Interessante Menschen gibt es einige, viele sogar, aber wenn man (Wolfgang) Flatz trifft, dann hat man es mit einem charismatischen Ruhepol zu tun, der schon so viel erlebt hat, dass man schnell vergisst, warum man eigentlich miteinander spricht. Eigentlich geht es um “Love & Violence”, seine erste CD, die er zusammen mit Karl Bartos und den Leuten von Toy Productions in London aufgenommen hat.
Ein Newcomer als Künstler ist Flatz aber in keinster Weise, im Gegenteil. Mehr als 25 Jahre schon lebt Flatz das aus, was seine Eltern von ihm, dem gelernten Goldschmied, fernhalten wollten: sich und seine Lust, Kunst anders darzubieten. Kunstgeschichte hat er studiert, Malerei ebenfalls. Auch die Sicherheiten als Professor, den Pensionsanspruch, hat er hinter sich gelassen, um als Künstler zu arbeiten. Malerei, Photographie, Schauspielerei – nur einige der vielen Facetten von Flatz. Bekannt wurde er vor allem durch seine oftmals schockierenden Performances. Mit Dartpfeilen ließ er sich bewerfen, nackt, als Zielscheibe. Zwischen Stahlplatten ließ er sich wie ein Glockenklöppel hängend bis zur Bewusstlosigkeit hin und her schlagen, zu den Klängen eines Wiener Walzers. Nur einige seiner vielen Aktionen.
Nun also eine CD. Hierfür kam Flatz mit Karl Bartos zusammen, den man als Mitglied der Elektropioniere Kraftwerk kennt. Ein Jahr lang arbeiteten sie zusammen. Irgendwie klang ihm das Produkt allerdings zu sehr nach den alten Kraftwerk, und so ließ Flatz das Team von Toy Productions in London die Songs modernisieren. Auch wenn es die Musik nicht tut, die Texte stammen allesamt von Flatz. Über die Inhalte, über die Musik und vor allem über sein Leben sprachen wir mit Flatz.
“Ich war am deutschen Staatstheater zur Brecht-Nacht eingeladen, und da habe ich zu dem, was ich gemacht habe, in der Pause auf der Bühne ein totes Pferd abhäuten lassen, während sich parallel dazu eine nackte Sopranistin immer mehr angezogen hat, je mehr das Pferd gehäutet wurde.”
MUM: Wie ist dein Verhältnis zur Musik? Du bist ja eigentlich eher ein Performance-Künstler.
F: Musik hat immer mein Lebensgefühl bestimmt, am direktesten übersetzen lassen, war immer mein Fenster in eine andere Welt, eine große Welt. Ich habe auch immer mit Musik gearbeitet, allerdings in anderen Genres.
MUM: Was für Musiken hast du in den Performances benutzt?
F: Bei den Demontagen habe ich fast ausschließlich mit klassischer Musik gearbeitet, der ich Geräusche aus der Jetzt-Zeit entgegengestellt habe, also zum Beispiel einen Presslufthammer zu einer Arie oder zu einer Sopranistin. Das waren aber Dinge, die sehr artifizient waren. Ich habe in der Punkzeit auch Bands gehabt und bin bei Festivals wie dem Atonal aufgetreten, mit Psychic TV damals, und mit den Neubauten. Viele im Musikbereich kommen aus der Kunst, ob Malcolm McLaren oder Bryan Ferry, es gibt unzählige, die man aufzählen könnte. Es gab ein paar geile, interessante Musikprojekte, wo Künstler direkt in die Musik gegangen sind und nicht nur intellektuell verquasselte Scheiße produziert haben. Da fallen mir unter anderem Yello, KLF oder Lori Anderson ein.
MUM: Hast du selbst Instrumente gelernt früher?
