Home Film “Die Saat des heiligen Feigenbaums” – Deutschlands Oscar®-Kandidat ist ein starkes Zeugnis der Zerrissenheit im Iran

“Die Saat des heiligen Feigenbaums” – Deutschlands Oscar®-Kandidat ist ein starkes Zeugnis der Zerrissenheit im Iran

Autor: Tobi

"Die Saat des heiligen Feigenbaums" Filmplakat (© Alamode Film)

Die Saat des heiligen Feigenbaumsd

Darsteller: Misagh Zareh, Mahsa Rostami, Soheila Golestani, Setareh Maleki
Regie: Mohammad Rasoulof
Dauer: 167 Minuten
FSK: freigegeben ab 16 Jahren
Website: www.alamodefilm.de/kino/detail/die-saat-des-heiligen-feigenbaums.html
Facebook: facebook.com/alamode.filme
Instagram: instagram.com/alamodefilm
Kinostart: 26. Dezember 2024


Als “Die Saat des heiligen Feigenbaums” im August 2024 als deutsche Einreichung für die Kategorie “Bester Internationaler Film” der Oscar®-Verleihung 2025 verkündet wurde, da führte dies zunächst zu einiger Verwunderung und auch Kontroversen, wurde der Streifen doch vom iranischen Regisseur und Drehbuchautor Mohammad Rasoulof im Iran gedreht, mit iranischen SchauspielerInnen in persischer Farsi-Sprache. Produziert wurde er dann allerdings größtenteils in Deutschland und Rasoulof lebt inzwischen auch in Hamburg – mehr zu den Gründen, die fast schon selbst spielfilmwürdig erscheinen, gibt es unten.

Der Streifen, der bei den Internationalen Filmfestspiele von Cannes im Mai 2024 mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde und für drei Europäische Filmpreise nominiert war, nimmt uns mit in den Herbst 2022, als Iman (Misagh Zareh) zum Untersuchungsrichter am Revolutionsgericht in Teheran befördert wird. Den Karriereschritt begrüßt er natürlich, muss seine Arbeit aber geheim halten und sieht auch hiermit verbundene Gefahren für sich und seine Familie. Diese werden umso größer, als der Iran kurz darauf eine Welle an Protesten erlebt, nachdem die 22-jährige Jina Mahsa Amini nach Festnahme der islamischen Sittenpolizei auf Grund eines nicht korrekt sitzenden Kopftuchs und Misshandlungen verstorben war.

Als Iman gleich mal genötigt wird, ein Todesurteil zu unterschreiben, ohne sich überhaupt mit dem Fall auseinandersetzen zu dürfen, wird ihm klar, dass er zu einem noch größeren Handlanger der Staatsgewalt geworden ist, es aber kaum einen Weg zurück für ihn gibt. Das missfällt ihm – auch als streng Gläubigem – natürlich und zum Stolz über die Beförderung, die der Familie eine größere Wohnung und auch Annehmlichkeiten wie eine Waschmaschine bescheren wird, mischen sich eine gehörige Portion Skepsis und psychische Angeschlagenheit. Diese schwinden auch nicht, als sein freundschaftlich gesinnter Vorgesetzter ihm eine Pistole mit nach Hause gibt, die nun zum Job gehöre und Sicherheit gebe. Diese findet seine Frau Najmeh (Soheila Golestani), die in der Familie über seine Aufgaben als einzige so richtig Bescheid weiß, und auch ihr Stolz wird etwas getrübt.

Das Familiengefüge bekommt parallel weitere Risse, als die Töchter Rezvan (Mahsa Rostami) und Sana (Setareh Maleki) ihre Sympathien für die ProtestantInnen offen verkünden und kaum verstehen können, dass vor allem der Vater sich so massiv hinter das Regime stellt, dem man doch vertrauen müsse. Es kommt zu Streitigkeiten, dabei ist es doch gerade nun mit dem neuen Job wichtig, nicht aufzufallen und am besten den Kontakt zu jeglichen offen staatskritisch eingestellten Individuen einzustellen. Als dann Sadaf, eine Freundin der Töchter, von Polizisten mit Schrotmunition beschossen wird und die Mutter nach anfänglichem Nein zustimmt, ihre Wunden zu versorgen und ihr über Nacht in der Wohnung Schutz zu geben, brodelt die Situation langsam dem Siedepunkt entgegen, und als Imans Dienstwaffe plötzlich verschwunden ist, eskaliert sie.

