Home Film “Was Marielle weiß” – reizvolles Gedankenexperiment zum ehrlichen Umgang miteinander

“Was Marielle weiß” – reizvolles Gedankenexperiment zum ehrlichen Umgang miteinander

Autor: Mick

"Was Marielle weiß" Filmplakat (© DCM)

Was Marielle weiß

Darsteller: Laeni Geiseler, Julia Jentsch, Felix Kramer, Mehmet Atesci
Regie: Frédéric Hambalek
Dauer: 86 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: dcmstories.com/movie/was-marielle-weiss
Facebook: facebook.com/dcmstories
Instagram: instagram.com/dcmfilm
Kinostart: 17. April 2025


Alles fängt mit einer saftigen Ohrfeige an, die uns Frédéric Hambalek in der Eingangssequenz seines „Was Marielle weiß“ genüsslich in Nahaufnahme und Superzeitlupe vor Augen führt. Und das ist durchaus berechtigt, schließlich bildet die ja den spektakulären Ausgangspunkt des schwarzhumorigen Dramas, das im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale seine Premiere feierte und uns jetzt mit seiner reizvollen Grundidee zur Reflexion über den Umgang mit der Wahrheit im Alltag animiert.

Empfängerin ist die 13-jährige Marielle (Laeni Geiseler), die hier wegen einer Beleidigung von ihrer Freundin mit weitreichenden Konsequenzen eindrucksvoll eine geknallt bekommt. Denn die Schelle ist Auslöser dafür, dass Marielle fortan die Gedanken ihrer Eltern lesen kann und somit jederzeit sämtliche ihrer Handlungen mitbekommt, Big Daughter ganz ohne Technik sozusagen. Und was zunächst etwas befremdlich und versponnen anmutet, entwickelt als rein theoretisches Konstrukt rasch einen komischen Reiz, wenn Marielle beim Gespräch am heimischen Esstisch den Wahrheitsgehalt der elterlichen Aussagen anzweifelt.

Das spielt die junge Laeni Geiseler wirklich großartig, bringt uns mit ihren knochentrockenen Kommentaren, bei denen sie keine Miene verzieht, immer wieder spontan zum Lachen und die Eltern ihrer Marielle gleichzeitig ganz schön in Verlegenheit. Natürlich sagt man auch gegenüber seiner Familie zu Hause nicht immer ganz die Wahrheit, woher in aller Welt aber soll Marielle wissen, dass Mutter Julia (Julia Jentsch) bei einer Raucherpause im Büro mit ihrem Kollegen ungemein explizit sexuelle Fantasien teilt? Oder sich Papa Tobias (Felix Kramer) in einem Teammeeting ganz und gar nicht dominant gegen seinen nervigen Kollegen durchgesetzt hat, wie er es jetzt voller Stolz behauptet? Fragen, auf die nur Marielle die Antwort kennt, die nun auch ihre Eltern akzeptieren müssen, so unglaubwürdig sie auch klingen mag.

Definitiv Fakt ist jedenfalls, dass die Familie jetzt ein gewaltiges Problem hat, denn mit dem freien, zwanglosen Verhalten ist es erstmal vorbei. Verschwunden ist die Option der kleinen, unentdeckten Notlüge, mit der man die Familiendynamik zu Hause zur Not im Gleichgewicht halten kann, genommen allein durch Marielles rätselhaft erworbene Fähigkeit, die auf einmal zur reinen Wahrheit verpflichtet. Das müssen auch Julia und Tobias einsehen, selbst wenn sie sich mit dem Zugeben ihrer Lügen voreinander erst einmal deutlich schwertun und im Zwiegespräch miteinander das Problem bequem auf die Tochter abzuwälzen versuchen.

"Was Marielle weiß" Szenenbild (© Alexander Griesser / Walker + Worm Film / DCM)

Laeni Geiseler (© Alexander Griesser / Walker + Worm Film / DCM)

Und schon ist es angeworfen, Hambaleks geschicktes Jonglieren mit Vertrauensverhältnissen innerhalb der kleinen Familie, das klug zum Nachdenken über den eigenen grundsätzlichen Umgang mit der Wahrheit anregt und sich dabei trotzdem nicht allzu ernst nimmt. Viel gehört eigentlich nicht dazu, den genauso simplen wie inspirierenden Grundgedanken seines Drehbuchs zu einer passablen Handlung auszubauen, gestützt auf seine drei unheimlich authentisch agierenden Darsteller:innen aber gelingt es dem Regisseur hier mit einer wunderbaren Leichtigkeit, die uns ein Mitfühlen mit seinem Trio in der ständigen Überwachungssituation wirklich einfach macht.

Da werden sowohl Julia als auch Tobias schnell manipulativ und wollen sich verständlicherweise exklusiven Zugang zu den Diensten der Tochter sichern, die darauf – durch Pubertieren sowieso schon vorbelastet – bald überfordert reagiert. Also muss die Superkraft wieder verschwinden, und sei es durch absurd komisch inszenierte Rückabwicklung mit einer Ohrfeige. So einfach jedoch macht es Hambalek der Familie nicht, zieht dadurch nur eine weitere Ebene ein, denn letztendlich liegt es nur am bemitleidenswerten Medium Marielle, welche Informationen sie gewillt ist zu teilen.

Das kleine aber feine, augenzwinkernde Familienpsychogramm ist so gleichermaßen anspruchsvoll wie unterhaltsam, macht es sich trotz aller Situationskomik nicht zu leicht und animiert nebenbei erfrischend zum Philosophieren über Vertrauen und die Behandlung der Privatsphäre sowohl in Beziehungen als auch allgemein in unserer immer mehr überwachten Gesellschaft.

Trailer:

Bewertung: 7 von 10 Punkten

 

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