Wie jedes Jahr fand im hohen Norden Dänemarks das wohl bekannteste europäische Musikfestival statt, das Roskilde Festival … genau, in Roskilde, ein halbes Stündchen westlich von Kopenhagen, mit dem Auto. Selbiges sattelten wir am 1. Juli, um von Berlin pünktlich zum Festivalstart um 16.30 Uhr vor Ort zu sein. Ach ja, wir, das sind außer mir noch ein guter Kumpel Dirk, seine Freundin Leonie und ihre Freundin Mandy (die aber nicht meine welche ist, so rein sexuell gesehen, jedenfalls noch nicht, ha, ha).
Zwei Stunden Autobahn nach Rostock, schon geht es auf die Fähre nach Gedser, die aufgrund der Einstellung von zollfreien Verkäufen ab genau diesem 1. Juli mehr als leer ist, nur wenige Gestalten tummeln sich, die Restaurants sind bis auf eines alle zu, der ehemalige Duty Free-Shop wird neu ausgepreist. Meine Idee, daß der Zapfautomat für alkoholfreie Getränke in einem ehemaligen Selbstbedienungs-Restaurant, nur durch eine rot-weiße Kette als geschlossen deklariert, vielleicht ja noch funktionieren könnte, wird von mehreren Gratisdrinks gekrönt, nicht schlecht. In Dänemark angekommen düsen wir noch einmal knappe 90 Minuten hoch nach Roskilde, wo wir im Ort selbst erst einmal einen Hot-Dog verspeisen, bevor wir uns auf die Suche nach dem richtigen Eingang machen, dort wollen wir nämlich noch ein paar Leute treffen. Es folgt eine zwar lustige, aber nicht unbedingt hilfreiche Szene. Da ich weiß, wie die Straße heißt, in der unser Gate liegt, fahren wir rechts heran und ich frage einen Einwohner: “Sorry, could you please tell me the way to Bodystylervej (der hieß nicht wirklich so, den richtigen Namen habe ich aber vergessen…)?”. Prompt bekomme ich eine freundliche Antwort in bestem Dänisch, die für mich ungefähr so klingt: “Hö hun vos mö rö te lö … kei na mö”. Na toll! Mit einem ironischen “Alles klar, danke” fahren wir weiter, und während sich die anderen drei im Auto totlachen, frage ich einen andere Passanten. Das gleiche Spiel, mehrmals, schon komische Leute, die Dänen. Irgendwann finden wir die Straße dann durch Zufall, parken unser Auto auf einem zum Parkplatz umfunktionierten Acker und laufen mit Sack und Pack zum Campingplatz (etwa fünf Minuten).
Beim Einchecken bekommt man ein Bändchen um das Handgelenk, das man nun also vier Tage nicht mehr entfernen darf … wie man sieht, entfernen einige Freaks es gar nicht mehr, tragen sie doch noch diverse Bänder vergangener Jahre mit sich herum (so Wolle Petry-mäßig). Überraschenderweise treffen wir sofort die Leute, nach denen wir gerade zu suchen beginnen wollten. Da der Campingplatz schon gut voll ist, drängeln wir uns nicht irgendwo dazwischen, sondern schlagen unsere zwei Zelte neben dem von Meik aus Rendsburg (einer von denen, die wir treffen wollten) auf, am Wegesrand (mehrere befahrbare Wege durchkreuzen das Gelände), auch weit weg vom Zaun (dort müffelt es schon reichlich nach Urinausstoß), ein super Platz eigentlich. Kurz zu den Zelten: ich hätte mich nicht auf die Leihkünste meines Kumpels verlassen sollen, unser Zelt ist irgendwie zehn Zentimeter kleiner als ich, mehr so die Hundehütte also, während die Mädels (die sind ja nicht so groß) in ihrem anständig liegen und Meik ein wahres Schloß (groß, breit, einfach geil) unter dem Hintern hat. Na ja, im Schneidersitz nach hinten fallen lassen oder Embryonalhaltung einnehmen, dann geht das schon irgendwie.
