Aus dem Nichts
Darsteller: Diane Kruger, Denis Moschitto, Johannes Krisch, Samia Chancrin
Regie: Fatih Akin
Dauer: 105 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: www.warnerbros.de/kino/aus_dem_nichts.html
Facebook: facebook.com/WarnerBrosDE
Na das wird ja auch Zeit. In Bezug auf großartige deutsche Filme sind wir dieses Jahr im Kino nicht wirklich verwöhnt worden, und da kommt “Aus dem Nichts”, ja schon mit einigen Vorschusslorbeeren bedacht, als Retter gerade richtig – zumindest in Bezug auf ernsthaftes Kino, in puncto Komödie gibt es mit “Fack ju Göhte 3” ja zumindest einen kommerziellen Abräumer, der aber an Klasse auch einiges vermissen lässt.
Der Hamburger Filmemacher Fatih Akin hat uns in seiner Karriere ja schon mit einigen cineastischen Leckerbissen verwöhnt, wie 2004 mit “Gegen die Wand”, 2007 mit “Auf der anderen Seite” oder 2009 mit “Soul Kitchen”. Nachdem er sich 2016 mit dem ebenfalls durchaus guten “Tschick” einem Jugendroman von Wolfgang Herrndorf annahm, legt er mit “Aus dem Nichts” nun das nächste große Ding seiner Karriere vor, wobei er Regie, Drehbuch (mit Hark Bohm) und Produktion (mit Nurhan Sekerci und Herman Weigel) übernommen hat, der Streifen ist also sein Baby, und was für eines.
Die gezeigte Geschichte basiert auf der grausamen Mordserie der NSU, bei der die rechtsextreme Terrorgruppe zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen tötete, aus fremdenfeindlichen Motiven. Seit 2013 bereits läuft der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier als Helfer angeklagte Mitwisser, und Akin hat während der Arbeit an seinem Film mehrere Verhandlungen beobachtet, so dass er die Stimmung im Gericht gut kennt und diese einbringen konnte.
“Aus dem Nichts” ist keine Dokumentation und erwähnt auch die NSU nicht namentlich, er erzählt aber eine Geschichte, die extrem realistisch wirkt. Schnell identifiziert man sich mit Katja (Diane Kruger), die als Deutsche mit dem Kurden Nuri Sekerci (Numan Acar) verheiratet ist. Ihr Leben gerät völlig aus den Fugen, als ihr Mann und der gemeinsame, erst 5 Jahre alte Sohn bei einem Sprengstoffanschlag auf Nuris Übersetzungs- und Steuerbüro in Hamburg getötet werden. Hiermit lehnt sich Akin an die Tatsache an, dass die NSU in Köln 2001 und 2004 zwei ähnliche Anschläge verübte, einen davon mit einer Nagelbombe, wobei die Morde allerdings anderweitig mit Schusswaffen durchgeführt wurden.
Hier ist der Mord nun also durch die Bombe verübt worden, und das offensichtlich gezielt, hat Katja doch sogar beim Verlassen des Geschäfts kurz zuvor noch eine Frau gesehen, die ein Fahrrad vor dem Laden abstellte. Als wenn der Schock über die großen personellen Verluste ihrer Liebsten nicht ausreicht, folgt als seelische Backpfeife die Ermittlung des leitenden Kommissars (Henning Peker), der Nuris kurdischen Hintergrund oder aber Drogenhandel als Motiv vermutet, nur weil dieser früher mal hierin verstrickt war. Selbst Katjas Zurechnungsfähigkeit in Bezug auf ihre Aussage wird angezweifelt, denn ein rein fremdenfeindlicher Anschlag scheint den Polizisten unwahrscheinlich.
Es dauert eine Weile, dann aber fasst die Polizei zwei Verdächtige, die Geschwister André und Edda Möller, bekannt als Neo-Nazis mit internationalen Beziehungen. Katja ist sich sicher, dass es Edda (Hanna Hilsdorf in einer Rolle, die offensichtlich an Beate Zschäpe angelehnt ist) war, die das Fahrrad vor dem Geschäft abstellte, und nach Auffinden weiterer Indizien erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Mordes. Leider aber gestaltet sich die Gerichtsverhandlung nicht nur nervlich und emotional schwierig für Katja, die von ihrem guten Freund Danilo (Denis Moschitto) als Anwalt gut vertreten und beraten wird. Der windige Verteidiger der Möllers (Johannes Krisch) weckt obstruse Zweifel an der Schuld seiner ganz offensichtlich schuldigen Mandanten, und Katja fängt an zu zweifeln, ob es Gerechtigkeit geben wird – wenigstens diese, auch wenn sie den Schmerz nur wenig lindern würde. “Aus dem Nichts” kommt in drei Akten daher, wobei es im ersten um die Zeit vor dem Anschlag geht und um die folgende Gefühlsachterbahn zwischen Trauer, Wut und Entgeisterung, im zweiten um die Verhandlung und die Ereignisse drum herum, im dritten dann um die Zeit danach.
Was für ein Film! Fatih Akin gelingt es von der ersten Sekunde an, einen zu packen, und das auf eine emotional unglaubliche Art und Weise. Diane Kruger ist in ihrem ersten deutschen Film besser als je zuvor, für ihre herausragende, umwerfend intensive Darstellung der Katja wurde sie völlig zu Recht als beste Darstellerin bei den 70. Filmfestspielen von Cannes ausgezeichnet. Natürlich ist es auch die Nähe zur Realität, die einen hier voll in die Handlung hinein saugt, wobei der Fokus auf das Leid einer Hinterbliebenen eine Sichtweise vermittelt, die zumeist viel zu wenig betrachtet wird. Hier stimmt einfach alles, von der Handlung über die Darsteller und tolle Bilder bis zur Musik von Josh Homme (Queens of the Stone Age). Der beste deutsche Film des Jahres! Da kann man nur die Daumen drücken für die Oscar®-Verleihung 2018, Deutschland schickt “Aus dem Nichts” durchaus aussichtsreich ins Rennen für die Trophäe des besten nicht englischsprachigen Films.