Home Film “Menschliche Dinge” – das kontroverse Vergewaltigungsdrama regt zu Diskussionen an

“Menschliche Dinge” – das kontroverse Vergewaltigungsdrama regt zu Diskussionen an

Autor: Mick

"Menschliche Dinge" Filmplakat (© MFA+ FilmDistribution)

Menschliche Dinge

Darsteller: Ben Attal, Suzanne Jouannet, Charlotte Gainsbourg, Mathieu Kassowitz
Regie: Yvan Attal
Dauer: 138 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: www.mfa-film.de/kino/id/menschliche-dinge
Facebook: facebook.com/mfa.filmdistribution


Dass Vergewaltigungsvorwürfe zwar schnell gemacht aber sehr häufig umso schwieriger zu beurteilen sind, haben in der Geschichte schon diverse Beispiele bewiesen. Komödienspezialist Yvan Attals („Die brillante Mademoiselle Neïla“) gar nicht komische Verfilmung des Romans „Menschliche Dinge“ der Französin Karine Tuil greift exakt diese Thematik auf und zeigt, wie wichtig gerade auch in Zeiten von #MeToo eine eindringliche Beschäftigung mit jedem speziellen Fall ist. So bedeutsam die öffentliche Anklage auch für die Frauenrechte und Strafverfolgung ist, so einschneidend sind auch immer die Auswirkungen jeder Beschuldigung auf die Biografien aller Beteiligter, wie uns Attal in seinem Drama hier anschaulich vor Augen führt.

Alexandre (Ben Attal, ja, der Sohn des Regisseurs) geht es einfach gut. Als privilegierter Sohn des populären TV-Journalisten Jean (Pierre Arditi) und der Frauenrechtlerin Claire (Charlotte Gainsbourg, richtig, die Frau des Regisseurs) führt er ein unbeschwertes Leben und studiert an einer Elite-Uni in den USA. Zu einer wichtigen Preisverleihung seines Vaters reist er eigens aus den Staaten an und nutzt die Gelegenheit selbstverständlich gleichzeitig zu einem Besuch bei seiner inzwischen in einer Beziehung mit Adam (Mathieu Kassowitz) lebenden Mutter. Dort lernt er Adams schüchterne 17-jährige Tochter Mila (Suzanne Jouannet) kennen, die er abends mit auf eine Party seiner alten Kumpels nimmt. Doch am nächsten Morgen gibt es ein böses Erwachen, als unvermittelt die Polizei vor seiner Tür steht und ihn der Vergewaltigung Milas beschuldigt.

Soviel zur Ausgangssituation von Attals Film, die er geschickt nebulös anlegt und bei der wirklich nichts eindeutig ist. Also gliedert er seinen Streifen anschließend in mehrere Teile, die er ganz einfach „Er“ und „Sie“ betitelt, und in denen er uns möglichst neutral die Geschehnisse aus der Perspektive jeder Seite präsentiert. Dabei scheint die Sache anfangs klar, bläut schon der Pflichtverteidiger Alexandre ein, dass die Staatsanwaltschaft nur in äußerst begründeten Fällen die Ermittlungen aufnimmt, und auch Milas medizinische Untersuchungen eine eindeutige Sprache sprechen. Doch schon bei den ersten Verhören ist es mit der Eindeutigkeit vorbei, ist sich Alexandre keiner Schuld bewusst und schildert die Vorgänge des Abends völlig überzeugend als absolut einvernehmlich.

"Menschliche Dinge" Szenenbild (© Jérôme Prébois © 2021 CURIOSA FILMS)

(© Jérôme Prébois © 2021 CURIOSA FILMS)

Dagegen lassen die Einlassungen der fast verschüchterten, jüdisch-orthodox erzogenen Mila ganz andere Schlüsse zu, fühlte sie sich doch von Alexandre nicht nur zum ungewohnten Alkoholkonsum sondern kurz darauf auch zu den sexuellen Handlungen in einem abgelegenen Schuppen genötigt. Aber auch hier stellt sich die Sache als komplizierter heraus als vermutet, offenbart Mila nach und nach nicht mehr ganz so unschuldige Züge, die so gar nicht mit ihrem religiösen Elternhaus kompatibel sind.

Attal baut seinen Film sorgfältig auf und legt dabei besonderes Augenmerk auf die Glaubwürdigkeit der Schilderungen beider Beteiligter, wobei sich beide Schauspieler mit ihrer enormen Authentizität hervortun, und die sich bei der Betrachtung der reinen Fakten erstaunlich decken. Die kontroverse Auseinandersetzung mit der Situation aber provoziert er erst durch die Wahrnehmungen der Ereignisse, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Dass die natürlich auch vom familiären Hintergrund und dem Aufwachsen in komplett konträren Verhältnissen beeinflusst wird, ist logisch und wird uns exemplarisch an Alexandres alles andere als treuem Vater mit allzu deutlich erhobenem moralischen Zeigefinger verdeutlicht.

Doch genau das macht das Drama so spannend, versucht man doch aus beiden Versionen die essentiellen Fakten herauszufiltern, und damit zu einer eigenen, sowohl juristischen als auch moralischen Beurteilung der Umstände zu gelangen. Leider steuert Attal seinen Streifen zum Schluss ein wenig zu sehr in Richtung eines typischen Gerichtsfilms und erzeugt damit so manche Länge während der Plädoyers. Trotzdem erzeugt sein komplexes Vergewaltigungsdrama, in dem er uns über das tatsächliche Geschehen im Schuppen – interessanterweise durch ein anderes Format hervorgehoben – gezielt im Unklaren lässt, ungeheures Sehvergnügen und sorgt vor allem für einen gewaltigen Diskussionsbedarf.

Trailer:

Bewertung: 8 von 10 Punkten

 

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