Home MusikInterviews Project Pitchfork zu ihrem Album “Daimonion” (02/01)

Project Pitchfork zu ihrem Album “Daimonion” (02/01)

Autor: Tobi

1989 gründeten Peter Spilles (Gesang, Musik) und Dirk Scheuber (Musik), nachdem sie sich auf einem Festival kennen gelernt hatten, Project Pitchfork. Zwei Jahre später erschien auf Hypnobeat das Debütalbum “Dhyani”, für lange Zeit die letzte Scheibe, an der beide gemeinsam gearbeitet hatten. Mit 7000 verkauften Platten verbuchten die Hamburger einen ersten Erfolg, war ihre Mixtur aus harter elektronischer Musik (EBM), atmophärischen Sounds und Melodik, gepaart mit Peters meist esoterisch fundierten Texten, doch damals durchaus noch etwas Neues. Im Jahr 1992 folgten dann sogar gleich zwei Alben, “Lam-‘bras” und “Entities”, und letzteres enthielt nach den vorherigen Insider-Clubhits “K.N.K.A.” und “Conjure” den ersten Track, der lange Zeit als bester und beliebtester Song der Jungs gelten sollte (für viele ist er es heute noch), “Souls”. Inzwischen hatte sich, bereits ab dem zweiten Album, Peters damalige Lebensgefährtin Patricia Nigiani als zusätzliche Sängerin zur Band gesellt, bis 1994 sollte sie dies bleiben.

Nachdem man sich entschlossen hatte, einen Labelwechsel zu Off Beat zu vollziehen, erschien dort 1994 der Longplayer “IO”, mit dem sich Project Pitchfork bis auf Platz 56 der Media Control Charts und Platz 1 der Deutschen Alternative Charts vorarbeiten konnten. Ein Jahr später ließen Peter und Dirk nach Gründung einer eigenen Plattenfirma namens Candyland Entertainment dort zuerst die EP “Corps D’Amour” (welche von den Fans aufgrund ihrer sperrigen Strukturen nicht besonders gut angenommen wurde) folgen, später dann das Album “Alpha Omega”. 1996 veröffentlichte man mit “The Early Years” eine Best Of-Scheibe, die ursprünglich nur für den US-Markt konzipiert war. Das Album “Chakra:Red!” stellte 1997 einen Wendepunkt für Project Pitchfork dar, komponierte doch erstmals seit dem Debüt nicht mehr Peter alle Stücke alleine, nein, Dirk und Jürgen Jansen (der inzwischen zur Band gestoßen war und sich vor allem um die Technik kümmerte) arbeiteten kräftig mit.

Nach einer Live-Scheibe und dem Wechsel zum Major-Label EastWest folgte mit “Eon:Eon” 1998 ein Album, auf dem sich Project Pitchfork noch experimentierfreudiger und moderner präsentierten. Einigen Fans gefiel unterdessen der Schritt des Indie-Aushängeschilds zu einem Major und die damit verbundene verstärkte Medienpräsenz gar nicht, sie warfen den Jungs kommerziellen Ausverkauf vor. Lange hat es gedauert, ehe sich Peter, Jürgen und Dirk jetzt mit “Daimonion” zurückmelden, einem gelungenen, griffigen, eingängigen Album. Wir sprachen einige Tage nach dem für das WDR aufgezeichneten Showcase am 10. Januar in Köln am Telefon mit Dirk und Jürgen.

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“Wir machen einfach Musik und lassen uns dabei nicht von irgendwelchen Meinungen oder Äußerungen beeinflussen. Musik kommt aus dem Bauch, ist eine Gefühlssache, da setzt man sich nicht auch noch mit solchen Dingen auseinander.”

MUM: Eure Alben haben ja meistens ein Leitthema, wovon handelt “Daimonion”?

JJ: Der Titel kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Schutzgeist, Schutzengel, oder aber auch die warnende, innere Stimme, was als Konzept irgendwie der gemeinsame Nenner der Texte ist. Wir sehen Pitchfork so ein bisschen als diese warnende, innere Stimme, sie versuchen wir zu vermitteln. Wir sind aber nicht wie bei der “Eon:Eon” heran gegangen und wollten von vorne herein ein textliches und musikalisches Konzept haben, sondern haben erst einmal Musik gemacht und das Konzept, wenn man es so nennen will, um die Texte herum geschaffen.

