Home Film Falko Götz im Interview zur interessanten Kino-Doku “Stasi FC” (03/25)

Falko Götz im Interview zur interessanten Kino-Doku “Stasi FC” (03/25)

Autor: Tobi
Falko Götz (© SquareOne Entertainment)

Falko Götz nutzte ein Fußballspiel im Ausland für die Flucht aus der DDR
(© SquareOne Entertainment)

Am 27. März 2025 startet der interessante Dokumentarfilm “Stasi FC” (lies unsere Filmkritik hier) der Regisseure Daniel Gordon, Arne Birkenstock und Zakaria Rahmani über den Fußballverein BFC Dynamo Berlin, der vom Ministerium für Staatssicherheit der DDR und seinem Chef Erich Mielke unterstützt wurde und ab 1979 auch (aber nicht nur) deshalb zum Serienmeister der DDR-Oberliga wurde, im Kino. Einer der im Film berichtenden Zeitzeugen ist Ex-Fußball-Profi und -Trainer Falko Götz, der aus der Nachwuchsmannschaft des BFC Dynamo in den Profikader aufstieg und dort zu einem der Leistungsträger wurde, bis er am 2. November 1983 vor dem Europapokalspiel bei Partizan Belgrad zusammen mit seinem Mannschaftkollegen Dirk Schlegel die Möglichkeit zur Flucht in den Westen ergriff. Im Film redet er über seine Zeit beim BFC Dynamo und schildert, wie die beiden bei einem Einkaufsbummel dem Stasi-Aufpasser entkamen und sich in die bundesdeutsche Botschaft in Jugoslawien flüchteten, deren Bedienstete dann mit falschen Pässen eine Ausreise mit dem Zug über Österreich in die Bundesrepublik Deutschland organisierten.

Hier wurde Götz dann auch mit Hilfe von Jörg Berger an Bayer Leverkusen vermittelt, wo er nach einem Jahr Flucht-bedingter Sperre erfolgreich spielte, auch 1988 den UEFA-Cup gewann, wo er sogar ein Tor im Final-Rückspiel gegen Espanyol Barcelona erzielte. Weitere Stationen als Profi waren u.a. der 1. FC Köln, mit dem er zweimal Vizemeister wurde, und Galatasaray Istanbul, mit denen er zweimal türkischer Meister wurde, 1993 das Double holte. Nach Beendigung seiner aktiven Karriere 1997 bei Hertha BSC wurde Götz Trainer, u.a. auch bei der Hertha, die er in der Saison 2004/05 bis auf Tabellenplatz 4 und somit in den UEFA-Cup führte. Weitere Stationen waren TSV 1860 München, Holstein Kiel oder auch die Nationalmannschaft Vietnams.

In unserem Interview zur Doku “Stasi FC” spricht der sympathische Falko Götz, der inzwischen als Scout für Bayer Leverkusen arbeitet, über seine Zeit beim BFC Dynamo Berlin und seine damalige Flucht in den Westen:

“Zu meiner Zeit war es schon noch so, dass der Titel berechtigt war. Was später kam waren natürlich vor allen Dingen Schiedsrichterbeeinflussungen teilweise bis zur Lächerlichkeit hin.”

MUM: Falko, als du 1971 in die Jugendabteilung des BFC Dynamo gewechselt bist, gab es in den Folgejahren noch Überlegungen oder überhaupt die Option, im Männerbereich für ein anderes Team zu spielen?

FG: Der FC Vorwärts Berlin, mein allererster Verein, wo ich ab 1969 gespielt hatte, wurde aufgelöst, und der komplette Verein wurde verlagert nach Frankfurt/Oder, später bekannt als ASK Vorwärts Frankfurt/Oder. Für mich war das alternativlos von der Qualität, dass ich zum BFC Dynamo gegangen bin, nur die haben halt auch nicht jeden genommen. Das ist so die erste Art von Delegation gewesen, ich bin also zum BFC Dynamo delegiert worden, aber das auch mit meinem Einverständnis, weil das war zu der Zeit der beste Ausbildungsclub in Ost-Berlin, und deswegen lag es nah, da hin zu gehen, wenn die dich wollen.

