In den letzten Jahren stand das Festival ROCK AM RING nicht zwingend unter einem guten Stern. Die zwei Jahre im Exil auf dem Flugplatz in Mendig waren von Wetterkapriolen und damit verbundenen Unglücken bis hin zum Festivalabbruch 2016 geprägt. Die Rückkehr an den Nürburgring im letzten Jahr wurde dann von einer Terrorwarnung und dem damit verbundenen Abbruch des ersten Festivaltages samt Ausfall des Headliners Rammstein überschattet – wobei es trotzdem noch ein gelungenes Festival gab, hier unser Bericht vom letzten Jahr.
So hoffte nicht nur der Veranstalter Marek Lieberberg, dass man 2018 mal ohne K-Faktor, also eine Krise, auskommen würde und somit untermauern könnte, dass es auch noch mit reinem Fokus auf Musik und Spaß zugehen kann. Wie wir inzwischen wissen, bestätigte sich diese Hoffnung – wobei es Mitte der Festivalwoche noch leichte Zweifel gab. Da war zum einen eine deutliche Abkühlung des für diese Jahreszeit ja viel zu warmen Wetters angesagt, mit viel Regen und Gewitterwahrscheinlichkeit an den ersten beiden Tagen. Dies bewahrheitete sich glücklicherweise nicht, und doch gab es eine Warnung vor starkem Gewitter in der Nacht zum Freitag. Dank der bestens funktionierenden Kommunikationswege des Veranstalters über Social Media, Ansagen etc. waren alle Camper informiert, und so kam es zu keinen Verletzten und lediglich der nicht unübliche Regen und Schlamm waren unvermeidbar. Und dann waren da noch die Presse-Meldungen, aus einem Eifel-Zoo seien Tiger, Löwen, ein Bär und ein Jaguar ausgebrochen. Bevor allerdings hier Panik entstehen konnte, war klar, dass der Zoo nicht nur 50 km entfernt liegt, sondern die meisten Tiere doch nicht entkommen konnten – und der einzig entlaufene Bär (leider) erschossen wurde.
Als am Freitag dann also das Festival startete, gab es Entwarnung in jeder Hinsicht und die Musik konnte regieren. Dass es der Wettergott dieses Mal so gut mit den Konzerten meinen würde, war nicht abzusehen, aber vom Start der Konzerte am Nachmittag an gab es so gut wie keinen Regen mehr und das Wetter wurde immer besser, bis hin zu einem sonnigen Sonntag mit äußerst angenehmen Temperaturen.
Dass anstatt 87.000 Besuchern im letzten Jahr dieses Jahr “nur” 71.400 Besucher zum Ring gekommen waren, wirkte sich für selbige eher positiv als negativ aus – durch eine etwas stressfreiere Anreise oder Zeltplatzsuche und generell geringere Wartezeiten, und vielleicht auch durch etwas weniger Gedränge vor den Bühnen. Hierbei sollte aber betont werden, dass es trotzdem noch richtig voll wurde bei den angesagten Bands und hier keinerlei Publikumslöcher (die nicht Circle Pit oder ähnlichem geschuldet waren) zu beobachten waren. Ein sichtlich entspannter Marek Lieberberg erklärte in der Pressekonferenz am Sonntag, dass der Rückgang erwartbar gewesen sei, denn gerade das jüngere Publikum würde von den Eltern nach den vergangenen drei Jahren sicherlich teilweise nicht mehr ohne Bedenken zum Festival geschickt werden. “Ich denke, dass wir mit dieser Zahl unsere führende Rolle in der Festivallandschaft bestätigt haben”, so Lieberberg, der hinzufügte, gemessen an den Umständen sei die Resonanz überragend.
Nun aber zur Musik – und diese hatte es trotz zahlreicher Diskussionen über das Line-Up wieder in sich und dürfte jeden irgendwie zufrieden gestellt haben, der nicht mit völlig unrealistischen Vorstellungen zum Festival gereist war. 77 Bands oder Acts standen auf dem Programm, und es spricht ja durchaus für die Besetzung, wenn man öfters mal abwägen muss, was man sich denn nun anschaut, wenn zwei oder gar drei Bands, die man gerne sehen würde, parallel angesetzt wurden – und dank Ausdrucken oder der generell wieder sehr hilfreichen Festival-App verlor hier niemand den Überblick.
