Der Brutalist
Darsteller: Adrien Brody, Felicity Jones, Guy Pearce, Raffey Cassidy
Regie: Brady Corbet
Dauer: 214 Minuten
FSK: freigegeben ab 16 Jahren
Website: www.upig.de/micro/der-brutalist
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Kinostart: 30. Januar 2025
Brutalismus, der: Architekturstil, der sich hauptsächlich durch seine simplifizierten, nackten Betonbauten definiert. Und der scheint offensichtlich auch Regisseur Brady Corbet („Vox Lux“) nachhaltig zu beeindrucken, warum sonst sollte er uns mit seiner abstrahierten Biografie eines jüdisch-ungarischen Architekten beehren wollen, der in der von ihm selbst erdachten Geschichte zur Ikone dieses Baustils wird? Brutalistisch jedenfalls mutet bei Corbets epischem Drama „Der Brutalist“, das bei der diesjährigen Golden-Globe-Verleihung mächtig abgeräumt hat, zumindest einmal seine durchaus respekteinflößende Lauflänge von gut dreieinhalb Stunden an, soviel ist sicher.
Sein Brutalist heißt László Tóth (Adrien Brody) und hat sich nach dem Studium am Bauhaus vor dem Zweiten Weltkrieg als moderner Architekt in Ungarn einen Namen gemacht. Das allerdings sollen wir erst später fast beiläufig erfahren, denn in seinen ersten turbulenten Einstellungen nimmt uns der Regisseur mit in die Wirren der Nachkriegszeit, in der es die jüdische Familie Tóth schon ziemlich auseinandergerissen hat. Während wir den jungen László begleiten, wie er völlig mittellos zusammen mit vielen anderen sein Glück in der Emigration aus dem Chaos Ungarns nach Amerika sucht, erfahren wir durch etwas undurchsichtige Szenen und einen aus dem Off verlesenen Brief seiner Frau Erzsébeth (Felicity Jones), dass die sich schwer krank mit seiner Nichte Zsófia (Raffey Cassidy) noch immer in einem russischen Auffanglager befindet.
Schon diese Eingangssequenzen zeigen, welch entscheidende Rolle die Familie in Lászlós Leben spielen soll, das Corbet hier von Anfang an so feinfühlig beleuchtet. So sehr dem Architekten die Kriegsjahre zugesetzt haben müssen, so stark sind die Bilder, als praktisch als Symbol des Neuanfangs endlich die Freiheitsstaue in sein Blickfeld rückt, und er kurze Zeit später auf dem Bahnhof in Pennsylvania endlich seinen Cousin Attila (Alessandro Nivola) in die Arme schließen kann. Der nimmt ihn nach langer Trennung uneigennützig bei sich auf, auch wenn seine ebenso attraktive wie missgünstige Frau bald perfide gegen den ansonsten komplett auf sich allein gestellten Neuankömmling intrigiert.
Es ist viel mehr Charakterstudie als Biografie des Visionärs László, was uns Corbet vor der ungewöhnlich in seinen Film eingearbeiteten fünfzehnminütigen Pause hier anbietet, erzählt uns genauso vom seelischen Befinden des Künstlers, der sich plötzlich als Tagelöhner durchschlagen muss, wie von seiner freudigen Erleichterung, als er schließlich mit den geliebten Erzsébeth und Zsófia wiedervereint ist. Das alles transportiert der großartige Adrien Brody wirklich wunderbar, der mit seinen ungarischen Wurzeln für die Rolle prädestiniert scheint und uns im Original mit unglaublich authentischem Akzent abholt. Dass er sich mit seiner tiefgründigen Performance nicht im Geringsten hinter der ähnlich angelegten Oscar®-prämierten aus Roman Polanskis „Der Pianist“ (2002) verstecken muss, ahnen wir schon da, zeigt sich aber noch ausgeprägter in der zweiten Hälfte des Streifens, als ein Herzensprojekt alle Kraft seines extravaganten László aufzusaugen droht.
Zu dem kommt der fast zufällig, als der vermögende Industrielle Van Buren (Guy Pearce) sich seine Dienste für den Entwurf eines prestigeträchtigen, bombastischen Gemeindezentrums erkauft. Der entpuppt sich als genauso genial wie schwer zu realisieren und treibt den ambitionierten Architekten schnell in ein ungeahntes Spannungsfeld aus Besessenheit und Abhängigkeiten von der herablassenden Unternehmerfamilie, in der sich Van Burens Sohn Harry Lee (Joe Alwyn) als besonders durchtrieben herausstellt. Ungeheuer intensiv nehmen uns Corbet und vor allem Brody jetzt mit in Lászlós aufreibenden, scheinbar unendlichen Verwirklichungsprozess des im wahrsten Wortsinne brutalistischen Baus, der ihn vor immer neue Probleme stellt und ihn auch privat immer mehr an die Grenzen seiner Belastbarkeit führt.
Das ist nicht nur fein erdacht, sondern auch künstlerisch ungemein beeindruckend umgesetzt, wenn weite Panoramaeinstellungen und geradezu intime Nahaufnahmen die Wechselwirkung zwischen Fortschritt des Projekts und Konsequenz für den Menschen László spiegeln. Dass sich das Drehbuch nach der Pause ein wenig im Seelenleben des Architekten und seiner komplizierten Beziehung zu seinem Mäzen Van Buren verheddert, sorgt dann hinten raus doch für den einen oder anderen Leerlaufmoment in Corbets epischem Drama, das damit seine Länge nicht ganz rechtfertigt, mit seinem eindringlichen Künstlerporträt und einem grandiosen Adrien Brody in Oscar®-Form dennoch bestens unterhält.
Trailer:
Bewertung: 8 von 10 Punkten