F: Ich habe als Kind mal Ziehharmonika gespielt, bin aber beim Übungsprogramm so oft gedrückt oder geprügelt worden, dass ich es aufgegeben habe. Danach hat mir mein Vater jegliche Möglichkeit verweigert, weil er meinte, ich könnte zwar mit dem Instrument aufhören, aber nur unter der Bedingung, dass ich, solange ich in seinem Haus lebe, nie wieder einem Verein beitrete außer den Ministranten und dem Kirchenchor.
MUM: Du hast zuhause also eine Menge Druck verspürt früher.
F: Total, total.
MUM: Meinst du, dass dies ein Grund ist, dass du so ausgebrochen und ein eher ungewöhnlicher Mensch geworden bist?
F: Ich denke, das war meine einzige Chance, um nicht zu verkommen. Das Bedürfnis von meinen Eltern war, einen einzugliedern, dass man unauffällig ist. Ich hatte aber einen so hohen Druck, dass er entweder in der Kriminalität oder im Selbstmord hätte enden können, und so war meine einzige Chance, aus diesem Leben und der Enge auszubrechen, mich davon zu entfernen.
MUM: Was hätten denn deine Eltern am liebsten aus dir gemacht?
F: Ich habe ja mal einen Beruf gelernt, den ich bis zum Meister gemacht habe, bevor ich studiert habe, das war Goldschmied. Das wäre meinen Eltern am liebsten gewesen: ein kleiner Goldschmiedeladen, ein nettes Einfamilienhaus, zwei Kinder und ein Auto – so simpel ist das gewesen. Was sie wirklich geschafft haben, ist, einen rechtschaffenden Menschen aus mir zu machen, aber alles andere hat formal oder ästhetisch nicht ihren Vorstellungen entsprochen.
MUM: Wie sehen deine Eltern denn die Entwicklung, die du genommen hast?
F: Ich denke, dass es sie heute schon etwas mit Stolz erfüllt, das hat aber eher mit der gesellschaftlichen Etablierung zu tun gehabt, als ich halt Professuren hatte und an vielen Hochschulen unterrichtet habe. Plötzlich bist du dann eben evaluiert. Der Schock trat bei meinem Vater dann wieder ein, als ich die Professuren aufgegeben habe, weil das Sicherheiten waren. Die Pensionsberechtigungen, die du als Professor hast, da hat er gesagt: “Bist du verrückt? Zum ersten Mal in deinem Leben hast du Sicherheiten, kriegst viel Geld, kriegst deine Rente, und du schmeißt das hin.” Für jemanden, der aus dem Krieg kam und damit zu tun hatte, ist das aber auch wieder verständlich, denn für so jemanden war die Sehnsucht nach Sicherheit die größte. Das war aber mit meinem Leben nicht kompatibel.
MUM: Womit hast du dich und deine Performances finanziert? Gab es da Sponsoren?
F: Nein. Von den 25 Jahren, die heute als reiner Künstler hinter mir liegen, habe ich mindestens 16 Jahre von der Hand in den Mund gelebt. Ich habe nicht gewusst, was ich den nächsten Tag zu Fressen habe, wie ich meine Miete bezahle. Ich habe immer schon auf Autos gestanden und bin in der Studentenzeit auch schon Sportwagen gefahren. Ich bin dann nachts Benzin klauen gegangen, habe es abgezapft von anderen Autos, im Gegensatz zu meinen Kommilitonen, die von Papi ihre Autos vor die Tür gestellt bekommen haben. Ich habe damals auch immer gejobbt, nur um mir Autos leisten zu können.
MUM: Wie kommt man denn auf eine neue Art der Performance? Bei dir sind sie ja oft extrem und mit körperlichen Schmerzen verbunden. Sitzt man zuhause und sagt sich: “So, jetzt lass ich mich mal zwischen Stahlplatten wie ein Glockenklöppel hin und her schlagen”, oder wie kommt man darauf?