MUM: Wovor wollt ihr denn warnen?

JJ: Ach, guck mal aus dem Fenster, vor all dem, was da draußen schief läuft. Wir haben nicht ein spezielles Thema, es geht um persönliche Sachen und politische Sachen.

MUM: Könntet ihr euch vorstellen, mal ein Album mit verstärkt positiven Songs zu machen?

JJ: Das sind doch positive Songs.

DS: Wir sehen jeden Song als Denkanstoß, weiter zu denken, etwas besser zu machen, in privaten Dingen wie auch in weltlichen Sachen.

JJ: Kritik ist eine sehr positive Sache.

MUM: Lebt ihr denn auch nach euren eigenen Motiven?

JJ: So gut wie möglich. Es ist natürlich schwer. “Existence” ist zum Beispiel Kritik an der Kirche als Institution, als politische Macht, da kannst du dich manchmal eben auch nicht dem entziehen, weil du einfach so geprägt bist, wenn du in der westlichen Welt aufwächst. Selbst wenn du nicht in der katholischen Kirche bist oder jeden Sonntag in die Kirche gehst, wirst du von dem Denken, Tun und der Macht der Kirche beeinflusst.

MUM: Seid ihr alle ausgetreten?

JJ: Natürlich.

DS: Ich war noch nie drin.

JJ: Stimmt, Peter und ich sind ausgetreten.

MUM: Wie war denn die Arbeitsweise bei dem neuen Album, habt ihr wieder alle drei Hand in Hand gearbeitet?

JJ: Das war ein bisschen anders diesmal. Zum einen haben wir erstmals im eigenen Studio aufgenommen, was die gesamte Arbeitsweise verändert hat. Früher hat jeder seine Musik zuhause gemacht, dann hat man sich im Studio getroffen und hatte vielleicht zwei bis vier Wochen maximal Zeit, die Platte mit Gesang fertig zu stellen. Jetzt war es so, dass wir zwar auch wieder mit eigenen Stücken ins Studio gekommen sind, aber eben Zeit hatten, wesentlich länger an den Songs zu arbeiten. Es waren auch nur Peter und ich beteiligt, Scheubi nicht, der hat sich aus persönlichen Gründen aus der Platte raus gehalten, darauf möchten wir aber nicht näher eingehen.

MUM: Die persönlichen Gründe könnten aber nicht zu Dirks Ausstieg führen?

JJ: Nein, überhaupt nicht.

MUM: Dirk, von dir einige Worte dazu?

DS: Ich habe mich aus der Produktion rausgehalten, aus persönlichen Gründen. Das letzte Jahr war für mich persönlich sehr schwierig, dadurch fehlte mir die Zeit, das ist der Grund.

MUM: Aber jetzt geht es dir gut.

DS: Ja, ich bin sozusagen auf dem Weg der Besserung.

MUM: Es waren also keine familiären Dinge, es ging rein um dich.

DS: Ja, es ging um mich. Irgendwann kommt man mal an so einen Punkt, wo alles über einem zusammen fällt, und das war eben mal der Fall, aber das hat ansonsten nichts mit der Band zu tun.

MUM: Hilft dir die Platte da jetzt weiter, raus zu kommen?

DS: Denke ich schon, aber ich möchte da nicht weiter drauf eingehen, weil das eben persönlich ist, und wir sind keine Band, die so etwas nach außen trägt. Das geht im Endeffekt auch keinen etwas an.

MUM: Na dann zurück zur Musik. Seht ihr Überraschungen auf dem Album?

DS: Natürlich sind da Überraschungen bei. Es ist ein sehr abwechslungsreiches Album geworden, jeder Song hat seinen eigenen Charakter. Man wird da schon positiv überrascht sein.

MUM: Seht ihr das Album als poppiger an?

DS: Überhaupt nicht. Der Begriff Pop ist heutzutage ja sehr weitläufig geworden. Man könnte es natürlich so sehen, dass Pitchfork schon immer einen leicht poppigen Touch hatten, in Bezug auf die eingängigen Melodien und so.