MUM: Wie präsent war Erich Mielke damals schon?

FG: Das spielte gar keine Rolle, ich war neun Jahre alt, da gab es kein politisches Denken. Da war meinen Eltern wichtig, dass ich die Schule vernünftig mache, dass ich im Endeffekt eine vernünftige Auslastung habe, und der Verein mit seiner Ausbildung stand auch für sich.

MUM: Als später dann zehn Meisterschaftstitel in Folge geholt wurden, was war klar, dass das Ganze von der Stasi auch gepusht wurde, darum geht es ja auch im Film. Wie viel wurde innerhalb der Mannschaft über diese Einstufung als Stasi FC geredet, oder hat man sich das gar nicht getraut?

FG: Ich wäre vorsichtig mit der Aussage, dass es nur an der Stasi lag, dass der BFC Dynamo zehnmal Meister geworden ist. Ich habe die dritte bis fünfte Meisterschaft mitgemacht, da war die Beeinflussung noch nicht so groß. Sicherlich sind die Grundvoraussetzungen vorher in den 70er-Jahren gelegt worden, weil dort dann beschlossen wurden, dass sämtliche Top-Spieler, die der BFC Dynamo haben wollte, auch zum Verein zu gehen haben. Wir haben dann schon eine Mannschaft gehabt, die Top 3 in der DDR war, so dass auch zu meiner Zeit die Meisterschaftstitel in der DDR noch legitim waren. Die Dresdener haben altersmäßig immer mehr abgebaut, und wir haben eine sehr gute Nachwuchsausbildung gehabt. Aus meinem Jahrgang alleine sind vier Spieler als 19- oder 20-Jährige direkt in den Profikader gekommen. So möchte ich sagen, zu meiner Zeit war es schon noch so, dass der Titel berechtigt war. Was später kam waren natürlich vor allen Dingen Schiedsrichterbeeinflussungen teilweise bis zur Lächerlichkeit hin. Das ist uns Spielern eher unangenehm gewesen, denn wir hatten auch die Kollegen von Dresden, Magdeburg und Jena, die mit uns in der Nationalmannschaft zusammengespielt haben, und da war das natürlich ein Thema. Aber ich gleube, dass die Jungs nicht auf uns den Zorn hatten, sondern auf die Schiedsrichter und die Verbandsfunktionäre, die von der Stasi geleitet waren.

MUM: Später war es aber so, dass Mielke eine Präsenz im Verein hatte?

FG: Ich kann es nur bis 1983 sagen, und bis dahin war es so gewesen, dass der schon öfters mal runter kam in die Kabine nach gewonnenen Spielen, wenn da irgendwie eine Euphorie war. Ich kann mich nicht erinnern, dass er mal nach einem richtig schlechten Spiel in der Kabine war. Ich kann mich erinnern, dass wir zwei Meisterschaftsfeiern im Palast der Republik gemacht haben damals, wo er natürlich der Gastgeber war und wo auch Show-Stars eingeladen wurden. Da ist natürlich die Mannschaft geehrt worden und da gab es dann auch den persönlichen Kontakt, aber ich muss sagen, mehr als ein, zwei Sätze habe ich mit dem nie gewechselt.

MUM: Im Film ist die Rede von einem wöchentlichen Briefing zu Themen der Welt und wie man sie zu verstehen habe. Wie muss man sich dies vorstellen, wie in einem Klassenraum?

FG: Das war eine Politversammlung, die gab es in jeder Schule, in jeder Berufsschule, in jedem Betrieb. Die wurden organisiert von Leuten der Partei, die für Politveranstaltungen zuständig waren, und nach einer Stunde war jeder froh, dass es vorbei war – eher Monologe als Diskussion.

MUM: Du hast ab 1980 in der 1. Männermannschaft des BFC Dynamo gespielt, parallel auch im Nachwuchsoberligateam, wo du 1981/82 auch Torschützenkönig wurdest. Warum wurdest du nicht komplett zu den Männern geholt?