F: Meine ganze Arbeit speist sich ja aus dem Leben und dem, wie ich das Leben empfinde. Ich empfinde mich wie jeder andere, ich gehe in die selben Clubs, höre die selbe Musik, die den Körper anmacht in dem Sinne, dass sie den Körper in Bewegung versetzt. Ich habe nie die Philosophie gehabt, morgens in das Atelier zu gehen und mir einen abzubrüten, mir was zu überlegen, was ich machen könnte. Die Probleme, die meine Freunde beschäftigt haben, die mich beschäftigen, die inspirieren mich, das hört man ja auch in den Texten der CD deutlich.
MUM: Was probierst du denn mit den Texten auszudrücken?
F: Ein Lebensgefühl, und meine Eindrücke der Gesellschaft, in der man lebt. Es geht um Zukunft, um Cyber, aber auch um die ganz banalen Dinge wie Fressen, Ficken, Fernsehen.
MUM: Wie bist du darauf gekommen, mit Karl Bartos zu arbeiten?
F: Das hat eine kleine Vorgeschichte. 1987 habe ich von mehreren Musikern das Angebot bekommen, mit meiner Stimme etwas zu machen, als Gast auf Stücken zu singen. Ich habe mir überlegt, meine Energie dafür nicht zu verplempern, ich bin ja auch kein Jugendlicher mehr. Da ich schon immer etwas mit Musik zu tun hatte, habe ich mir überlegt, dann lieber alles in ein eigenes Projekt zu stecken. Mit einem der vier Angebote habe ich dann mehrere Jahre gearbeitet. Wir haben dann ein erstes Album gemacht, aufgrund dessen ich auch den Deal mit Sony bekommen habe, das war aber auch mehr im experimentellen Bereich. Dann ging es darum, einen guten Produzenten zu finden, und zur Auswahl stand eben auch Karl. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden, es ist dann auch eine Freundschaft zwischen uns entstanden. Wir haben dann ein Jahr lang zusammen gearbeitet, in Hamburg, wo er ja lebt. Er hat auch dem entsprochen, was mir in der Konfiguration meiner Musik wichtig war, das waren zwei Kriterien. Zum einen wollte ich mit einem Instrument von heute arbeiten, und das ist klar der Computer. Zum anderen darf die Musik alles, was ich bisher gemacht habe, nicht zerstören oder konterkarieren. Die Farbe der Musik musste schwarz sein.
MUM: Du hast also ein Album irgendwann bereits veröffentlicht.
F: Ja, das ist auf Vinyl 1998 heraus gekommen.
MUM: Sind auf der CD jetzt noch Stücke davon zu hören?
F: Ja, drei Stücke sind dabei, die aber nicht Karl bearbeitet hat, sondern Toy Productions aus London, und zwar “Ich”, “Star” und “Virus”.
MUM: Wie lief die Zusammenarbeit mit Karl, wieviel Einfluss hattest du auf die Musik?
F: Ich habe ihm die Texte geliefert und wir haben natürlich ausgemacht, in welche Richtung die Musik in etwa geht. Wir haben über jedes Stück gesprochen, wie wir den Inhalt umsetzen könnten. Karl hat dann Vorschläge erarbeitet, mir die geschickt oder ich bin zu ihm nach Hamburg geflogen. Nach etwa einem Jahr waren wir fertig, kamen aber zu dem Schluss, dass alles doch noch zu kraftwerklastig klingt und in den 70er- und 80er-Jahren behaftet ist. Ich habe mich dann entschlossen, die Stücke von Karl ins Jetzt übersetzen zu lassen, von den Toy Productions-Leuten in London, und die haben die Sachen auch geil gefunden.
MUM: Die Songs wurden dann progressiver gemacht?
F: Ich kann mich jetzt damit identifizieren. Beim Karl war es eher Kraftwerk-Grund, klang nach 70er- oder 80er-Jahre.
MUM: Da hatte Karl aber nichts dagegen, dass seine Songs noch einmal völlig überarbeitet werden?