MUM: Ich würde das Album als noch eingängiger bezeichnen als den Vorgänger, wie seht ihr das?

DS: Schwer zu sagen. Wir haben die Stücke jetzt so oft gehört, da haben wir noch nicht den nötigen Abstand, um so etwas zu beurteilen.

MUM: Habt ihr die Fans ernst genommen, die euch bei “Eon:Eon” kommerziellen Ausverkauf vorgeworfen haben?

DS: Ach ja, man setzt sich kurzzeitig damit auseinander, aber das ist so ein Thema für sich. Was ist schon kommerziell? Wir machen einfach Musik und lassen uns dabei nicht von irgendwelchen Meinungen oder Äußerungen beeinflussen. Musik kommt aus dem Bauch, ist eine Gefühlssache, da setzt man sich nicht auch noch mit solchen Dingen auseinander.

MUM: Seht ihr eine musikalische Fortentwicklung?

DS: Auf jeden Fall, auch eine produktionstechnische. Ich denke, man hört auch, dass da sehr viel Arbeit drin steckt.

MUM: Wieso veröffentlicht ihr die “Existence” auf zwei Maxi-CDs, anstatt alle Mixe auf eine zu packen?

JJ: Das hätten wir nicht gedurft, das wäre zu lang geworden für eine Maxi.

MUM: Wegen der Begrenzung auf fünf Tracks und 21 Minuten, bei deren Überschreitung man zusätzliche Kosten hat.

JJ: Ja. Der zweite Aspekt ist der, dass es bei unseren Singles immer so gespaltene Fraktionen gab. Die einen wollten lieber neue Stücke als Bonustracks, die anderen Remixe, und nun hat man eben die Wahl.

MUM: Habt ihr genau diese Mixe machen lassen, oder hattet ihr mehrere und habt dann ausgewählt, welche ihr nehmt?

JJ: Nein, wir hatten die beiden Bands vorgeschlagen, haben ihnen freie Hand gelassen, die haben dann eben die Mixe gemacht und wir haben sie veröffentlicht. Das war also schon unser Wunsch, VNV Nation als Dancerichtung und Zeromancer als Alternative mit Gitarre.

MUM: Von wem würdet ihr euch denn gerne mal remixen lassen?

JJ: Nine Inch Nails wären ein Wunsch. Das hängt aber natürlich auch vom Stück ab. Ich hätte auch gerne mal einen Remix von Moby. Wir haben da schon eine Wunschliste, die werden meistens auch angefragt, das klappt dann eben aber nicht.

MUM: Wie wär’s mit Fatboy Slim?

JJ: Den auch gerne, da hatten wir bestimmt auch schon angefragt. Die großen Acts haben halt wenig Zeit.

MUM: Themawechsel. Wie war euer Konzert in Köln?

JJ: Sehr gut eigentlich. Wir haben uns vorher in die Hosen geschissen, weil wir zehn neue Stücke gespielt haben, aber das hat dann doch sehr gut geklappt. Es war ungewöhnlich, weil es wirklich back to the roots war auf einer so kleinen Bühne mit sehr nahem Fankontakt, aber das macht ja auch super viel Spaß.

MUM: Die Resonanz auf die neuen Stücke war also gut.

JJ: Die war sehr positiv, ja.

MUM: Wie sieht es im Sommer mit Festivals aus, sind da schon Termine fest gemacht?

JJ: Fest sind, soweit ich weiß, das Woodstage in Glauchau, dann das Zillo, und wir spielen Wacken, da sind wir auch sehr gespannt.

MUM: Da seid ihr ja dann unter den richtig harten Jungs.

JJ: Ja, auf jeden Fall, das ist ja so spannend.

MUM: Habt ihr ein Wunschfestival, wo ihr gerne mal spielen würdet?

JJ: In Roskilde würde ich gerne mal spielen, oder in England auf dem Reading, aber das sind ja nun die großen Dinger. Wir spielen gerne vor sehr vielen Leuten, und auch vor Leuten, die uns gar nicht kennen, wo man vorher denkt, das kann gar nicht klappen, wie Wacken. Wenn es klappt, dann ist das nämlich eine sehr positive Erfahrung.

