommt mit “Die Vierhändige” ein Film in die Kinos, der dem Blick aus dem Fenster in Sachen Tristesse wirklich in nichts nachsteht. Mit dem zweiten Kinofilm nach seinem preisgekrönten Abschlussfilm (“Bis aufs Blut – Brüder auf Bewährung”, 2010) zieht dabei Regisseur Oliver Kienle alle Register der Psychologie und nimmt uns mit auf die Reise in die Psyche zweier schwer traumatisierter Schwestern.
Die mussten im Kindesalter mitansehen, wie ihre Eltern von Einbrechern brutal ermordet wurden. Doch während sich Sophie (Frida-Lovisa Hamann) mit Mitte Zwanzig so langsam gefangen hat und inzwischen ihrer Zukunft als Pianistin entgegenblickt, ist ihre ältere Schwester Jessica (Friederike Becht) immer noch besessen von ihrer empfundenen Bestimmung, Sophie beschützen zu müssen. Das ist nicht nur ihr einziger Lebensinhalt, der sie zusehends verwahrlosen lässt, sondern schränkt auch Sophies weitere Entwicklung massiv ein. Als dann auch noch die Täter von damals nach abgesessener Haftstrafe freikommen, geraten die Dinge vollends außer Kontrolle, und Jessica stirbt in der Folge eines gemeinsamen Autounfalls.
Was man hier von der ersten Minute an geboten bekommt, ist wirklich intensivstes Stimmungskino, zieht einen hinein in die depressive Phase der Schwestern und lässt einen deren traumatisches Erlebnis eins zu eins nachempfinden. Jedoch kontrastiert Kienle dabei Sophies in warmen Farbtönen gehaltene positive Einstellung auch immer wieder knallhart mit dem Grau-Blau ihrer Schwester und sorgt schon damit für eine emotionale Abgrenzung der beiden verschiedenen Charaktere. Zusätzlich wirft er durch irritierende Schnitte mit der Zeit geschickt immer mehr Fragen nach Sophies Zurechnungsfähigkeit auf. Ist Jessicas jahrelange Paranoia jetzt bei ihrer Schwester soweit in Fleisch und Blut übergegangen, dass es bei der schon fast an Schizophrenie grenzt, oder wie sind ihre Texte auf Sophies Anrufbeantworter sonst zu verstehen? Dass sie jedenfalls auch nach ihrem Tod integraler Bestandteil von Sophies Leben bleibt, macht deren frische Beziehung zu ihrem Arzt (Christoph Letkowski) nicht unbedingt einfacher, und lässt einen gleichzeitig gezielt im Unklaren darüber, wie dieser Einfluss effektiv vonstattengeht.
Das sorgt für Ratlosigkeit, die aber durchaus reizvoll ist und das düstere Psychodrama immer mehr zum fesselnden Thriller mit enormer Tiefe werden lässt. Dessen Plot lässt eigentlich schon so jederzeit genug Spielraum für eigene Interpretationen. Da ist dann der letzte Twist die eine überflüssige Wendung zu viel, die zwar genügend Stoff zum Nachdenken generiert, aber letztendlich die insgesamt stringente Logik ein wenig torpediert. Beeindruckend ist der Film aber allemal und hebt sich so angenehm von der gängigen Massenware ab.