F: Nein, er war dann auch mal mit in London und sich das angehört. Er meinte, so hätte er das wohl nicht hinbekommen, aber er hat ja auch mehr ein Heimwerkerstudio und arbeitet mit Instrumenten aus seiner Zeit, heute gibt es eben andere Sounds. An der Grundstruktur und der Musik hat sich aber eigentlich nicht viel verändert, in Melodien und so.
MUM: Ist geplant, die Zusammenarbeit fortzuführen? Oder wird erst einmal geschaut, wie das Album läuft? Ich könnte mir ja auch vorstellen, dass es dir nicht primär darum geht, viele CDs zu verkaufen, oder?
F: Na ja, Musik im Popbereich ist ein Massenprodukt im Gegensatz zum Bild, das singulär und als Unikat da ist und eine Masse erst erreicht, wenn es in Museen ausgestellt oder auf Printmedien transportiert wird. Musik auf CDs oder Schallplatten ist aber ein Massenprodukt, und man will natürlich so viele Menschen wie möglich erreichen, eine große Öffentlichkeit und damit ein großes Diskussionsforum, ob die Musik gut ist, ob sie berührt, ob sie den Körper zum Schwingen bringt. Da habe ich nichts dagegen.
MUM: Hast du es deswegen noch einmal nachproduzieren lassen, um die Käufer nicht primär in Kraftwerk-Fans zu haben?
F: Alles auf der Ebene von Kraftwerk zu lassen, wäre vielleicht auch etwas restaurativ gewesen, aber die Zeit ist vorbei. Zu seiner Zeit hat das gestimmt und Kraftwerk sind als Kult daraus hervorgegangen, musikgeschichtlich. Es wäre aber falsch, auf dieser Ebene zu bleiben, man muss nach vorne gehen, auch wenn man Zitate nach hinten nehmen kann.
MUM: War Kraftwerk eine der Bands, mit denen du aufgewachsen bist, oder haben sie dich nicht so interessiert?
F: Doch, ja. “Autobahn” ist 1972 gekommen und war das erste, was deutsch durchgegangen ist, und die Konzerte, die ja sehr künstlerisch waren, haben begeistert. Was mir der Karl erst später erzählt hat, war, dass sie bereits mit akustischen Instrumenten probiert haben, Computer zu simulieren, als es diese noch gar nicht gab, das fand ich auch sehr interessant. Natürlich ist dies eine Musik, die einen damals umgerissen hat. Mein Lieblingsstück ist “Das Model”, und da gibt es ja eine Coverversion von Snakefinger, die ich noch viel geiler finde als das Original.
MUM: Wenn du sagst, Kraftwerk sind Vergangenheit, dann würde dich also neues Output von ihnen auch nicht besonders interessieren, was ja schon lange angekündigt ist?
F: Wenn das Output etwas ist, was mit dem Heute zu tun hat, dann hat es die selbe Berechtigung wie eine zeitgemäße Band, man darf das ja nicht am Namen festmachen. Die Entwicklung, die jemand macht, ist entscheidend, denn Musik und Kunst sind ja nichts statisches, in jeder Gegenration gibt es neue Nuancen und neue Formen. Meine Generation war die Rockmusik, in der Generation nach mir ist es die technoide Musik, die ein ganz anderes Selbstverständnis hat als akustische Rockmusik.
MUM: Könntest du dir vorstellen, dass ein Nachfolger zu dieser CD vom Stil ähnlich ist, oder müsste es etwas komplett anderes sein?
F: Das möchte ich grundsätzlich offen lassen. Wer meine gesamte Arbeit kennt, der weiß, dass ich nie versucht habe, einen Stil zu entwickeln, den ich so penetriere, bis ihn jeder kennt oder er ein Markenzeichen ist. man darf nicht beim ersten Ton hören, dass es Flatz ist, was man hört. Die Suche nach Neuem wäre mir schon wichtig, und ich könnte mir auch vorstellen, mit einem ganz, ganz jungen Produzenten zu arbeiten.