Noch eine Stunde bis zur Eröffnung des Festivalgeländes, Zeit für einen Einstandsdrink. Jeder holt eine mitgebrachte Flasche (das Sortiment reicht von Bier über sauren Apfel bis zu Vanillelikör) heraus und stößt an, auf ein gutes Festival. Das Wetter spielt auch mit, es ist trocken und warm, optimale Bedingungen also. Dann ist es soweit, die Tore werden geöffnet, und nach einer Kontrolle durchwandern wir das Gelände, vorbei an den diversen Zelten (6 sind es, hinzu kommt die Hauptbühne, die Orange Stage) und Ständen (Essen, Getränke, Shirts, Schmuck … einfach alles, was man sich so denken kann). Schließlich erreichen wir das grüne Zelt, in dem Ministry kurz darauf das Festival eröffnen. Von draußen vor dem Zelt klingt alles etwas eintönig und bretternd, sehen tut man auch nicht wirklich viel, also entschließe ich mich, die anderen dort sitzen zu lassen und das Zelt zu entern. Im Inneren ist alles viel besser, man sieht die Jungs, der Sound ist viel besser, und es tobt ein anständiger Pogo, na dann mal rein da. Ministry spielen einen guten Gig, mit vielen reinhauenden Knallern und nur wenigen Songs, die zu hart oder schräg sind, und so habe ich im Pogokessel (ziemlich hart übrigens dort) meinen Spaß und transpiriere wie ein Elch. Nach dem Konzert gehe ich pitschnass und glücklich über einen gelungenen Einstieg in Roskilde ’99 zu den anderen Gesellen.
Etwas später, gleiches Zelt. Die Manic Street Preachers erklimmen die Bühne. Die Jungs legen eine einwandfreie Show hin, spielen ihre vielen Hits und lassen sich zu Recht feiern, eine großartige Band, wobei es mich allerdings wundert, daß das Publikum im jetzt vollen Zelt zu dem melodischen Rock der Combo häufig sogar hüpft, als würde gerade der Punk abgehen. Klasse Stimmung also, nichts dagegen. Kurz etwas zur Organisation in Roskilde. Der Ablaufplan, den jeder in einem Heftchen (mit kurzen Infos zu jedem Act) am Eingang beim Einchecken erhält, wird eingehalten, nichts also mit Verzögerungen. Die früheren Bands spielen vielleicht 45 Minuten oder eine Stunde, die bekannteren dann ruhig 90 Minuten, einige Hauptacts haben wohl freie Hand, wenn sie als letzte des Abends aufspielen.
Als nächstes ist Marilyn Manson zu Gast im grünen Zelt, um 21 Uhr, wobei allerdings klar ist, daß wir ihn nicht bis zum Schluß sehen werden, spielen auf der orangenen Bühne doch Metallica um 22 Uhr, und die wollen wir in keinem Fall verpassen. Bei Manson platzt das Zelt vor geschminkten Freaks und Schaulustigen aus allen Nähten, es wird nur gedrückt und gedrängelt, mit 0,0 Millimeter Platz zum Nachbarn, sehr unangenehm. Marilyn Manson spielt seine Songs herunter, ohne groß Spektakuläres zu bieten (ein Griff an seinen Schwanz ist ja nun nichts Neues mehr, oder!?!). Na ja, sollen die Freaks glücklich werden, wir hauen lieber ab Richtung Metallica.
Vor der Orange Stage ist es voll, sehr voll sogar, kein Wunder, sind Metallica doch auch Hauptact des Festivals, und alle angereisten 60.000 Besucher finden sich so langsam vor der Bühne ein. Optisch erwähnenswert übrigens die Flaggen, die von einigen, nicht wenigen Fans an langen Stangen in den Himmel gereckt werden … das sieht schon klasse aus, wenn über den Köpfen die Flaggen wehen, während sich vorne Metallica die Seele aus dem Leib spielen, was sie eindrucksvoll tun. Klassiker und neuere Songs sind gleichermaßen vertreten, das Publikum geht an diesem warmen Sommerabend voll mit, und das Konzert ist auch gut lang. Ein schöner Abschluß des ersten Tages.
Auf dem Campingplatz sitzen wir noch etwas gemütlich beisammen, bevor wir schlafen gehen. Am nächsten Morgen bin ich recht früh (8 Uhr etwa) wach und gönne mir für umgerechnet ca. 7 DM eine warme Dusche, dafür aber auch mindestens 20 Minuten. Beim Einseifen bemerke ich ein Andenken an den Ministry-Gig: einen fetten blauen Fleck, etwa so groß wie ein Rugby-Ei, links an der Hüfte – sieht krass aus, gerade hier unter der Dusche. Hier treffe ich auch Meik, der ebenfalls früh aus seinem Schlafsack gekrochen ist. Nach einigem Krach, den wir machen müssen, um die anderen wach zu bekommen, fahren wir gemeinsam nach Roskilde, Einkaufen ist angesagt. Ich hole mir die Grundausrüstung zum Campen: Salami, Käse, Brot, Wasser, Bier – was braucht man mehr. Im Ort ist natürlich der Bär los, weil Massen einfallen, um sich auszurüsten. Mir fällt auf, daß es viel zu viele Stände mit Marilyn Manson-Shirts gibt, die werden sie sicher nicht los (billig sind sie ja auch nicht). Nach dem Festival gibt es die Teile dann bestimmt zu Dumpingpreisen, was dazu führt, daß irgendwelche dänischen Opis mit “I’m the god of fuck” oder Omis mit “Bigger than Satan” herumlaufen … hi, hi! Wir essen noch Pizza und fahren mit dem Zug zurück auf’s Festivalgelände, welches eine eigene Station besitzt.