Der Freitag brachte auf der kleinsten Bühne, der Alternastage, HipHop mit Summer Cem, der Antilopen Gang oder Bausa, während es auf der zweitgrößten Bühne, der Beck’s Crater Stage, weitaus krachiger zuging. Ein erster Höhepunkt waren hier Babymetal aus Japan, die mit ihrer Mixtur aus bedrohlich weiß bemalter Death-Metal-Band und unschuldig aussehenden, niedlichen Mädchen wieder Spaß bereiteten und gut einheizten. Das Ganze ist schließlich nicht nur witzig, sondern auch musikalisch ansprechend dank netter Gesangsmelodien, die auf fette Riffs und Double-Bassdums treffen – und die Choreografien der Mädels bereiteten erneut viel Freude. Weitere Acts auf dieser Bühne waren Enter Shikari, A Perfect Circle, die mit viel Lob von den Besuchern bedachten Stone Sour und nachts dann noch Marilyn Manson, der sein starkes letztes Album untermauerte mit einem gut gelungenen Auftritt, dem auch ein Texthänger nicht groß schaden konnte – da hat man Manson schon weit schwächer gesehen.
Zum Highlight des Freitags auf der Hauptbühne Volcano Stage wurde jemand, den man in dieser Funktion vielleicht gar nicht erwartet hatte: Casper – mal ganz abgesehen von der nicht auf dem Programm stehenden, als Überraschung aber gerne genommenen Jägermeister Blaskapelle, die Zwischendurch für Party sorgte. Nachdem Jimmy Eat World die Bühne bereits angeheizt hatten und die Hessen von Milky Chance dann mit ihrem Folk-Groove-Elektro-Pop eine fast überraschend große Masse an Fans in hervorragende Laune versetzen konnten, überbrückten die Indie-Rocker Alt-J stimmungsmäßig noch etwas und waren auch weit weniger besucht, dann aber kam Casper. Dieser zeigte, dass seine Mischung aus Rap mit guten Texten und energetischer Musik live begeistert, auch weil Casper die ganze Bühne samt dem für ihn ja eigentlich verbotenen, für Jared Leto aufgebauten Laufsteg in die Menge optimal nutzte, die ganze Zeit rannte und sprang. Man fragte sich schon, wie Casper das über 90 Minuten hinbekommen würde, so eine Energieleistung zu bringen und dabei seinen typischen Brüll-Rap abzuliefern, aber es klappte, und so wirkte Casper weit rockiger als von vielen erwartet. Der sehr sympathisch daher kommende Casper war sichtlich glücklich und hatte mit Kraftklub-Frontmann Felix bei “Ganz schön okay” auch noch einen prominenten Gast am Start, der weit mehr noch gefeiert wurde als Drangsal, der später bei “Keine Angst” mitwirken durfte. Starker Gig!
Wenn Casper das Highlight war, spricht dies nicht für den eigentlichen Headliner des Abends, Thirty Seconds To Mars. Dass man bei einem Festival, wo die Zeiten ja normalerweise eingehalten werden, nicht zwingend mit 17 Minuten Verspätung auf die Bühne gehen muss, war noch der unwichtigste der Kritikpunkte. Was dann folgte, war eine reine Selbstinszenierung von Jared Leto. In einer Optik und Selbstherrlichkeit, die Jesus-Vergleiche in kaum einem Bericht vermeidbar machten, drehte sich alles, aber auch alles inklusive des dauerpräsenten Kameraflitzers der Telekom-360-Grad-Übertragung, um den Frontmann. Nun heißt ein Frontmann ja eigentlich so, weil er am Mikrofon etwas mehr im Mittelpunkt steht als der Rest der Band. Von diesem Rest gestand Leto allerdings lediglich seinem Bruder Shannon an den Drums einen wirklich sichtbaren Platz auf der Bühne zu. Das Bandmitglied an Keyboards, Gitarre und Bass (vmtl. stand hier eher nicht Tomislav Miličević auf der Bühne) hingegen wurde in die letzte hintere Ecke der Bühne verbannt, wohl um den Meister auch nicht irgendwie stören zu können – sowas sieht man sonst nicht und will man auch nicht sehen. Aber es war halt die Leto-Show, für die offensichtlich extra Fahnen (die man ansonsten nicht mit auf das Gelände nehmen darf) im Publikum verteilt wurden und bei der Jared dann viel mit dem Publikum interagierte, ob es nun ums Nachsingen von Schlachtrufen ging, ob eine weinende Russin auf die Bühne kommen durfte oder ob am Ende eine Masse von Zuschauern mit oben stand, als von einem Feuerwerk begleitet die Show beendet wurde. Das lenkte von der Musik ab, und trotz vieler Hits wie “This Is War” oder “Closer To The Edge” enttäuschte diese durchaus, wirkte viel zu konserviert, dazu war Leto auch gesanglich nicht immer einwandfrei und mit vielleicht knapp über 70 Minuten war auch die Länge eines Headliners nicht würdig. Somit lieferten Leto, Leto und Unsichtbar das einzige enttäuschende Konzert des gesamten Festivals ab, und das sah vielleicht auch der Wind so, der die vielen ins Publikum beförderten, großen Aufblasbälle in Sekunden zur Seite wehte – ein Konzert der Belanglosigkeit, trotz aller Effekthascherei.
