Home Film “Schirkoa: In Lies We Trust” – der dystopische Animationsfilm entwickelt enormen Tiefgang

“Schirkoa: In Lies We Trust” – der dystopische Animationsfilm entwickelt enormen Tiefgang

Autor: Mick

"Schirkoa – In Lies We Trust" Filmplakat (© Rapid Eye Movies)

Schirkoa: In Lies We Trust

Animation
Regie: Ishan Shukla
Dauer: 103 Minuten
FSK: freigegeben ab 16 Jahren
Website: rapideyemovies.de/schirkoa-in-lies-we-trust
Facebook: facebook.com/rapideyemovies
Instagram: instagram.com/rapid.eye.movies
Kinostart: 29. August 2024


Der indische Filmemacher Ishan Shukla hat eine Vision. Das stellte er schon 2016 mit seinem Kurz-Trickfilm „Tütenköpfe“ unter Beweis, in dem er uns eine fiktive, dystopische Welt vorstellte, die so gar nicht einladend anmutete. Diesen baut er nun zu seinem ersten Langfilmprojekt „Schirkoa: In Lies We Trust“ aus, einer Animation, die uns schon vom Start weg mit ihrem ganz besonderen Look fesselt.

Dieser ist nur schwer in Worte zu fassen, wirkt mit seinen Grau- und Brauntönen reichlich düster und erinnert vielleicht am ehesten noch an eine aus vielen Computerspielen bekannte Optik. Und das kommt keinesfalls von ungefähr, bediente sich Shukla bei der Produktion seines ansprechenden Streifens doch außer des Motion-Capture-Verfahrens auch der in der Gamingszene weit verbreiteten Unreal-Engine-Technologie, die eine Ressourcen schonende, digitale Bildgeneration erlaubt, ohne hier zu sehr ins technische Detail gehen zu wollen. Doch der attraktive Look des Films gibt uns auch hier nur einen ersten, zugegebenermaßen Interesse weckenden, Eindruck, der aber recht bald von der Handlung sogar noch verstärkt wird.

Regisseur Shukla entführt uns nämlich in den totalitären Staat Shirkoa, in dem die Bürger verpflichtet sind, Papiertüten über dem Kopf zu tragen, um sich in größtmöglicher Anonymität dem Konformismus des Systems zu unterwerfen. So lernen wir den Ministerialbeamten 197 A kurz vor seiner avisierten Beförderung kennen, dessen größter Ausbruchsversuch aus der gesellschaftlich vorgegebenen Ordnung aus dem regelmäßigen Besuch einer zur Freundin gewordenen Prostituierten im verschrienen Rotlichtviertel besteht. Aber ist das überhaupt ein Ausbruchsversuch oder vielleicht doch vielmehr ein von der Oberschicht etabliertes Vergnügen, wie man es auch in unseren heutigen Gesellschaftssystemen nicht selten vorfindet?

"Schirkoa – In Lies We Trust" Szenenbild (© Rapid Eye Movies)

(© Rapid Eye Movies)

Fragen, die der Film gleich anfangs stellt, wo wir uns noch unter dem betäubenden Eindruck der omnipräsenten, per öffentlichem Großbildschirm verbreiteten Staatspropaganda befinden. Die hetzt ordentlich gegen die Minderheit der „Anomali“, die angeblich missgebildet die Bevölkerung Schirkoas mit Umsturzbestrebungen bedroht und deshalb vom Regime gnadenlos verfolgt wird. Eine Rhetorik, die einem im Zusammenhang mit einschlägigen Flüchtlings-Diskursen durchaus bekannt vorkommt und mit der sich auch im um Gleichschaltung bemühten Schirkoa nicht jeder anfreunden kann. So demonstrieren Regierungskritiker dann auch ohne Papiertüten gegen das herrschende System der Ausgrenzung und werden dabei regelmäßig brutal von der Straße geknüppelt.

Ein Zeitpunkt, zu dem der konforme 197 A zufällig auf eine Demonstrantin trifft, die sein Leben sehr bald komplett auf den Kopf stellen soll. Denn schon bei ihrem zweiten, überaus emotionalen Aufeinandertreffen werden sie ein Paar, und unserem Protagonisten eröffnen sich schlagartig erhellende Sichtweisen, von denen er in der Komfortzone seines Arrangements mit dem System noch vor kurzem nicht zu träumen gewagt hätte. Und das, obwohl sich auch seine Prostituierten-Freundin schon seit geraumer Zeit regimemüde mit Auswanderungsgedanken in das benachbarte, von allen Widerständlern gepriesene, liberale Paradies Konthaqa trägt.

Einen Versuch ist es dem plötzlich geläuterten 197 A allemal wert, und schon befinden wir uns mit ihm zusammen praktisch im Gegenentwurf zum autoritären Schirkoa, dem bunten, fast anarchischen Zufluchtsort, der von einer vielsagend „Lies“ genannten Frau geleitet wird. Doch anstatt Konthaqa als das gelobte Land zu inszenieren, fängt Regisseur und Drehbuchautor Shukla hier mit dem Fragestellen erst richtig an, indem er uns in nahezu surrealen Szenen zu Gesellschaftsvergleichen anhält und dabei keineswegs Interpretationsmuster vorgibt.

Es sind lediglich Denkanstöße, die er mit seinem kurzweiligen, ungemein tiefgründigen Streifen gibt. Auf Lösungsansätze verzichtet er bei seiner Auseinandersetzung mit verschiedensten politischen Systemen selbst auf die Gefahr hin irgendwo anzuecken angenehmerweise genauso wie auf Wertungen, die uns in unserer eigenen Deutung einschränken könnten. Das wirkt einerseits verstörend chaotisch, ist andererseits ein fordernder Ansatz für eine intensive Beschäftigung mit sozialen Missständen der heutigen turbulenten Zeiten und wird hintenraus sogar noch hoch philosophisch. Eines ist Shuklas wundervoll designter, starker Animationsfilm damit auf keinen Fall: Mainstream.

Trailer:

Bewertung: 8 von 10 Punkten

 

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