"Die Saat des heiligen Feigenbaums" Szenenbild (© Films Boutique / Alamode Film)

(© Films Boutique / Alamode Film)

Als Mohammad Rasoulof mit seinem 2020er-Werk “Doch das Böse gibt es nicht” bei der Berlinale den Goldenen Bären gewann, nahm seine Tochter Baran diesen entgegen, da ihr Vater nach Passentzug nicht aus dem Iran ausreisen durfte. Nicht nur dies, nur wenige Tage später wurde er schriftlich aufgefordert, eine einjährige Haftstrafe anzutreten, zu der er auf Grund der Einordnung seiner letzten drei Filme als “Propaganda gegen den Staat” 2019 verurteilt worden war. Auch durch die Corona-Pandemie blieb Rasoulof, der Gefängnisstrafen und Arbeitsverbote schon vorher erleben musste, aber zunächst auf freiem Fuß. Mitte 2022 dann wurde er nach kritischen Äußerungen über die staatliche Gewalt gegen friedliche Demonstranten verhaftet, im Februar 2023 allerdings auf Grund seines angeschlagenen Gesundheitszustands vorübergehend wieder aus der Haft entlassen, später dann begnadigt und erneut verurteilt inkl. einem zweijährigen Ausreiseverbot. Unter größter Geheimhaltung arbeitete er 70 Drehtage lang von Dezember 2023 bis März 2024 an “Die Saat des heiligen Feigenbaums”. Als er im Mai 2024 zu acht Jahren Haft und Peitschenhieben verurteilt wurde, gelang ihm die Flucht zu Fuß über die Berge und Grenze aus dem Iran, und das gefilmte Material konnte schon während des Drehs nach Hamburg geschmuggelt werden, wo Rasoulof inzwischen lebt. Hier wurde der Film vom Briten Andrew Bird geschnitten und von der deutschen Produktionsfirma Run Way Pictures zusammen mit der französischen Parallel45 und Arte France Cinéma fertig produziert.

Inzwischen hat es “Die Saat des heiligen Feigenbaums” als Deutschlands Beitrag auf die Shortlist von 15 Filmen in der Oscar®-Kategorie “Bester Internationaler Film” geschafft. Wenn man die berechtigte Diskussion, ob man ihn nun als deutschen Film ansehen sollte, mal ausblendet, dann schaut man auf ein starkes, bewegendes Zeugnis der inneren Zerrissenheit im Iran, gespiegelt durch die Ereignisse der gezeigten Familie. Dadurch, dass Rasoulof immer wieder reale Handyvideos der Proteste und ihrer brutalen Niederschlagungen in seinen Streifen eingeflochten hat, gewinnt er noch an Intensität, aber auch ohne diese würde eine beeindruckende Fusion von Familiendrama und Politthriller vorliegen, die zu packen weiß und trotz ihrer Länge von fast drei Stunden stets interessant bleibt.

Die Handlung ist gut konzipiert, auch wenn das Finale vielleicht etwas zu ausschweifend daher kommt, vor allem aber sind die interessanten, teilweise so konträren Charaktere stark gespielt, von AkteurInnen, die teilweise nicht wie Rasoulof im sicheren Exil leben. Vor allem die Rolle der Mutter gewinnt mehr und mehr an Bedeutung, dem beförderten Mann und auch dem Regime gegenüber zunächst loyal und doch auch mit Verständnis für die Töchter und ihre Ansichten ausgestattet. So gerät sie, die als einzige im extrem hochkochenden Politgeschehen noch ruhiger zu bleiben scheint, immer mehr zwischen die Fronten – toll verkörpert von Soheila Gholestani, die ebenso wie der den Iman gebende Misagh Zareh im Iran unter Repressalien leidet und nicht ausreisen darf. Nicht umsonst hielt Rasoulof in Cannes die Fotos der beiden hoch, während den Darstellerinnen der Töchter noch die Flucht gelang, Mahsa Rostami per Flugzeug und Setareh Maleki, der man den Pass schon abgenommen hatte, über die grüne Grenze. Beide leben inzwischen in Berlin.

Trailer:

Bewertung: 9 von 10 Punkten

 

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