Bevor wir auf den Samstag eingehen, kurz ein paar Worte zum Gelände und zur Organisation. Hier wurde wieder viel geboten, nicht nur durch den trojanischen Platzhirsch mit bestem Ausblick von Jägermeister, die Rockstar Villa zum Abhängen oder den Kirmesbereich Luna Park mit dem Fahrgeschäft Commander, einem Auto Scooter und einem Riesenrad, von dem aus man einen tollen Überblick über das Gelände hatte, was sich besonders nach Sonnenuntergang lohnte. Dazu kamen natürlich Verkaufsstände für rockige Shirts oder sonstige Utensilien, Piercing To Go und vieles mehr. Hinzu kam eine Masse an Fress- und Trinkbuden, wo man seinen Hunger und Durst bestens stillen konnte, mit einer äußerst abwechslungsreichen, multikulturellen Mixtur an Angeboten. Wie schon letztes Jahr waren auch die Ausgabestellen für Trinkwasser mit Fahnen gut gekennzeichnet, und generell hatten die Veranstalter mit ihren vielen Hinweisen und übersichtlichen Informationen das Mega-Event jederzeit im Griff.
Am Samstag ging es auf der Alternastage rockiger zu – Highlight waren hier Don Broco, die nachmittags um 17.40 Uhr angesetzt waren und mächtig gefeiert wurden, weit mehr als andere Acts auf dieser Bühne später. Auf der Beck’s Crater Stage bewiesen vorher schon Nothing More ab 15.10 Uhr, warum die Jungs um den starken Frontmann Jonny Hawkins dreifach für den Grammy nominiert waren. So richtig voll wurde es hier aber dann erst bei Body Count. Mit gewohnt grimmiger Miene begrüßte Ice-T die Zuschauer und lieferte mit seinen Jungs ein starkes Set ab, bei dem es auch einiges zum Schmunzeln gab bei den Ansagen zwischen den Songs – und wenn Ice-T mal schmunzelt, dann sieht er umso schelmischer aus. “Talk Shit, Get Shot” wurde dann zur Family Time ausgerufen, als Ice-Ts optisch ja sowieso auffallende Ehefrau Coco mit der zweijährigen Tochter auf die Bühne kam und die Kleine hier – ja, pädagogisch durchaus diskutabel – den Refrain mitsingen durfte. Insgesamt aber ein sehr anständiger Gig der Band. Die hier folgenden Bands sahen wir leider nicht, hörten über die Auftritte von Bullet For My Valentine, Parkway Drive und die ja immer tollen Avenged Sevenfold aber nur positive Stimmen.
Folglich widmeten wir uns der Volcano Stage, auf der Beth Ditto, die auch Gossip-Hits wie “Heavy Cross” spielte, mehr Fans anziehen konnte als Kettcar danach – und natürlich kamen mal wieder Diskussionen auf, warum diese nicht lieber auf einer kleineren Bühne spielen und ein dort gefeierter Act auf der Hauptbühne. Kaleo sahen wir auf Grund von Body Count nicht, danach aber bespielten Snow Patrol die inzwischen gut besuchte Volcano Stage, und die Schotten um Gary Lightbody brachten die Menge mit ihrer melodischen Rockmusik und Hits wie “Open Your Eyes” und “Chasing Cars” durchaus rasch auf ihre Seite und wurden gut gefeiert.
Das absolute Highlight des Abends aber, und für uns auch das Highlight des Festivals, waren mal wieder Muse. Im Gegensatz zu vielen Bands, die das Publikum vermehrt animieren mussten, feierten die Fans hier von der ersten Sekunde an unaufgefordert mit, sangen, sprangen und tanzten. Grund hierfür sind zum einen natürlich die hervorragenden Songs der Briten, von denen eine gute Auswahl verabreicht wurde, zum anderen natürlich die Präsenz des Frontmann-Prototyps Matthew Bellamy, der mit seinem Gesang und seinem unglaublichen Gitarrenspiel mal wieder zu begeistern wusste. Hinzu kam eine hervorragende Show mit tollen, abwechslungsreichen Projektionen, starken Lichteffekten, in die Luft geschossene Papierstreifen und Schnipsel-Kanonen – und Kollege Wind war ähnlich angetan, so dass er die großen Bälle von Muse dann auch wie geplant für einige Minuten über die Köpfe hüpfen ließ. Eine noch aufwändigere Produktion wie die im Rahmen der “Drones”-Hallentour war hier natürlich nicht möglich, aber für einen Festival-Gig war das Ganze schon sehr spektakulär, wobei der Fokus nie von der Musik abglitt. Ein überragendes, 90-minütiges Konzert von Muse, stimmungsvoll beendet mit “Uprising” und “Knights Of Cydonia”.