FG: Ich habe komplett mit den Männern trainiert, wurde aber nach Bedarf eingesetzt, bin da mehr und mehr als junger Spieler reingewachsen. Mit den Spielen kam dann die Entscheidung, dass ich die Qualität habe, oben zu spielen und oben zu bleiben. Das war ein ganz normaler Entwicklungsprozess, wie er auch hier bei jungen Spielern ist. Wir haben ja auch bei Bayer Leverkusen U19-Spieler, die schon oben mittrainieren und an die Männermannschaft heran geführt werden.

MUM: Lutz Eigendorf hatte sich 1979 in den Westen abgesetzt. Im Film ist von hämischen Gesängen wie “Wo ist denn der Eigendorf?” von Fans fremder Vereine die Rede. War das dauerhaft?

FG: Ich habe das gar nicht so mitgekriegt. In der Zeit war ich noch gar nicht immer in den Spielen dabei. Und natürlich war es so, dass wir alle Veröffentlichungen in den West-Medien nicht mitbekommen haben. Das war mal kurz ein Thema und es gab einen Zeitungsartikel, dass er die DDR verraten hat, aber Lutz Eigendorf war in der Kabine bei uns eigentlich kein Thema. Vielleicht bei den älteren, die ihn gut kannten, aber ich gehörte nicht zu diesen.

MUM: Im Film wird berichtet, dass nach der Flucht Eigendorfs aus Angst vor Nachahmern die ideologische Überprüfung der Spieler intensiviert wurde. War das noch ein Thema, als du in die erste Mannschaft kamst?

FG: Nein, aber das war ein Thema in meiner Stasi-Akte, als ich dann gesehen habe, wie viele Leute da über mich berichtet haben. Obwohl die Namen geschwärzt waren, konnte ich nachvollziehen, wer wer war – das war jetzt nicht so schwer, weil der Mannschaftsrahmen ja auch in der Zahl der Leute begrenzt war, und von daher war es für mich schon sehr sehr erstaunlich, wer da alles Berichte geschrieben hatte.

MUM: Das heißt die Stasi-Akte hast du eingesehen, sobald es ging?

FG: Das war Mitte der 90er-Jahre. Ich war glaube ich gerade fertig bei Galatasaray Istanbul, und dann bekam ich einen Anruf von der Gauck-Behörde, ich möge doch bitte mithelfen, da es auch Ermittlungen gegen IMs gab, und da versprach man sich durch mich noch ein paar Informationen.

MUM: Da gab es also auch für dich dann noch einige Überraschungen.

FG: Ja, das war nicht so einfach, da 16 solche Ordner durchzulesen. Das ging mir schon sehr sehr nah, aber gut, ich habe es überlebt.

MUM: Noch einmal zum Fall Eigendorf. War der zunächst noch eine Abschreckung?

FG: Nein, ich habe mich mit Eigendorf überhaupt nicht befasst. Der Fall hat in meinem Leben keine Rolle gespielt, weil die Nachrichtenlage bei uns in der DDR eben eine ganz andere war als im Westen. Lutz Eigendorf habe ich als Spieler der ersten Mannschaft wahrgenommen, da habe ich noch Nachwuchsoberliga gespielt. Dann war er weg. In der Bundesliga hat man dann zwar verfolgt, wo er nach dem Jahr Sperre spielte, in Lautern und Braunschweig. Ich wusste, dass er von Dynamo Berlin war, aber mehr hat es mich eigentlich auch nicht interessiert. Und wenn, dann war es für mich eher so, dass ich assoziiert habe: Der hat es geschafft, das könnte ich auch schaffen.

MUM: Und wie war es bei dem Fall der Dresdener Spieler Peter Kotte, Matthias Müller und Gerd Weber im Jahr 1981? Im Film klingt an, dass dieser schon als Abschreckung genutzt wurde mit Berichten, dass diese auf Grund ihrer Fluchtpläne entweder ins Gefängnis oder in die Armee kamen.

FG: Alleine durch den Film habe ich erst einmal die wahre Geschichte hierüber erfahren, von der gescheiterten Flucht mitbekommen. Uns ist das immer anders erzählt worden, und so habe ich jetzt erst die Hintergründe verstanden, dass das ein Fake-Angebot war und die Jungs einkassiert wurden, weil sie nicht sofort “nein” gesagt haben. Das ist sehr bitter und traurig.