MUM: Würdest du denn sagen, dass die CD einen durchgängigen Stil hat? Sie ist doch eigentlich sehr abwechslungsreich.
F: Das entspricht meiner Arbeit sonst auch. Ich mag es, Wert auf das Tracklisting zu legen.
MUM: Was war dir denn da wichtig, um eine Kurve zu zeichnen? Inhalt oder Musik?
F: Beides, beides. Ich habe eher die sanfteren Stücke vorne und am Schluss wird es mechanisch, technisch.
MUM: Ist es eine kommerzielle Entscheidung, “Wunderkind” als Single auszukoppeln?
F: Sagen wir mal, eine strategische Entscheidung. Ich glaub, wenn du mit “Virus” rauskommst, dann definierst du eine zu kleine Sparte, und wenn du dann noch als Quereinsteiger wie ich kommst, dann bist du schnell weg von der Bildfläche. Ich möchte ja weiter Musik machen, lasse mich da intensiv drauf ein.
MUM: Du hast aber keine Lust, auch die Musik zu den Texten zu schreiben, oder kannst du das nicht?
F: Das könnte ich vom Handwerklichen her nicht. Ich habe eine Intuition und ein Gefühl für etwas, aber ich könnte das nicht so umsetzen. Ich habe mich aber auch für das Instrument Computer entschieden, und da gibt es Tausende, die es besser können, und die das in Musik übersetzen können, was ich möchte.
MUM: Sind denn Auftritte oder Performances mit der Musik geplant?
F: Sind, ja. Im Herbst möchte ich eine Tour machen durch vielleicht zehn Städte Deutschlands. Ich bin ja kein Musiker im herkömmlichen Sinne und auch kein Sänger, daher werden die Konzerte eher im Performancebereich sein, und ich werde wahrscheinlich einen Schlagzeuger dazu nehmen, und einen Keyboarder, also sehr minimalistisch und reduziert.
MUM: Wird das ein relativ normales Konzertmuster sein oder bringst du irgendwelche extremen Sachen auf die Bühne?
F: Ich glaube nicht, dass es dem klassischen Konzertmuster entsprechen wird, wo der Sänger am Mikrofon steht und die anderen Musiker sich einen abhampeln. Das geht sicher eher ins Multimediale.
MUM: Gibt es denn schon konkrete Planungen?
F: Das ist in Arbeit. Ich habe, als die Vinyl damals herausgekommen ist, schon einmal ein Konzert gemacht, das Aufsehen erregt hat und wo auch verschiedene Dinge passiert sind zu dem, was ich gemacht habe. Das war ziemlich bekannt. Ich war am deutschen Staatstheater zur Brecht-Nacht eingeladen, und da habe ich zu dem, was ich gemacht habe, in der Pause auf der Bühne ein totes Pferd abhäuten lassen, während sich parallel dazu eine nackte Sopranistin immer mehr angezogen hat, je mehr das Pferd gehäutet wurde. Zum Schluss war sie angezogen. Das sollte an die Entwicklung von Kultur und Zivilisation erinnern, und optisch, akustisch und auch geruchsmäßig wurde dies dargestellt.
MUM: Du wirst aber diesmal keine toten Pferde mit auf die Bühne bringen?
F: Es liegt mir nicht, Dinge zu wiederholen.
MUM: Du willst dich bei den Performances selbst verwirklichen…
F: Nein, es geht mehr darum, Dinge in Formen zu bringen, die mich erreicht haben. Ich begreife mich als normalen Menschen. Der Kern meiner Arbeit war immer die Frage, wie das Individuum heute in der Gesellschaft überhaupt existieren kann, ohne unterzugehen. Jeder findet das für sich, wie er der Uniformität der Masse entgehen kann. Der eine tätowiert sich, der andere hat grüne Haare. Individualität ist wichtig, und die ist heute sowieso schon minimalisiert in Ausdrucksmitteln.
