
(© Connor Pritchard)
Am 28. Februar 2025 veröffentlicht Who Shot Scott seine neue EP “Brain (Side B)”, und hiermit schreibt der in Neuseeland lebende Künstler seine Geschichte weiter. Diese ist an sich schon spannend, kam Zaidoon Nasir – wie er richtig heißt – doch im Alter von nur zwei Jahren bereits mit seiner aus dem Irak fliehenden Mutter nach Moskau, um dann weiter nach Neuseeland zu ziehen. Dort lernte Zaidoon einen Freund kennen und zusammen arbeiteten beide lange an einer HipHop-Combo, bis der Kumpel plötzlich völlig überraschend wegzog und Zaidoon alleine da stand. Hieraus erwuchs sein Solo-Projekt Who Shot Scott.
Nach den EPs “Mercy”, “Mercy II” und “Mercy III” wechselte er das Thema und “Brain (Side A)” wurde veröffentlicht, der nun also “Brain (Side B)” folgt. In Neuseeland hat sich Who Shot Scott schon einen Namen erarbeitet, wurde er doch vom dortigen Rolling Stone in den Top 8 Artists des Landes gelistet, führte mit “The Loner’s Anthem” die College Radio Charts für vier Wochen an und gewann den Top 10 Award für den meistgewünschten Song des Jahres 2022. Mit den EPs wuchs aber auch seine internationale Fanschar stetig, und nach Support-Shows für Snoop Dogg und Yung Gravy sowie Headline-Touren durch Australien und Neuseeland in 2023 spielte er auch auf Festivals wie BIGSOUND, SXSW Sydney oder Music Matters Singapur.
Auf den 14 Minuten der neuen EP “Brain (Side B)” findet man fünf Tracks, die man als experimentellen, energetischen, mit Punk und Elektro gewürzten HipHop umschreiben kann. Mit “The Data” geht es krachig und treibend los, wenn Zaidoon zu wilden, durchaus mitreißenden Klängen verzerrt shoutet. Mit “Lil Bit Of Hot” geht es kraftvoll weiter, wobei Who Shot Scott hier dann auch ruhigere Rap-Flows einbringt, also nicht so sehr ausbricht – dies tut der Song mit seinen flotten Breakbeats stellenweise schon alleine.
Bei “Glitch Mfers” weiß man schnell, wofür Mfers steht, das er so anscheinend aber nicht im Titel haben wollte. Nun geht es im Tempo deutlich runtergeschraubt eher im abgroovenden Arschwacklersegment zu, wobei Zaidoon aber auch noch extrovertierte Sprachmomente mit einwirft. “U Scared” ist dann vom Start weg wieder progressiver und setzt auch erneut mehr auf verzerrte, laute Vocals zu tiefer Basslinie, die das Stück prägt, während die Beats hier kaum eine Rolle spielen. Den Abschluss bildet mit “Pack Steel” eine groovige Uptempo-Nummer, die wieder klarer im HipHop angesiedelt ist. Keine Frage, Who Shot Scott bietet ungewöhnlich experimentellen HipHop voller Energie, der zu packen weiß und man sollte ihn im Auge bzw. Ohr behalten.
Wir haben die Gelegenheit genutzt, dem interessanten Künstler einige Fragen zu seiner Musik zu stellen:
“Wenn ich schreibe, dann denke oder intellektualisiere ich nichts – es kommt direkt aus der Seele, direkt ins Mikrofon.”
MUM: Nach drei “Mercy”-EPs erscheint jetzt die zweite “Brain”-EP. Sind das alles Konzept-EPs mit bestimmten Schlüsselthemen, oder was ist der Grund für die Strategie der Benennung?
WSS: Ja, definitiv. Ich liebe es, mit übergreifenden Konzepten zu arbeiten und Dinge als Teil eines größeren, zielgerichteteren und bewussteren kreativen Ausdrucks zu schaffen. Bei der “Mercy”-Trilogie gibt es definitiv durchgängige Schlüsselthemen, aber anstatt eines bestimmten Themas, das “Brain” zusammenhält, geht es eher um den zugrunde liegenden kreativen Workflow und den Ort, aus dem die Musik kommt – meiner Intuition.
MUM: Basierte “Mercy” auf den Gefühlen, die du hattest, als dein Freund 2019 aus dem Nichts euer HipHop-Projekt verließ und dich allein zurückließ, du ganz von vorne anzufangen musstest?