MUM: Wie ist es euch erzählt worden?

FG: Bei uns wurde damals gesagt, dass das eine disziplinarische Maßnahme war, die mit der Entfernung aus dem Leistungssport geahndet wurde. Erklärungen brauchte man dafür in der DDR nicht.

MUM: Als 1982 die Eintrittskarten für das Europapokal-Duell des BFC Dynamo gegen den Hamburger SV größtenteils an Polit-Funktionäre statt Fans gingen, habt ihr als Mannschaft davon etwas mitbekommen?

FG: Das war ja eigentlich immer so. Bei Europapokal-Heimspielen gegen Top-Mannschaften war das Stadion voll, da wurden erst einmal im Ministerium die Tickets verteilt, da war im freien Verkauf nur wenig zu bekommen.

MUM: Wenn du sagst, Eigendorf habe keine Rolle gespielt, dann also auch sein Tod.

FG: Na ja, man hat es ja mitgekriegt. Wir haben in Berlin ja schon West-Fernsehen bekommen. Die Tatsache, dass er einen Autounfall hatte und ums Leben kam, die hat schon auch uns bewegt. Aber das Dümmste wäre gewesen, wenn man sich da öffentlich zu geäußert hätte.

MUM: Kam das bei euch aber auch so an, dass die Stasi da eventuell mit drin steckte?

FG: Nein, nein, gar nicht. Das war ein Autounfall, und in der aktuellen Berichterstattung war ja auch schnell die Rede von Alkohol. Es hat ja eine ganze Weile gedauert, bis da spekuliert und recherchiert wurde, und die ganzen Gerüchte drum herum habe ich dann erst im Westen wirklich mitbekommen. Jörg Berger war ja da sehr stark involviert, und ich hatte privat ja auch Kontakt mit dem.

MUM: Du sagtest, der Film hat für dich in puncto der Dresdener einiges aufgeklärt. Das heißt, der Film hat dir also auch noch ganz neue Erkenntnisse gebracht.

FG: Sagen wir mal so – die Machart des Filmes hat mich dazu bewegt, überhaupt mitzumachen. Es sind über mich schon mehrere Filme gemacht worden, aber das war jetzt nochmal ein ganz anderes Format und ich habe auch qualitativ das Gefühl gehabt, dass hierfür sehr stark und gut recherchiert wurde. Ich war dann auch interessiert, meine Geschichte selbst zu erzählen.

MUM: Mir gefällt, wie der Film mit seinen Archivaufnahmen und Interviews sowohl für Sportfans als auch Geschichtsinteressierte reizvoll ist.

FG: Ich finde auch, dass gewisse Sachen einfach aufgeklärt werden. Ich war eigentlich immer so in Anführungszeichen “derjenige, der es gschafft hat”. Zur Realität gehört aber natürlich auch, dass es viele nicht geschafft haben, und ich konnte mich da intensiv mit beschäftigen, die wahre Story mal von den Protagonisten selbst zu hören.

MUM: Du erzählst ja im Film auch nochmal von eurer Flucht, wie ihr in Belgrad in einem Kaufhaus in einer Schallplattenabteilung gewesen seid und die Chance genutzt habt. Wenn diese sich dort nicht ergeben hätte, hättet ihr einen Plan B gehabt?

FG: Nein, nicht konkret. In den zwei letzten Europapokalspielen war es einfach die Suche nach einer Gelegenheit, die uns als sicher erschien. Wir hätten sicher weiter gelauert und hätten einen Moment abgepasst, aber uns war in diesem Moment im Schallplattengeschäft schon klar, dass es funktionieren könnte. Du hattest als Spieler nie den Freiraum, alleine auf Shopping-Tour zu gehen, denn da waren immer zwei, drei Funktionäre mit. Das sind die, die auch im Ost-Berlin im Stadion die Tickets kriegen. Wenn wir da mal losgelaufen wären, hätten die nie eine Chance gehabt, uns zu folgen. Als wir dann im Schallplattenladen den Hinterausgang gesehen haben, dann haben wir uns gesagt: jetzt da hinten raus und dann Feuer, dann ab. Dann sind wir auch erst einmal zehn Minuten oder eine Viertelstunde gerannt, aber richtig gerannt, raus aus der Einkaufsstraße. Auf einmal standen wir dann vor dem Taxistand und sind dann ins Taxi, in die deutsche Botschaft. Der Taxistand war Zufall, unser Glück, sonst wären wir noch irgendwo herumgeirrt.