MUM: Wie ist das mit der Zusammenarbeit mit “Nil”?
F: Die gibt es schon lange. Als sie 1994 angefangen haben, da war ich der erste Künstler, der mit ihnen zusammen gearbeitet hat. Ich habe auch als Künstler schon früh begriffen, dass Wirtschaft und Medien deine Partner sein müssen, um Dinge zu multiplizieren, sonst werden sie totgeschwiegen. Kunstmagazine haben versucht, mich totzuschweigen, oder mich als Nestbeschmutzer gesehen, weil ich nicht mit Steinen oder Holz gearbeitet habe, nicht mit Pinsel und Leinwand, obwohl ich ein Diplom in Malerei hatte und das sechs Jahre studiert habe. Ich habe mit Körpern gearbeitet als Ausdrucksmittel, was auch nahe liegt, weil jeder von uns weiß, was Schmerzen sind, was Lust, was Freude. Das ist am besten übersetzbar.
MUM: Was hast du für ein Verhältnis zum Schmerz?
F: Ich würde sagen, ein gesundes, und das braucht man auch. Ein Künstler arbeitet ja an einer Idee von Freiheit, und diese findet im Kopf statt, man muss sie sich definieren, immer wieder neu. Auf der Suche nach Freiheit geht man immer weiter, auch an Grenzen, und einer der Punkte, die uns als Menschen am meisten bestimmen und besetzen, ist Angst. Auf dem Weg zur Freiheit musst du auch lernen, deine Ängste zu bewältigen, und eine dieser Ängste ist die vor Schmerzen. Das Thema war ja nicht Schmerz, sondern eher Aggression und Gewalt, die du in unserer Gesellschaft in vielen Formen findest, von sublimen bis zu direkten Dingen. Ich bin auch der Meinung, dass unser Wirtschaftssystem ein Aggressionssystem ist und auch die ganze christliche Kultur auf einer Aggressionsphilosophie basiert. “Gehet hin und verbreitet meine Lehre”, hieß es da, und wer anderer Meinung war, der konnte im Namen des Christentum abgeschlachtet werden.
MUM: Hast du Angst vor dem Tod?
F: Ich glaube, dass meine Arbeit mich befreit hat von Ängsten, und ich habe in meiner Arbeit ja auch oft schon dem Tod ins Auge geschaut habe. Von den 40 bis 45 Performances, die ich gemacht habe, gab es vielleicht zehn, wo ich vorher wusste, dass es die letzte Performance sein könnte, wenn etwas daneben geht. So haben sich die Ängste auch gelegt. Du kannst bis zu einem bestimmten Grad kalkulieren, aber ein Restrisiko sind nie kalkulierbar, und ich habe das schon auch bewusst zugelassen.
MUM: Meinst du aber nicht, dass das Publikum oft mehr einen voyeuristischen Anspruch hatte, anstatt sich um deine Botschaften zu kümmern?
F: Ich glaube, der Schockcharakter hat immer eine Rolle gespielt, aber das finde ich nicht negativ. Wenn dich etwas berührt oder erschüttert, dann beginnt in dir etwas zu rollen, und ein ästhetischer Schock lässt dich Dinge hinterfragen. Es hat mich nie vordergründig interessiert, jemandem eine Botschaft einzuhämmern, sondern ihn zu erreichen. Wir leben in einer Welt, die von starken Reizen geprägt ist, und ich selbst habe bei immer wieder festgestellt, dass Dinge, die mich erschüttert oder irritiert haben, auch andere berühren. Kraft dessen, was ich mein ganzes Leben als Künstler getan habe, habe ich Ausdrucksformen dafür gesucht. Als ich angefangen habe, ist das alles negativ belegt worden, weil damals die Kunst das Schöngeistige zu transportieren hatte, Anfang der 70er-Jahre.
MUM: Ist denn eine der extremeren Aktionen in nächster Zeit auch wieder geplant, oder konzentrierst du dich voll auf die Musik?
