The Quiet Girl
Darsteller: Catherine Clinch, Carry Crowley, Andrew Bennett, Michael Patric
Regie: Colm Bairéad
Dauer: 95 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: www.the-quiet-girl.de
Facebook: facebook.com/thequietgirlderfilm
Kinostart: 16. November 2023
Es ist ganz die heile Welt, die uns der Ire Colm Bairéad in seinem Drama „The Quiet Girl“ präsentiert, wenn er die 9-jährige Cáit (sensationell: Catherine Clinch) anfangs durch die Natur streifen lässt. Das aber steht im krassen Gegensatz zu den Verhältnissen, die das introvertierte Mädchen in ihrem Elternhaus erwarten, wo vor allem Vernachlässigung an der Tagesordnung ist. Basierend auf einer Kurzgeschichte der Erfolgsautorin Claire Keegan nimmt uns der Regisseur mit ins ländliche Irland des Jahres 1981 und lässt uns sofort die beklemmende Atmosphäre von Cáits Zuhause spüren, der die durch ihre regelmäßigen Ausflüge in die umliegenden Wiesen zu entkommen versucht.
Anschließend wird die Ausreißerin aber jedes Mal wieder von ihrem Vater eingesammelt, dessen Interesse an der Familie ansonsten ziemlich überschaubar ist. Viel lieber kümmert der sich um das nächste Bier oder zwielichtige Geschäfte, als sich an der Bewirtschaftung des Hofs oder der Erziehung von Cáit und ihren drei Schwestern zu beteiligen, mit der die Mutter schon jetzt heillos überfordert ist. Und als gäbe es Anfang der 80er Jahre noch keine Verhütungsmittel, ist auch schon das nächste Kind unterwegs, das die Verwahrlosung der anderen kaum beheben wird. Da kann es wenig verwundern, dass Cáit auch in der Schule Probleme hat, schlecht lesen kann und von den Mitschülern ausgegrenzt wird. So ist die Idee fast eine Erlösung, Cáit zur Entlastung der Familie den Sommer bei der Cousine ihrer Mutter und deren Mann verbringen zu lassen, auch wenn sie nicht weiß, was sie dort erwartet.
Mit den simplen Worten „dann wird sie eben euch die Haare vom Kopf fressen“ gibt ihr Vater (Michael Patric) all seinen Gefühlen für Cáit Ausdruck, während er sie herzlos abliefert, und vergisst dann auch noch ihre Sachen im Kofferraum, als er sich schnellstmöglich wieder aus dem Staub macht. Ganz anders ist der Empfang durch Cousine Eibhlín (Carry Crowley), deren fürsorgliche Wärme Cáit gleich bei der Begrüßung zu spüren bekommt und kaum einzuordnen weiß, so lieblos ist sie doch den Umgang mit sich von zuhause gewohnt. Nur Eibhlíns Mann Seán (Andrew Bennett) scheint genauso verschlossen wie sie selbst und überlässt distanziert die Formalitäten des Unterbringens lieber seiner Frau. Nichts drückt da das neue Miteinander so gut aus, wie Eibhlíns Bemerkung, sie hätten hier keine Geheimnisse voreinander, wo sich Cáit sonst doch immer bei ihrem Vater vergewissern muss, was sie zuhause erzählen darf. Sich die Hintergründe dafür auszumalen, bedarf keiner großen Fantasie.
Behutsam und leise erzählt uns das Bairéad aus Cáits Perspektive, bleibt mit der Kamera immer nahe bei dem Mädchen und macht so nicht nur farblich den Kontrast deutlich, als sich ihr auf dem Bauernhof des Ehepaars die Tür zu einer anderen Welt öffnet. Von Eibhlín erfährt sie endlich eine Zuneigung, die sie bisher nie kennenlernen durfte, wird das Bürsten ihrer Haare schnell zu einem zärtlichen Ritual, das all die Herzlichkeit der kinderlosen Ersatzmutter ausdrückt. Damit gehört bald auch Cáits nächtliches Einnässen der Vergangenheit an, und so schroff Seáns Auftreten anfangs ausfällt, schließt auch er sie langsam ins Herz. Doch auch bei ihren neuen Ersatzeltern gibt es dunkle Flecken in der Vergangenheit, die Bairéad sensibel in sein Drama einarbeitet und damit seine geschaffene Idylle bewegend aufbricht.
Der Regisseur braucht gar keine langen Dialoge um Cáits Wandlung zu illustrieren, sondern lässt viel lieber seine sanft komponierten Bilder sprechen, die die Stimmung wundervoll transportieren. Es sind die kleinen Gesten und Blicke, die so viel mehr ausdrücken als Worte und uns eine unheimliche Freude dabei bereiten, Càit beim sich Öffnen in der neuen liebevollen Umgebung zuzusehen. Vor allem die absolute Entdeckung Catherine Clinch gewährt uns dabei mit unschuldigem Gesichtsausdruck einen tiefen Einblick in die Gefühlswelt des stillen Mädchens, das bisher so viel erdulden musste, und öffnet einem mit dem Aufblühen ihrer Cáit wirklich das Herz. Das macht Bairéads leisen, zurecht Oscar®-nominierten Film ungemein berührend und lässt uns nach der Schlussszene sogar mit Tränen in den Augen zurück.
Trailer:
Bewertung: 9 von 10 Punkten