Den frühen Nachmittag beginnen wir wie gewohnt, mit netter Quatsch- und Trinkrunde, die allerdings nicht so lange dauert, spielen doch um 16 Uhr die Guano Apes. Die Band legt einen superguten Auftritt hin, das Zelt bebt, die Fans (auch die neu dazugewonnenen) hüpfen, die Stimmung ist prächtig. Für mich vielleicht der Gig des Festivals, so gut hätte ich die Band nicht erwartet. Bei “Lords of the boards” hält es keinen mehr, nun brennt die Luft. Klasse!
Nach dem Konzert verziehen wir uns erstmal wieder auf den Zeltplatz, um dort Party zu machen. Wir süffeln, wir singen, vorbeilaufende Typen singen mit (bevorzugt Ärzte- oder Hosen-Songs), wir spielen Fußball (oder sagen wir: schießen den Gummiball wild durch die Gegend) … und süffeln noch mehr. Nach einer halben Flasche Vanillelikör und einer ganzen Flasche Apfelkorn plus einigen Bieren (eines davon schütte ich, wie mir später berichtet wird, Dirk über den Kopf … na ja, soll ja gut sein für die Haare) bin ich ziemlich straff und unterhalte mich mit den drei Schwedinnen vom Zelt gegenüber, und zwar so angeregt, daß ich es ablehne, mit den anderen Richtung Skunk Anansie zu pilgern. Dort zieht es mich dann kurz darauf aber doch hin, schließlich will ich die Band um Sängerin Skin nicht verpassen. Der Auftritt (große Bühne, 21 Uhr) ist prima, die Stimmung ist es ebenfalls. Ich stehe ziemlich weit vorne und kippe meinem Nachbarn, wer immer das auch ist, und mir ständig die hereingereichten Wasserbecher über den Kopf, sehr angenehm.
Es folgt der Gig von R.E.M., der ja auch gut gewesen sein soll … ähm, also ich war schon dort, keine Frage, erinnere mich auch, “Losing My Religion” gehört zu haben, aber irgendwie war ich doch mehr körperlich dort als geistig, na ja, kein Wunder, wenn man den für vier Tage eingeplanten Alk schon am zweiten Tag in Partylaune weghaut. Wie dem auch sei, irgendwann wache ich auf, und sogar in meinem Zelt, das ist doch schon mal was. Gut, ich fühle mich schon noch recht matschig, aber einen Kopf habe ich nicht, komisch eigentlich, Aspirin habe ich nämlich nicht mehr geschluckt. Na egal. Ich gehe wieder Duschen, und wie ich mitbekomme ist es wieder so 8 Uhr, außerdem nieselt es. Danach gehe ich frühstücken in der Kantine eines nahgelegenen Tenniscenters. Zurück auf dem Zeltplatz sind dann auch die anderen langsam wach, wobei Meik nicht groß länger geschlafen hat als ich, nur eben noch in seinem Zelt saß, wegen des Regens eben.
Nachdem die anderen wach sind, hauen wir etwas Nahrung in uns hinein. Der Regen hat sich zum Glück erst einmal verzogen, und so verbringen wir einen ruhigen Vormittag. Das erste Konzert des Nachmittags für mich steuere ich alleine an, da die anderen keine Lust haben, sich Apoptygma Berzerk um 15 Uhr anzuschauen. Die Jungs (in coolem Schwarz mit Sonnenbrille auflaufend) legen einen guten Gig mit ihrem EBM/Synthie/Crossover hin, und auch wenn es nicht überragend voll ist, die Zuschauer im weißen Zelt haben ihren Spaß.
Zurück auf dem Zeltplatz pilgern die anderen gerade los, um sich Die Sterne anzuschauen, ich relaxe kurz und folge ihnen dann. Die Deutschrocker spielen ein solides Set und das Publikum im inzwischen volleren weißen Zelt würdigt dieses. Ach ja, hier mache ich auch die letzten Fotos des Festivals, denn leider geht mein Apparat kurz darauf kaputt, er zermalmt irgendwie den Film, woraufhin ich bei einer Rettungsaktion selbigen komplett belichte. Also keine Fotos aus Roskilde, na toll!
