All the Beauty and the Bloodshed
Dokumentarfilm
Regie: Laura Poitras
Dauer: 117 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Facebook: facebook.com/PLAION.PICTURES
Die Dokumentarfilmexpertin Laura Poitras interessiert sich schon immer für kontroverse Persönlichkeiten von internationalem Format und porträtierte jüngst in ihren Werken „Citizenfour“ (2014) und „Risk“ (2016) schon eindrucksvoll die politischen Aktivisten Edward Snowden respektive Julian Assange. In ihrer neuen, beim Filmfestival von Venedig mit dem Goldenen Löwen für den besten Film ausgezeichneten Dokumentation „All the Beauty and the Bloodshed“ widmet sie sich nun der schillernden Fotografie-Ikone Nan Goldin, die in letzter Zeit weniger durch ihre Kunst als durch ihren Protest gegen den Pharmakonzern der amerikanischen Unternehmerfamilie Sackler Aufsehen erregte.
Wie schon in ihren Filmen zuvor nähert sich Poitras auch hier ihrer Protagonistin äußerst zurückhaltend durch deren eigene Perspektive und macht ihre Doku damit fast schon zu einer Autobiografie der extravaganten Künstlerin. So montiert sie fast ausschließlich Goldins selbst gedrehtes Archivmaterial und lässt die Fotografin auch gleich durch den Kommentar der Bilder aus dem Off zu Wort kommen. Das sorgt natürlich sofort für eine enorme, fast schon intime Nähe, schließt gleichzeitig jedoch eine objektive Beschäftigung mit der Porträtierten nahezu aus. Daran aber kann der Regisseurin auch gar nicht gelegen gewesen sein, bezieht sie doch schon mit ihrer Eingangssequenz, in der sie uns zusammen mit Goldin mitten in eine Protestaktion gegen die Sacklers katapultiert, eindeutig Stellung. Damit macht Poitras jedoch lediglich geschickt eine Klammer auf, lässt einen überwiegend chronologischen Abriss des wahrlich ereignisreichen Lebens von Nan Goldin folgen, bei dem wir jegliche Distanz verlieren und gerade durch den subjektiven, emotionalen Kommentar der Fotografin einen tiefen Blick in ihr Seelenleben werfen können.
Das spiegelt eigentlich seit ihrer Geburt in erzkonservative Verhältnisse in der biederen Vorstadt Bostons einen stetigen Kampf gegen Widrigkeiten und Einschränkungen, gegen die sie seit dem traumatischen Suizid ihrer Schwester in Jugendtagen, in den sie ihre Eltern trieben, rebelliert. Äußert sich der zunächst in der Flucht schon mit 14 aus dem spießigen Elternhaus, um endlich ein Gefühl von (auch sexueller) Freiheit spüren zu können, dann weitet sich spätestens mit ihrer Ankunft in der queeren Community New Yorks Ende der 70er ihr Blick, und ihr Engagement gilt seitdem der Konfrontation mit deren Diskriminierung.
Trotz ihres Studiums in Boston beginnt sie eigentlich erst jetzt, sich selbst und ihre Mitmenschen ungeschönt in den Alltagssituationen der Post-Punk-Szene voll Sex, Drogen und auch Gewalt zu fotografieren und wenig später in ihren regelmäßigen Diashows „The Ballad of Sexual Dependency“ zu einem politischen Statement gegen Ausgrenzung und Misshandlung zusammenzustellen. Absolut emotional zeichnet Poitras hier, immer wieder durch die einschneidenden persönlichen Erfahrungen ihrer Protagonistin angereichert, deren Wandel von der schüchternen Rebellin zur faszinierten Anhängerin der Szene mit einschlägiger Drogenerfahrung und schließlich zur politischen Aktivistin nach. Dabei sorgt sie gerade durch den Einbau dramatischer Ereignisse wie häuslicher Gewalt oder der in der LGBT-Szene viele Opfer fordernden AIDS-Pandemie, die sie mit Goldins Fotos eindrucksvoll unterlegt, für ungeheueres Mitgefühl mit der Künstlerin, selbst wenn man dem exzessiven Lebenswandel skeptisch gegenübersteht.
Vollständig bekommt sie uns jedoch erst mit Goldins Einsatz für die Aktivistengruppe P.A.I.N., die sich darum bemüht, die schwerreiche Familie Sackler, die in den USA mit der forcierten Verschreibung süchtig machender Opioide Milliarden verdient hat, zur Rechenschaft zu ziehen. Auch wenn Goldin früher selbstverschuldet in die Drogenabhängigkeit geriet, und sich daher jetzt das Mitleid mit ihr in Grenzen hält, macht dieser empörende Skandal einfach fassungslos. Und wie hätte Poitras die Klammer um ihre beeindruckende Dokumentation des bewegten Lebens der schillernden Fotografin besser schließen können als mit dem Erfolg von P.A.I.N., den Namen der als Kunstmäzene bekannten Sacklers aus diversen renommierten Museen entfernen zu lassen?
Trailer:
Bewertung: 7 von 10 Punkten