Die Aussprache
Darsteller: Rooney Mara, Claire Foy, Jessie Buckley, Judith Ivey
Regie: Sarah Polley
Dauer: 104 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: www.upig.de/micro/die-aussprache
Facebook: facebook.com/UniversalPicturesDE
Basierend auf dem gleichnamigen Roman “Die Aussprache” von Miriam Toews aus dem Jahr 2018, der wiederum an wahre Ereignisse in einer mennonitischen Kolonie in Bolivien angelehnt war, präsentiert Regisseurin Sarah Polley (“An ihrer Seite”, “Take This Waltz”) einen Film, bei dessen Handlung man auch hätte mutmaßen können, dass es sich um die Adaption eines Kammerspiels handeln würde. Abgesehen von wenigen Außenaufnahmen sehen wir nämlich dem Originaltitel entsprechend “Women Talking”, also diskutierende Frauen – und diese haben eine folgenschwere Entscheidung zu treffen.
Als Angehörige einer fernab jeder Großstadt lebenden, mennonitischen Religionsgemeinschaft bewirtschaften die Frauen nicht nur die umliegenden Felder, sie erleiden auch immer wieder die gleichen Schicksale, von den männlichen Mitgliedern der Gemeinde erniedrigt und im Schlaf vergewaltigt zu werden. Was bislang von allen geduldete Normalität zu sein schien und von den Männern als Dämonenwerk oder Einbildung abgetan wurde, hat sich zuletzt – als wäre es nicht extrem und abscheulich genug – in ein langsam aber sicher unerträgliches Maß gesteigert. Als einige Täter, die zum Gefügigmachen mal wieder eigentlich für Kühe gedachte Schlafmittel eingesetzt hatten, erwischt werden, in einer nahe gelegenen Stadt vor Gericht stehen und fast alle anderen zu ihrer Unterstützung zur Verhandlung gereist sind, trifft sich eine größere Gruppe von Frauen auf dem Heuboden einer Scheune, um zu besprechen, wie das Ganze beendet werden kann – denn nun wird noch fieseres Vorgehen der angeschlagenen Peiniger befürchtet.
Um zu verdeutlichen, dass nicht aus dem Affekt heraus gehandelt wird, und weil den Frauen nicht erlaubt war, Schreiben und Lesen zu lernen, ist als einziger Mann der vertrauensvolle, allen gegenüber freundliche Dorflehrer August (Ben Whishaw) als Protokollführer mit zugegen, als drei Optionen diskutiert werden. Nichts zu tun und das Ganze einfach hinzunehmen scheint auf Grund der letzten Übergriffe schnell die unpopulärste Möglichkeit zu sein, aber vielleicht will Gott es ja so? Eine erste Wahl lässt die anderen Möglichkeiten mit gleicher Stimmenzahl übrig: Die einen wollen ihre Heimat nicht verlassen und sich gewaltsam gegen die Übergriffe zur Wehr setzen, die anderen fliehen und somit die Kolonie und ihr bisheriges Leben hinter sich lassen.
In der tiefgehenden, teilweise auch hitzigen Debatte liefern sich die abgestumpft wirkende und sich hasserfüllt nach Rache sehnende Salome (Claire Foy), die sanftmütige, nach einer Vergewaltigung schwangere Ona (Rooney Mara), die Vergebung als höchstes Gut propagierende Mariche (Jessie Buckley), die hochgläubige Agata (Judith Ivey) und einige andere ausgiebige Diskussionen, um zu einer gemeinschaftlichen Entscheidung zu gelangen, während die gefühlskalte, das Nichts-Tun sinnvoll erachtende Scarface Janz (Frances McDormand) die Versammlung mit ihren Töchtern bald schon verlässt.
“Die Aussprache” ist ein berührendes Drama, das in gedeckten Farben mit toller Musik von Hildur Guðnadóttir daher kommt und bei dem man nicht erfährt, wo seine Handlung denn verortet ist, was den Eindruck noch verstärkt, dass eine Situation wie diese eigentlich überall im Hinterland denkbar sein könnte. Auch mit dem Zeitrahmen verhält es sich ähnlich und man vermutet lange, einem bereits mehrere Jahrzehnte zurückliegenden Dilemma beizuwohnen, bis man dann schon fast geschockt davon ist, dass ein vorbeifahrendes Auto für den Zensus 2010 wirbt, was das Beobachtete plötzlich in die gegenwärtliche Wahrnehmung katapultiert und umso erschreckender macht.
Sehr intensiv wissen die Diskussionen über das weitere Vorgehen, das zumindest bei einer Flucht auch die Kinder inkl. der Jungen bis zu einem festzulegenden Alter beträfe, zu bewegen, was auch am herausragenden Schauspiel von Rooney Mara, Claire Foy, Frances McDormand und den anderen liegt. Letztere hat den Film übrigens auch gemeinsam mit dem Oscar®-prämierten Duo Dede Gardner und Jeremy Kleiner (“12 Years a Slave”) produziert, während Brad Pitt als ausführender Produzent beteiligt war.
“Die Aussprache” weiß zu fesseln und streut zwischendurch immer wieder Vertiefungen von Charakteren ein. Hier erfährt man, dass die sich als Transmensch – was man hier aber nicht kennt – fühlende und daher am liebsten Melvin gerufene Nettie (gespielt vom non-binären August Winter) nach einer Vergewaltigung nicht mehr spricht, zumindest nicht zu Erwachsenen, oder dass August schon lange heimlich in Ona verliebt ist und nur zu gerne als Vater ihres Kindes fungieren würde, auch wenn es nicht seines wäre. Natürlich geht es um Selbstbestimmung von Frauen und eine feministische Prägung ist nicht zu übersehen, im Endeffekt geht es aber schlicht um das Verlangen nach Gerechtigkeit und um die Frage, wie sehr einen Glauben Dinge ertragen lässt, bis man sich löst, was ja auch nicht zwingend bedeuten muss, dass man seine Religion an sich aufgibt.
Trailer:
Bewertung: 8 von 10 Punkten