Anschließend verbringen wir wieder mal einige Zeit auf dem Campingplatz, hören dabei das Konzert von Suede von der großen Bühne herüberschallen, nicht schlecht. Während die anderen wieder einiges an Alkohol in die Kehlen entsorgen, halte ich mich damit an diesem Tag etwas zurück, irgendwie ärgert es mich doch, R.E.M. nicht so recht gesehen zu haben, das war wohl ein Gläschen zuviel gestern. Gegen Abend beginnt es wieder, zu tröpfeln, und während Dirk mit Leonie in unserem Zelt verschwunden ist, sitzen Mandy und ich mit Meik unter dem Vordach seinen Zelt-Monsters.
Um 1 Uhr nachts dann schließt ein Act den Tag auf der Hauptbühne ab, auf den ich mich schon lange freue, die Chemical Brothers. Im Nieselregen pilgern wir zu dritt zum Konzert, welches zu meinem Erstaunen supergut besucht ist, niemand scheint sich die Show der Jungs entgehen lassen zu wollen. Pünktlich zum Beginn verschwindet der Regen und die Party kann beginnen. Zu durchgängig schillernden Projektionen auf zwei große Videowände mixen die zwei Jungs aus ihren Hits ein prima tanzbares Set zusammen, auch gerne mal an den Geräten herumzwirbelnd, was sie nicht nur für die Optik tun, nein, man hört schon, daß hier gearbeitet wird. Während Mandy und Meik (ist eben nicht ihre Musik) sich verabschiedet haben, feiere ich vor mich hin, hüpfend, tanzend, je nach (Break-)Beat. Tolles Konzert, gefällt mir sehr gut.
Nach einer ruhigen Nacht, einer erneuten Dusche und einem relaxten Vormittag mit Beschau des gesamten Festivalgeländes (wo es doch einige Ecken gab, die ich noch gar nicht gesehen hatte) plus Kauf eines “Korn”-T-Shirts heißt es, langsam den Abschied einzuleiten, denn um 2 Uhr nachts geht bereits die Fähre in die Heimat, da Leonie am Montag arbeiten muß. Also Zelte abbauen und den ganzen Kram ins Auto. Dann mache ich mich zusammen mit den anderen um 15 Uhr auf vor die Hauptbühne, wo Altstar Blondie ihr Comeback weiterführt. Ihre Stimme ist immer noch klasse, doch optisch ist Blondie doch wirklich schon eher ein Oldtimer, und einige rockig-schwungvolle Bewegungen erscheinen dann doch leicht deplaziert. Egal, sie spielt alle ihre alten Hits plus einige neue Songs und legt somit ein gutes Konzert auf die Orange Stage, vor der sich eine eher beschauliche Schar versammelt hat.
Danach pilgern wir wieder auf den Campingplatz, der schon längst nicht mehr voll besetzt ist, es scheinen schon einige die Heimreise angetreten zu haben. Vereinzelt gehen Zelte in Flammen auf, woraufhin Wasserwagen sofort zum Löschen herbei eilen. Ein paar Leute scheint die Zerstörungslust zu packen, sie zerkloppen ihre (sind doch ihre, oder?) Pavillons und bilden Haufen mit Trümmern, aber alles eher harmlos. Schließlich gehen wir zu dem Konzert, welches für uns das letzte sein wird, Blur auf der großen Bühne. Auch wenn ich bei fast jeder Band das gleiche Lob loswerde, aber auch die Britpopper liefern einen guten Gig ab, mit einer gelungenen Mischung aus schmissigeren Songs und ruhigen bzw. psychedelischeren, ganz im Zeichen der aktuellen CD. Zum Schluß gibt es noch den Song, auf den alle gewartet haben, “Song 2”, mit zwei Minuten Tanzen plus Pogo zelebriert, großartiges Stück, immer wieder.
Das war es also, Roskilde 1999, mein erstes Festival dort. Zum Abschluß macht uns ein Mädel noch kostenlose Henna-Tattoos, da sie ihre Paste loswerden will … dauert einige Zeit, sieht aber gut aus. Wir verabschieden uns von Meik, dem Zeltplatz und Roskilde, setzen uns ins Auto und fahren heim. Auch wenn es etwas schade ist, daß man ob der Vielfalt und des Überangebots nicht noch mehr Bands sehen konnte, die Konzerte, die ich besucht habe, waren allesamt gelungen. Die Organisation des Festivals ist prima, hier kann nicht viel schiefgehen. Roskilde besitzt außerdem ein tolles Flair, man ist mit netten Leuten zusammen, hört gute Musik, hat viel Spaß. Eines ist jedenfalls klar: im nächsten Jahr bin ich wieder in Roskilde.