F: Ich konzentriere mich voll auf die Musik. Es geht ja nicht darum, das zu toppen, oder sich irgendwann öffentlich eine Kugel in den Kopf zu jagen, das wäre für mich das Bedienen des Voyeurismus. Im frühen Bereich, bei den autoagressiven Performances, die ich von 1974 bis 1980 gemacht habe, hatte ich ja auch ein Schlüsselerlebnis. Ich bin damals auch in die Nationalgalerie in Berlin eingeladen worden, zu einer Performancereihe etwas zu machen, da ist mir aber klar geworden, dass man mich wegen des Spektakels haben wollte und weil ich Leute ziehe. Da habe ich dann abgesagt, und als ich ein Schreiben des Kurators mit dem Angebot bekam, die Gage zu verdoppeln, da habe ich ihm erklärt, dass genau dies der Grund ist, warum ich es nicht mache, um nicht den vordergründigen Voyeurismus zu bedienen. Da ist mir der Ruf vorausgeeilt “Der Flatz macht krasse Dinge, also schauen wir uns das mal an”.
MUM: Inzwischen bist du ja sicher nicht mehr so angewiesen auf die Gagen für Performances.
F: Davon konnte man eh nicht leben, die haben mehr gekostet, als sie eingebracht haben.
MUM: Wovon denn sonst? Von den Ausstellungen?
F: Ich habe ja ganz früh schon in vielen Bereichen gearbeitet. Fotografien, Skulpturen und solche Ausstellungen haben Absatz gefunden.
MUM: Was für Fotografien hast du gemacht?
F: Viele mit Körper, übersetzt auf große Tafelbilder, wo der Transport in eine andere Dimension die Idee war. Die Haltung eines klassischen Fotografen hat mich nicht interessiert, aber der Einsatz von Fotografie zur Polarisation.
MUM: War “Der kalte Finger” dein einziger Film?
F: Nein, ich habe schon bei Faßbinder in drei Filmen mitgespielt, und bei der “Roten Erde”, einem 13-teiligen Epos. Ich war drei Jahre in einem Theaterensemble, das war mir also alles nicht fremd. Ich habe auch selber etliche Filme im Videobereich gemacht. Für mich war immer wichtig, Ideen zu haben und diese umzusetzen, in verschiedenen Formen, aber inhaltlich mit meiner Handschrift versehen.
MUM: Da kam dir die Rolle beim “kalten Finger” ja sicher ganz recht, weil der, den du verkörpert hast, ja auch ein extremer Typ war.
F: Ja. Als man den Film besetzt hat, da dachte man an diverse Schauspieler. Man ist dann aber darauf gekommen, dass diese, den veralteten Künstlertyp transportieren können, wie Brandauer, der eher der Malerfürst ist, der Rotwein trinkt. Sie haben aber jemanden gesucht, der das Heute repräsentiert und auch lebt, und da sind sie auf mich gekommen. Da ich Theatererfahrungen hatte, fiel mir das dann auch nicht schwer. Außerdem hat mich interessiert, dass Leute wie Sven Väth und Stevie B-Zet, mit denen ich befreundet bin, den Soundtrack gemacht haben.
MUM: War der Film irgendwie erfolgreich?
F: Bei den Kritikern ja, im Kino haben ihn sich aber nur 300.000 Leuten angeschaut. Es war also eher ein Kritikerfilm, im Fernsehen aber lief er schon dreimal und auch gut.
MUM: Du bist damals, ganz am Anfang deiner Karriere, auch mal in einer psychiatrischen Anstalt gelandet. war das nicht eine Erfahrung, die dich dazu gebracht hat, einen Schritt kürzer zu treten?