Am Sonntag entschieden wir uns für die Punkrock-Legenden von Bad Religion als Einstieg, die für 16.15 Uhr bereits eine beachtliche Menge an Fans vor die Hauptbühne lockten und einen gewohnt guten Gig ablieferten. Auf der Alternastage waren Bands wie Caliban und Meshuggah als Hauptacts angesetzt. Auf der Beck’s Crater Stage lieferten Chase & Status einen bewegungsfördernden Gig ab mit ihrer knalligen Mischung aus Elektro, Drum & Bass und Dubstep, wobei die Sänger mal per Videowand eingeblendet wurden, mal live vor Ort waren. Das passte zum guten Wetter, in der Sonne wurde bei angenehmen Temperaturen getanzt.
Weiter ging es hier mit den HipHoppern von Trailerpark, die eine gefeierte Show ablieferten – was sogar Foo-Fighters-Frontmann Dave Grohl dazu bewegte, während seines späteren Gigs “What is this Trailerpark shit?” zu fragen und zu erklären, dass er sich auf einem Fernseher den Gig der Jungs angeschaut habe, was durchaus nach Bewunderung klang. Ja, die Jungs um Alligatoah bereiteten jede Menge Freude, am Ende von “Bleib in der Schule” und “Sterben kannst du überall” gekrönt. RAF Camora sahen wir leider nicht, schauten dann aber bei Bilderbuch noch rein, die auch einen durchaus amtlichen Gig ablieferten, vielleicht sogar dem Event entsprechend rockiger als gedacht. Nachts sollten dann die Gorillaz noch als letzte Band auf der Beck’s Crater Stage das Festival beenden, deren Gig sahen wir allerdings nicht, da wir bereits auf dem Heimweg waren.
Also zurück zur Volcano Stage. Good Charlotte lieferten hier als Abend-Anheizer einen durchaus ansprechenden Gig ab, man kann ja auch einige Stücke der Brüder Madden gut mitsingen, wie “Girls & Boys” oder “Lifestyles”. Noch ersehnter war natürlich bei den meisten der Auftritt von Rise Against. Die Hardcore-Mannen aus Chicago spielten ein starkes Set, wie man es von Tim McIlrath und Co. gewohnt ist – wobei sie ihren Hit “Satellite” auch gleich als zweites Stück spielten, um spätestens hier jeden Fan in Stimmung zu versetzen, die mit Stücken wie “I Don’t Wan’t To Be Here Anymore” aufrecht erhalten wurde.
Bleiben noch die Foo Fighters als letzte Band auf der Hauptbühne. Ein zweieinhalbstündiges Konzert wurde angekündigt – und das wäre es sicher auch geworden, hätte Sänger Dave Grohl nicht seine Stimme eingebüßt. So gaben er und seine Mannen sich die größte Mühe, den Gig gut über die Bühne zu bringen und die Fans nicht zu sehr zu enttäuschen. Dies gelang dann auch, Hits wie “All My Life”, “Learn To Fly” oder “The Pretender” holten die Fans schon früh ab und die Stimmung war sehr gut. Dies, obwohl Grohl nicht alles aufbieten konnte – dafür sang das Publikum umso mehr, und auch Drummer Taylor durfte einige Male ran, wie beim Queen/Bowie-Cover “Under Pressure” oder bei “Stay With Me”. Insgesamt in jedem Fall ein fetter Gig, auch wenn er 20 Minuten früher endete als geplant ohne Zugaben – aber das waren dann ja immer noch mehr als zwei Stunden.
Ein Fazit: Rock am Ring 2018 brachte die erhoffte, auch vom Veranstalter Marek Lieberberg ansgesprochene Konsolidierung. Das Vertrauen in ein Festival, das auch ohne Probleme über die Bühne gehen kann, wurde zurück gewonnen, das Pech ist abgeschüttelt – und da am Sonntag ja bereits Die Ärzte als Headliner für 2019 verkündet wurden, kann das nächste Jahr kommen…
Mehr Informationen vom Veranstalter wie Fotos und News, vor allem dann auch zu Rock am Ring 2019 vom 7. bis 9. Juni, findet man auf www.rock-am-ring.com.