MUM: Gibt es für Rock am Ring und Rock im Park Gespräche?

JJ: Da gibt es Gespräche, ja.

MUM: Peter hat mal gesagt, dass eure Alben oft erst mit Verzögerung vom Publikum richtig angenommen werden. Meint ihr, das ist jetzt wieder so, oder haltet ihr das Material für leichter zugänglich?

JJ: Ich denke, dass die Stücke vielleicht etwas zugänglicher sind, dass der Effekt bei vielen Leuten aber wieder eintritt, dass sie es oft hören müssen, und wir haben ja auch den Anspruch, dass das Album auch beim zehnten Hören noch spannend sein soll und dass man da Sachen hört, die man vorher nicht wahrgenommen hat.

MUM: Was machen denn eure Seitenprojekte?

DS: Die existieren weiter. Mal gucken, was da dieses Jahr noch anfällt. Jetzt ist erstmal Pitchfork angesagt, aber ich lasse Kyova nicht außer Acht, das wäre auch den anderen Jungs, die beteiligt sind, gegenüber unfair.

MUM: War Kyova für dich auch die Verwirklichung des Wunsches, gitarrenlastigere Musik zu machen?

DS: Ach, ja klar. Wenn neben Pitchfork noch Zeit übrig bleibt, dann kann man sich in dieser Richtung schon mal umgucken. Ich hatte seit Jahren die Vision, mal eine Rockband zu haben, weil mir Rock eben auch sehr zusagt.

MUM: Macht Peter zu Zeit noch Seitenprojekte?

DS: Nö, aber das kann ja auch wieder kommen. Jürgen ist sehr eingespannt, der muss ja tausend Bands mixen, mixt viele ja auch live, Sisters und wen auch immer – so ungefähr den Rest der Szene. Er ist also extremer ausgelastet als wir.

MUM: Remixt ihr auch andere Bands?

DS: Jürgen macht das, er ist ja der technisch Versierteste von uns, im Programming und Engineering weitaus begabter als Peter und ich.

MUM: Was hört ihr denn privat momentan am liebsten?

JJ: Ich habe kein Privatleben.

DS: Mir fällt da nichts bewusst ein. Letztens habe ich mir die Coldplay gekauft, die fand ich richtig gut, das Melancholische passt zur Jahreszeit.

MUM: Gibt es denn eine Band, die euch so richtig enttäuscht hat mit dem, was sie in den letzten ein, zwei Jahren rausgebracht hat?

DS: Ja, Radiohead, deren Platte fand ich total daneben, die war der blanke Hohn. Die basteln da auf irgendwelchen Soundcollagen rum und verkaufen das noch als Kunst, das haben andere Bands Anfang der 80er weitaus besser gemacht. Für mich ist das völlig konzeptlos, ich verstehe die Kritiken da auch gar nicht, wahrscheinlich haben die alle zu taube Ohren. Das ist voll für’n Arsch.

MUM: Kannst du dich noch erinnern, welches die erste Platte war, die du dir je gekauft hast?

DS: Nein, kann ich nicht. Ich erinnere mich irgendwie an AC/DC, “Highway To Hell”, und an Udo Jürgens auch.

MUM: Das erste Konzert?

DS: Das war damals in Ost-Berlin, Pankow.

JJ: Meine erste Platte war von den Talking Heads, mein erstes Konzert war BAP, ich habe dafür aber nicht bezahlt.

MUM: Mit wem würdet ihr denn gerne mal zusammen auf Tour gehen?

JJ: Mit U2. Da gibt es aber serh viele, auch viele, die nicht unserem Genre entsprechen. Depeche Mode wären nett, oder Nine Inch Nails – oder BAP (lacht).

MUM: Plant ihr Konzerte im Ausland?

JJ: Ja, wir spielen drei Konzerte in Österreich vor der Deutschland-Tour, danach geht es so quer durch die EU, später im Jahr dann auch nach Amerika.

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MUM: Mucke und mehr
JJ: Jürgen Jansen
DS: Dirk Scheuber

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