F: Das war für mich komischerweise eine Bestätigung, auf einer ganz anderen Ebene. ich war damals noch sehr jung, 22, und es irritiert dich schon, wenn du von der Straße weg ins Irrenhaus eingewiesen wirst. Es war für mich aber eine Bestätigung, dass das, was ich tue, berührt und aufrührt, auch erschüttert, und dass sie keine andere Möglichkeit sehen, als dich wegzusperren, weil du Regeln verletzt hast. Die Sache war so, dass ich im Jahre 1972 einen Unfall verschuldet habe, und exakt drei Jahre später habe ich an genau dieser Stelle ein Stück gemacht, was ganz simpel ausgesehen hat. Auf einer Staffelei war ein Bild, 1,50 Meter mal 1,50 Meter, wo ich die Performance genannt habe, mit folgendem Text drauf: “Am 22. Juni 1972 verschuldete ich an dieser Stelle einen Unfall. Fazit: drei Schwerverletzte, zwei Leichtverletzte, zwei Totalschäden.” Ich habe mich neben die Staffelei gestellt und wollte während zwölf Stunden, von 7 Uhr früh bis 7 Uhr abends, den Platz nicht verlassen, nicht sprechen, keine Flüssigkeit und keine Nahrung zu mir nehmen. Nach drei Stunden kam jemand vom Straßenbauamt, hat sich das angeschaut und wollte mit mir reden. Zum Gedenken hatte ich mir aber Schweigen vorgenommen – wie bei allen meinen Performances, es gab nie Sprache. Er war sehr erregt, zog von dannen und kam eine halbe Stunde später mit der Polizei wieder. Die wollten meinen Führerschein sehen und so, wurden dann so erregt, dass sie das Bild und die Staffelei die Brücke herunter geschmissen haben. Ich bin trotzdem einfach stehen geblieben. Eine halbe Stunde später kamen sie mit einer Einweisung, ohne dass mich ein Arzt überhaupt gesehen hatte. Ich hatte das aber so gut vorbereitet, dass sie mich nicht länger als eineinhalb Tage behalten konnten. Ich hatte auch in den Medien Ankündigungen geschrieben: “Am 22. Juni 1975 können sie auf der B 190 zwölf Stunden ein Kunstwerk besichtigen”. Das war mein Glück, ansonsten hätten die mich vielleicht für ganz verrückt erklärt. Das war für mich, zurück zu deiner Frage, die Erkenntnis, dass die Dinge starke Reaktionen hervorrufen, was ich aber als positiv sehe. MUM: Wie siehst du als Österreicher Österreich heute, mit der ganzen Haider-Problematik?
F: Wir können froh sein, dass von dem großen Gebilde, das Österreich mal war, das fast ganz Europa unter seiner Macht hatte bis nach Mexiko, was ja auch mal dazugehört hat, nur der kleine Zeh übrig geblieben ist. Der tut keinem mehr weh, da kann man auch mal drauftreten, aber man kann es auch in anderen Formen bewältigen. Ich finde es richtig, dass darauf reagiert wird, ich denke aber, dass teilweise überreagiert wird. Demokratie heißt, auch andere Möglichkeiten zuzulassen, aber ich halte es schon für gefährlich, dass durch die Legitimierung solcher Haltung es Anschub für andere Länder geben könnte. Österreich halte ich aber nicht für gefährlich, das ist ein kleiner Zwerg, der politisch aber Signale setzen kann.
MUM: Fühlst du dich in Deutschland völlig heimisch?
F: Man kann und sollte auch seine Wurzeln nicht vernichten, ich bin dort aufgewachsen, meine Seele ist dort verankert. Ich lebe jetzt aber schon 25 Jahre in Deutschland und habe hier viel gelernt. Ich glaube, dass ich mein intellektuelles Potential und die Denkfähigkeit mehr von den Deutschen habe, der österreichische Untergrundhumor ist aber immer noch da. Als Künstler ist das aber egal, Kunst wird nicht nach Nationalität oder Geschlecht definiert, es gibt gute und schlechte Kunst, welche eine ist, die nichts bewegt.
_____________________
MUM: Mucke und mehr
F: Flatz