Wer weiß nichts über Keimzeit und würde gerne mehr wissen? Aha, da hinten hat sich jemand gemeldet – mit Schnippen, aber gut, wir wollen mal nicht so sein. Also – wir gehen zurück in das Jahr 1982. Hausmusik ist wirklich noch selbige und konnte noch nicht einmal mit House-Musik verwechselt werden, die gibt es nämlich noch gar nicht. In der damals ja noch vorhandenen (jetzt wird’s sogar geschichtlich) DDR, genauer gesagt in Lütte bei Potsdam, gründen Norbert Leisegang (Gitarre, Gesang), Hartmut Leisegang (Bass), Marion Leisegang (Gesang) und Roland Leisegang (Drums) die Band Keimzeit. Nun ist Leisegang ja kein Name wie Schmidt oder Müller, nein, es handelt sich folglich um ein Familienquartett. Nach ersten Gehversuchen kommt 1984 Ulrich Sende (Gitarre) zur Band, ein Jahr später steigt Marion aus Mutterschaftsgründen aus.
Mit dem 1987 am Keyboard zusätzlich in die Formation genommenen Mathias Opitz zusammen wird eine erste Platte aufgenommen, die 1990 unter dem Namen “Irrenhaus” erscheint. Stilistisch hat man es mit deutschsprachigem Pop-Rock der eigenwilligen Art zu tun, geprägt durch Texte und Gesang von Norbert Leisegang. Im gleichen Jahr stößt Ralf Benschu (Saxophon) zu Keimzeit, und ein Jahr später veröffentlicht man mit “Kapitel 11” das zweite Album. Die muntere Line Up-Umgestaltung hat ein Ende, als 1993 Andreas “Spatz” Sperling den Keyboardpart von Mathias Opitz übernimmt. Auf dem im gleichen Jahr veröffentlichten Album “Bunte Scheiben” findet man ein locker flockiges Stückchen Musik namens “Kling Klang”, welches sich zum größten Erfolg und Ohrwurm der Band entwickelt. Nach dem fünften Album “Primeln & Elefanten” (1995) entschließt man sich im folgenden Jahr, eine Doppel-CD mit Liveaufnahmen aus sechs Konzerten zu veröffentlichen, welche “Nachtvorstellung” betitelt wird. Im November 1996 verordnen sich Keimzeit erstmals in der Bandgeschichte eine Pause, und im folgenden halben Jahr gehen die Musiker diversen eigenen Projekten nach.
Den eigentlichen Plan, in dieser Zeit ein neues Album aufzunehmen, hatte man verworfen, nachdem man keinen geeigneten Produzenten finden konnte. Im Oktober 1997 gelingt es Keimzeit, nach (und jetzt zitiere ich die Biografie) “langen Verhandlungen, einigen Treffen und endlosen Telefonaten den Wunschproduzenten Nr. 1 für das nächste Album zu verpflichten”, Franz Plasa. Norbert zeigt sich begeistert: “Er macht den fettesten Sound in Deutschland und hat eine Spitzen-Crew um sich herum versammelt, die bereits schon produziert und recht separat arbeitet – also die besten Voraussetzungen für ein gutes Album.” Mit ihm nehmen die Musiker in Brüssel den Longplayer “Im elektromagnetischen Feld” auf, der 1998 erscheint. Auf die gesamte Karriere zurück blickend fasst der Frontmann den Werdegang bis hierhin folgendermaßen zusammen: “Die 80er waren fundamental für Keimzeit. Wir lernten, Musik zu machen, unsere Instrumente zu spielen, lernten den Umgang mit Publikum, Veranstaltern und Medien. Der Beginn der 90er war eine große Party mit all den Stücken auf unserer Live-Doppel-CD. Als diese Party gegen 1996/97 drohte, eine Farce zu werden, hielten wir Ausschau nach neuen Wegen und stießen somit auf Franz Plasa.”
Ende 1999 beginnt man, wiederum mit Plasa, in Hamburg die Aufnahmen für ein neues Album, welches im März 2000 erscheinen soll. Entgegen aller Planungen aber beschließen Keimzeit, die Aufnahmen fortzusetzen, weil sie mit den Ergebnissen nicht zufrieden sind, außerdem verordnet man sich eine erneute sechsmonatige Konzertpause. “Wir waren zu Beginn der Aufnahmen im November/Dezember 1999 zerfasert und unkreativ, und wir setzten alles auf Franz Plasa. Der allerdings steckte selbst in einer universellen Krise. So setzten wir uns im März 2000 ein Reset.” Im Mai sind die Studioaufnahmen schließlich beendet, und so erscheint im September 2000 das neue Album “Smart und gelassen warten”. Die Scheibe klingt typisch nach Keimzeit, mal softer, mal rauher, stets aber interessant. Auf die Frage, ob sie nun völlig zufrieden sind, antwortet Norbert mit einem kurzen, aber deutlichen “Total”. Auch die Arbeit als Band habe sich klar verbessert. “Der Anteil des Inputs von Bandmitgliedern ist wesentlich größer als beim vorherigen Album. Wir sind als Band homogener und stilsicherer geworden. ‘Smart und gelassen warten’ ist halt Teil 2 in der Zusammenarbeit mit Franz Plasa.” Textlich hat er versucht, kein Thema ähnlich zu behandeln, wie man es bereits verarbeitet hat. “Wiederholungen sind nicht vonnöten, oder?”
Im Lied “Berlin”, welches Textzeilen wie “Die alte Dame stinkt” oder “Berlin, heut’ aus meiner Sicht, ist das Schärfste – natürlich nicht” enthält, äußern sich Keimzeit recht negativ über ihre Fast-Heimatstadt. “Wir lieben Berlin. Genau dann kann man schon mal kritisch hinter die Kulissen gucken”. Ansonsten geht es um Liebe, um Sehnsucht, um Alltag und um kleine Geschichten, alles in Metapher verpackt – oder, wie Norbert die Inhalte in einem Wort zusammenfasst, um “Präferenzen”. Im Booklet zur CD findet man merkwürdigerweise nur drei Texte abgedruckt, wohinter sich allerdings eine ausgeklügelte Locktaktik verbirgt. “Der Rest der Texte ist auf unserer Homepage installiert. Ein Impuls vielleicht, da mal rauf zu schauen.” Jetzt geht es für Keimzeit erst einmal auf Tournee, und neben Deutschland stehen erstmals auch Konzerte in Österreich und der Schweiz mit auf dem Plan. Warum dies vorher nie so war, weiß eigentlich keiner so recht. “Ist mir auch rätselhaft.”
Drei Fragen musste Norbert dann doch noch beantworten, deren Antwort sich auch nicht um Franz Plasa drehen konnten. Die Bands, die ihn in der letzten Zeit mit ihren Veröffentlichungen beeindruckt haben, sind “Moloko, Pavement, Madonna, Moby, Incubus, Eminem und My Balloon”. Auf Tour würde er am liebsten mal “mit Naomi Campbell” gehen, denn “sie kann sehr gut kochen”, und sein Keimzeit-Lieblingslied aller Zeiten ist – wen wundert’s – “Kling Klang”.