Home Film “Der Junge und der Reiher” – bildgewaltiges Animeabenteuer von Großmeister Miyazaki

“Der Junge und der Reiher” – bildgewaltiges Animeabenteuer von Großmeister Miyazaki

Autor: Mick

"Der Junge und der Reiher" Filmplakat (© Wild Bunch Germany 2023)

Der Junge und der Reiher

Animation
Regie: Hayao Miyazaki
Dauer: 124 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: www.wildbunch-germany.de/movie/der-junge-und-der-reiher
Facebook: facebook.com/wildbunch.filmlounge.de
Kinostart: 4. Januar 2024


Hayao Miyazaki, der Großmeister des Animefilms, schuf in „Prinzessin Mononoke“ (1997) oder „Chihiros Reise ins Zauberland“ (2001) enorm beeindruckende Fantasiewelten, die ihn geradezu zur Legende des japanischen Kinos machten. Mit dem wohl letzten, und so autobiografisch wie selten zuvor geratenen, Animationswerk „Der Junge und der Reiher“ wird der inzwischen 82-Jährige jetzt zum Ende seines Schaffens so ungeheuer persönlich, dass wir uns ihm noch nie so nahe gefühlt haben.

Selbst Zeuge der Bombardements der japanischen Hauptstadt, erzählt er uns hier einfühlsam die Geschichte des elfjährigen Mahito, der im Zweiten Weltkrieg bei einem Bombenangriff auf Tokio seine geliebte Mutter verliert. Geraume Zeit später zieht der zu seinem Vater und dessen neuer Frau Natsuko, der jüngeren Schwester seiner Mutter, aufs Land, wo sie ein altes Herrenhaus bewohnen. Nicht nur, weil es dem traumatisierten Mahito schwerfällt seine Trauer zu überwinden, fühlt er sich in der neuen Umgebung alles andere als wohl. Da kommt ihm jede Ablenkung gerade recht, auch wenn sie in Form des ihn irgendwie verfolgenden Graureihers reichlich unheimlich ist. Doch besser unheimlich als sich einsam in seinem Zimmer seiner Traurigkeit zu ergeben, die seit dem Umzug komplett sein Leben bestimmt. Und so folgt er dem mysteriösen Vogel zu einem nahegelegenen, verfallenen Turm, in dem merkwürdigerweise seine Stiefmutter Natsuko verschwindet. Der Zugang gestaltet sich zwar etwas beschwerlich, mit der Motivation des geheimnisvollen Reihers jedoch offenbart sich ihm wie uns dort ungemein Überraschendes.

Und schon geht sie los, die bildgewaltige Reise in eine Parallelwelt, wie wir sie von Miyazaki angesichts seiner früheren Werke auch nicht anders erwartet haben. Wieder einmal entführt er uns in ein fantastisches Universum, wie es auch „Alice im Wunderland“ kaum ideenreicher vorgefunden hat. Von seinen Emotionen hin- und hergerissen begegnet Mahito hier einer Reihe skurriler Figuren, die ihm allesamt, allen voran der sich als menschliches Wesen entpuppende, äußerst ambivalente Graureiher, selbstbewusstes Handeln abverlangen. Damit taucht er immer tiefer ein in ein vieldeutiges Abenteuer, welches ihn nicht nur physisch sondern auch immer wieder charakterlich auf die Probe stellt.

"Der Junge und der Reiher" Szenenbild (© STUDIO GHIBLI)

(© STUDIO GHIBLI)

Ob nun die über allem schwebende Bedrohung durch die Herrschaft riesiger Sittiche, zaubernde Großmütter oder den nach einem geeigneten Nachfolger suchenden, mächtigen Magier, sie alle sind Bestandteile eines surrealen Szenarios, das an Einfallsreichtum kaum zu überbieten ist, uns bei der Deutung aber teilweise kaum zu lösende Aufgaben stellt. So hat sich Mahito nicht nur der herausfordernden Auseinandersetzung mit dem unheimlichen, knorrigen Reiher zu stellen, der ihm immerhin eine Begegnung mit seiner Mutter in Aussicht stellt, sondern sieht sich bald den bösen Sittichen gegenüber, gegen die er seine neuen Weggefährten verteidigen muss.

Aus seiner vom eigenen Schicksal geprägten Coming-of-Age-Geschichte Mahitos macht Miyazaki mit seinen typischen, liebevollen Animationen wieder ein visuelles Erlebnis, das uns hineinzieht in eine fabelhafte Märchenwelt mit jeder Menge Interpretationsspielraum. Zeitweilig aber übertreibt es der Altmeister mit seinen verschachtelten, überladenen Handlungssträngen, in denen er uns immer wieder mit dem Ineinanderfließen von Realität, Parallelwelt und Traum überfordert. Das ist dann immer noch schön anzuschauen, ein konsequentes Verfolgen des Plotverlaufs verliert sich dabei jedoch ein wenig in der Kreativität der fast schon poetischen Bildkompositionen.

Und doch gelingt dem japanischen Animekönig hier mit der Ideenvielfalt seines bildgewaltigen Trickfilms ein würdiger Abschluss seines prägenden Lebenswerks, in dem er mit den großen Themen Moral, Trauma, Zusammenhalt gegen Gewaltherrschaft und nicht zuletzt Wiedergeburt wieder enorm zum Nachdenken anregt.

Trailer:

Bewertung: 7 von 10 Punkten

 

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