WSS: Es war nicht nur eine Sache – es waren viele Dinge. Dieses Jahr meines Lebens war unglaublich transformierend. Die Art, wie ich mich mit der Welt identifizierte, war vor meinen Augen zerbrochen und zwang mich, meine Realität, meine Lebensweise und vor allem meine Einstellung zu meiner Reise als Künstler und Musiker in Frage zu stellen. Die EP-Trilogie “Mercy” war eng mit diesem Prozess verbunden. Es ging darum, mir selbst zu vergeben, wiederzuentdecken wer ich bin und wiedergeboren zu werden – und final zu mir selbst als Individuum, Person und kreativer Mensch zu finden.
MUM: Jetzt also “Brain”. Worum geht es in deinen Songs auf der neuen EP?
WSS: Bei den “Brain”-EPs ist es weniger wichtig, worum es in den Stücken geht, sondern vielmehr, was sie vermitteln. Diese Songs sind reine, intuitive Ausdrucksformen. Wenn ich schreibe, dann denke oder intellektualisiere ich nichts – es kommt direkt aus der Seele, direkt ins Mikrofon. Selbst wenn ich produziere, ist die Art, wie ich die Instrumente spiele und mit der Musik interagiere, äußerst ursprünglich und völlig intuitiv – 100 % intuitiv. Die Songs spiegelten einfach wider, was ich zu der Zeit durchmachte – den Stress, der mein Leben beeinflusste, die Paranoia, die mit dem Erfolg einhergehen kann, und die überheblichen Erwartungen der kapitalistischen Musikstruktur. Dieses System zwingt Künstler oft dazu, Inhalte zu erstellen und kompromittierte Versionen ihrer selbst online zu präsentieren, nur um vermarktbar zu sein, was ich absolut ablehne. “Brain (Side B)” taucht besonders in diese Richtung ein – es gibt ein starkes Thema der Antikonformität, und das ist genau das, was ich gerade durchmache.
MUM: Experimenteller HipHop, Alternative HipHop, Elektro-HipHop – wie würdest du deinen Musikstil beschreiben? Ich würde wahrscheinlich so etwas wie “mit Punk und Elektro gewürzter HipHop” wählen.
WSS: Es fällt mir wirklich schwer, meine Musik in eine bestimmte Kategorie einzuordnen, weil das einfach nicht meine Herangehensweise ist. Ich verstehe, warum Leute sie von außen auf bestimmte Weise beschreiben, aber für mich gilt: Ich mache einfach das, was sich richtig anfühlt. Vieles davon kommt natürlich von den Dingen, die mich geprägt haben – was ich als Kind gehört habe, die Filme und Videospiele, die ich geliebt habe, und all die verschiedenen Musikrichtungen, denen ich ausgesetzt war. All diese Einflüsse kommen auf eine Weise zusammen, die vielleicht punkig, nach HipHop oder elektronisch klingt, aber ich denke nicht wirklich so darüber nach, wenn ich etwas erschaffe. Es ist eher ein instinktiver Prozess, daher war es für mich immer schwierig, zu versuchen, es auf eine bestimmte Weise zu definieren.
MUM: Welcher der Songs auf “Brain (Side B)” ist dein Favorit und warum?
WSS: Ehrlich gesagt war jeder dieser Songs zu jedem Zeitpunkt mein Favorit – sonst hätte ich sie nicht fertiggestellt. Davon abgesehen höre ich mir aber am häufigsten “Lil Bit Of Hot” an.
MUM: Wenn du die neuen Tracks mit denen auf deinen früheren EPs vergleichst, wo siehst du die größten Unterschiede?
WSS: Das ist eher ein innerer Unterschied, aber für mich liegt die größte Veränderung in meinem Workflow und in meiner Beziehung zu der Kunst, die ich erschaffe. Bei meinen früheren EPs habe ich noch viel über Musikmachen, Produktion und Songwriting gelernt – und ich lerne bis heute dazu. Ich werde immer ein Schüler sein. Aber ich sehe diese früheren Projekte als eine Art Trainingsgrundlage, während ich jetzt das Gefühl habe, mich selbst wirklich als kreativen Menschen zu kennen. Ich weiß, was ich brauche, um künstlerisch Höchstleistungen zu vollbringen, sei es Meditation, Grenzen zu den Menschen um mich herum zu setzen, um die Außenwelt ruhig zu halten, oder bewusst Filme, Musik, Bücher und Medien zu konsumieren, um kreativ zu bleiben. Also ja, ich würde sagen, das ist der größte Unterschied – es ist ein sehr persönlicher.
MUM: In welchem Alter bist du nach Neuseeland gekommen und wie war es, dort aufzuwachsen?
