Home Film “Kein Wort” – dramatisch aufbereitete Folgen elterlicher Vernachlässigung

“Kein Wort” – dramatisch aufbereitete Folgen elterlicher Vernachlässigung

Autor: Mick

"Kein Wort" Filmplakat (© Grandfilm)

Kein Wort

Darsteller: Maren Eggert, Jona Levin Nicolai, Maryam Zadee, Juliane Siebecke
Regie: Hanna Slak
Dauer: 87 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: grandfilm.de/kein-wort
Facebook: facebook.com/Grandfilmverleih
Kinostart: 4. Juli 2024


Heutzutage sind alle möglichen Familienkonstellationen gesellschaftlich weitestgehend akzeptiert, und gerade Alleinerziehende gelten nicht selten wegen ihres konsequent eingeschlagenen Wegs als besonders fortschrittlich, auch wenn es ihnen in der Regel gewaltig an Unterstützung fehlt. Dass es aber nicht immer so einfach ist, dabei Karriere und Erziehung unter einen Hut zu bringen, zeigt uns Regisseurin Hanna Slak in ihrer vierten Spielfilmarbeit „Kein Wort“ am Beispiel ihrer Protagonistin Nina überaus anschaulich.

Die vielbeschäftigte Dirigentin (Maren Eggert) nämlich steht am Scheideweg ihrer beruflichen Laufbahn und droht im Haifischbecken der klassischen Musik gerade die Orchesterleitung zu verlieren, wenn sie nicht in jeder Sekunde volles Engagement für den Job zeigt. Da kommen der Alleinerziehenden die Probleme ihres jugendlichen Sohns Lars (Jona Levin Nicolai) natürlich äußerst ungelegen, die besondere Zuwendung verlangen und damit für sie primär eine unerwünschte Ablenkung vom so wichtigen Karriereschritt darstellen.

Lars hatte in der Schule einen seltsamen Unfall beim Öffnen eines Fensters, den Regisseurin Slak auch für uns im Unklaren belässt. Ist er hinausgefallen oder vielleicht sogar bewusst gesprungen? Die Folgen sind zum Glück überschaubar, jedoch besteht deswegen ein nicht minder gewaltiger Gesprächsbedarf, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Gespräche aber sind ganz und gar nicht Ninas Stärke, findet die zwischen dem Checken ihrer Sprachnachrichten und der nächsten Orchesterprobe doch gerade mal Zeit für oberflächliche Fragen, deren Antworten sie neben den minütlich eintrudelnden Neuigkeiten von ihrer Agentin ohnehin kaum interessieren. Und das scheint schon geraume Zeit so zu sein, denn die Erziehung ihres Sohns bedeutet für sie allenfalls das Bereitstellen des Lebensnotwendigen und regelmäßige Chauffeurdienste. Längst hat Lars ihr gegenüber komplett dichtgemacht und eher eine Abwehrhaltung eingenommen, ob der Fenstersturz nun ein Hilferuf war oder nicht.

"Kein Wort" Szenenbild (© Grandfilm)

(© Grandfilm)

Wunderbar jedenfalls trifft Slak hier eingangs den traurigen Ton der emotionalen Vernachlässigung, scheint durch das schweigende Nebeneinander ihrer beiden Figuren in jeder Sequenz geradezu zu schreien, dass sich Nina endlich um ihren Sohn kümmern soll. Das aber tut die vor allem um sich selbst und ihre beruflichen Pläne, und auch von Lars‘ Vater (Marko Mandic) ist außer vorwurfsvollen Anrufen kaum etwas zu erwarten. Als Heilmittel soll ein spontaner Trip von Nina und Lars ins abgeschiedene Ferienhaus auf der französischen Atlantikinsel dienen, die für beide mit so schönen Urlaubserinnerungen verbunden ist.

Für einen Zugang zu Lars aber ist mehr nötig als nur ein gut gemeinter Tapetenwechsel, doch schon bei der Hinfahrt sind die alten Verhaltensmuster wieder präsent, sind eher Telefonkonferenzen zu Ninas bevorstehendem Konzert das Thema als Lars‘ besorgniserregendes Verhalten. Dabei scheint dahinter eine noch ernstere Angelegenheit zu stecken, als uns Slak mit ihrem trüben Setting sowieso schon vermittelt. Mit dezent eingestreuten Hinweisen auf ein Gewaltverbrechen an Lars‘ Schule nährt sie bald genauso in Nina wie in uns den Verdacht auf eine mögliche Beteiligung des weiterhin alles abblockenden Teenagers, dessen Verbindung zum Opfer zumindest eine Erklärung bieten würde.

So verbreitert der Frankreichaufenthalt die durch Ninas Schweigen aufgerissenen Gräben noch, die er eigentlich zuschütten sollte. Nichts symbolisiert dabei die kalte Unfähigkeit der Karrieristin, auch nur einen Schritt auf Lars zuzugehen, besser als die graue Winterstimmung der unwirtlichen Insel, deren schroffe Felslandschaft Claire Mathons Kamera eindrucksvoll einfängt. Die mit der Musik Mahlers, Ninas Konzertmusik, dramatisch unterlegten Szenen lassen da die Auseinandersetzungen schnell eskalieren und vermitteln uns einfach nur tiefe Hoffnungslosigkeit.

Das ist von den beiden Hauptdarsteller:innen beeindruckend authentisch gespielt und macht Hanna Slaks Drama trotz einiger Längen zu einer atmosphärischen Anklage elterlichen Desinteresses, das hier schmerzhafter wirkt als jeder Schlag.

Trailer:

Bewertung: 6 von 10 Punkten

 

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