WSS: Ich bin mit meiner Mutter nach Neuseeland gezogen, als ich zwei Jahre alt war, nur wir beide. Als ich aufwuchs, war es interessant, mich in der neuseeländischen Kultur zurechtzufinden, und als der Rest meiner Familie herzog, musste ich das Leben in einem eher traditionellen arabischen Haushalt mit der entspannteren, verwestlichten Umgebung außerhalb in Einklang bringen. Dieser Kontrast war definitiv eine Herausforderung, und ich fühlte mich oft von beiden Seiten missverstanden. Gleichzeitig glaube ich, dass diese Erfahrung mich dazu gebracht hat, mich in Film, Musik und Kunst im Allgemeinen zu verlieben. Ich fand Trost in diesen Welten – sie gaben mir ein Gefühl der Repräsentation und halfen mir, mich selbst zu verstehen. Obwohl es hart und manchmal sogar ziemlich traumatisch war, sehe ich es als Segen. Es hat mich geformt, meine Perspektive vertieft und ohne Zweifel meine Musik und Kunst auf wirklich bedeutsame Weise beeinflusst.
MUM: Neuseeland ist nicht unbedingt für seine Musiker bekannt? Die Leute kennen Lorde oder Benee, ältere sicher Crowded House, und ja, Keith Urban wurde dort geboren. Aber wie ist die Musikszene, und hast du je darüber nachgedacht, für deine Karriere woanders hinzuziehen?
WSS: Ehrlich gesagt ist Neuseeland ein wunderschöner Ort, um Musiker zu sein. Es gibt so ein starkes Gemeinschaftsgefühl in der Branche – die Leute unterstützen sich gegenseitig unglaublich, unabhängig von Genre oder Hintergrund. Es ist eine sehr integrative und erhebende Kultur, und Künstler hier werden nicht nur finanziell von der Regierung unterstützt, sondern auch in Bezug auf ihr Wohlbefinden, was ich für wirklich besonders außergewöhnlich halte. Aufgrund unseres langsameren Lebensstils und der Tatsache, dass es weniger Druck durch eine große, kapitalistisch getriebene Industrie gibt, habe ich das Gefühl, dass wir einige wirklich großartige Künstler haben, die alternative und experimentelle Musik machen. Als Künstler ist das alles, was man sich erhoffen kann – man ist an einem entspannten Ort voller Inspiration und wird von einer Branche unterstützt, die sich wirklich um psychische Gesundheit und Wohlbefinden kümmert. Natürlich bedeutet es, dass wir als kleines Land weltweit weniger Menschen von uns wissen, aber für mich ist dieser Kompromiss das absolut wert. Ich liebe es hier.
MUM: Mit “The Loner’s Anthem” hast du die neuseeländischen College-Radio-Charts angeführt. War das bisher dein größter Erfolg und wie entwickeln sich die Dinge deiner Meinung nach für dich als Künstler?
WSS: Mein größter Erfolg ist meiner Meinung nach, Musik zu schreiben, die mich als Künstler wirklich anspricht. Ich lege keinen großen Wert auf externen Erfolg oder Bestätigung auf der Grundlage von Zahlen oder Daten – diese Dinge interessieren mich nicht wirklich. Für mich bedeutet Erfolg, mit Absicht und Ziel zu leben und Kunst aus den richtigen Gründen zu schaffen. Es geht darum, mich dem Ziel zu widmen, der beste Künstler zu sein, der ich sein kann, rein um der Kunst willen. So definiere ich Erfolg und in dieser Hinsicht habe ich das Gefühl, dass sich die Dinge wunderbar entwickeln.
MUM: Du hast für Snoop Dogg und Yung Gravy eröffnet und auch auf einigen Festivals in Australien und Singapur gespielt. Gab es Gespräche über Shows in Europa oder irgendwo weiter weg?
WSS: Wenn du mit meinem guten Freund Oli – auch meinem Manager – sprichst, wirst du nichts anderes als Pläne für Shows auf der ganzen Welt hören. Ja, diese Dinge sind im Gespräch und ich glaube, dass alles zur richtigen Zeit passieren wird.
MUM: Was sind deine Pläne für 2025 nach der Veröffentlichung der neuen EP, was kommt als Nächstes – und gibt es auch die Idee, ein Album zu veröffentlichen, oder wirst du mit EPs weitermachen?
WSS: Ich bin fest davon überzeugt, dass Taten mehr sagen als Worte. Ich könnte zwar ewig über alle meine aufregenden Pläne reden, aber ich möchte dir im nächsten Jahr oder so viel lieber zeigen, was ich mit der Kunst meine, die ich erschaffe und teile. Alles Liebe!
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WSS: Who Shot Scott
MUM: Mucke und mehr
Mehr Informationen zu Who Shot Scott findet man auf whoshotscott.com und instagram.com/whoshotscott.