MUM: Wie hat man sich das vorzustellen mit den Stasi-Funktionären? Ihr wusstet immer, wer das ist? haben die sich vorgestellt?

FG: Das ist wie wenn hier ein Fanclub mitfährt auf eine Reise, den man am Flughafen trifft. Den einen oder anderen kennt man, weil er ja schon die eine oder andere Reise in den Westen mitgemacht hat. Da unterhält man sich auch. Genauso war das beim Shoppen. Uns wurde von vorne herein gesagt “niemand verlässt den Dunstkreis dieser zwei, drei Leute, die da mit sind” – haben wir halt doch gemacht, ups, haben wir uns halt nicht dran gehalten.

MUM: Als ihr dann in der Botschaft wart, falsche Pässe bekommen habt, hierauf warten musstet – wie bekommt man seinen Puls da wieder ruhig?

FG: Das war schon eine enorme Anspannung. In der Botschaft, bis der Botschafter sagte “los!”, das waren bestimmt eineinhalb oder zwei Stunden, aber selbst das war schnell, weil die auch sofort reagiert haben und meinten “Ihr müsst raus aus Belgrad, hier werden die alles absuchen, Bahnhöfe, Flughäfen und so. Umso schneller ihr hier weg seid, umso besser.” Damals gab es ja noch Gesamt-Jugoslawien, und dann haben die auf dem Weg das Konsulat in Zagreb informiert, dass wir die Fotos für die Passersatzpapiere dort fotografieren und diese dann ausgestellt bekommen, um sofort weiter zum Nachtzug von Ljubljana nach München zu kommen. Die sicherste Sache wäre Diplomatengepäck gewesen, aber da wäre erst nach 14 Tagen wieder ein Transport gewesen, wo wir hätten mitgehen können. Wir wollten aber sofort weg, und da haben wir dann gesagt, dass wir dieses Risiko gehen, zwischen Jugoslawien und Österreich sollte eigentlich nichts passieren. Der Botschafter sagte: “Damit ihr euch einfach sicher fühlt, geben wir euch zwei Leute von der Botschaft mit. Die bleiben bei euch, bis ihr in Sicherheit seid.”

MUM: Das heißt die haben euch dann im Auto nach Ljubljana gefahren.

FG: Richtig, und da sind wir dann in den Zug rein, weil der fuhr nach München. Uns wurde gesagt, wir könnten entweder in Villach aussteigen oder bis München durchfahren, weil die Grenze von Österreich zu Deutschland sicher kein Problem sei. Zur Not hätten wir uns dort ja auch zu erkennen geben können.

MUM: Im Film heißt es, dass es an der Grenze zu Österreich dann nochmal spannend wurde.

FG: Ein bisschen Adrenalin, ja, aber es war im Endeffekt komplett harmlos. Die haben in die Passersatzpapiere reingeguckt, haben gefagt warum wir die haben, wo wir dann erzählten, dass uns das Gepäck gestohlen wurde und wir uns daraufhin entschlossen haben, sofort wieder nach Deutschland zurück zu fahren.

MUM: Dirk Schlegel hat ja mal erzählt, dass ihr in München dann erst einmal mit einem Weißbier angestoßen habt.

FG (lacht): Sozusagen, ja, zum Frühstück.

MUM: Wie aber war das Gefühl, Familie zurück zu lassen? Im Film wird ja gesagt, dass ihr niemanden eingeweiht hattet.

FG: Nein, unmittelbar nicht, aber meine Eltern wussten schon, dass ich meine Zukunft in der Bundesliga sehe, und sie haben mich auch bestärkt darin. Von Kindesbeinen an waren Dirk und ich top in unserem Jahrgang, mit allem drum und dran, ob das im Club war, in der Jugend-Nationalmannschaft oder sonst irgendwo. Deswegen war die Gier danach groß, sich in der Bundesliga beweisen zu können.

MUM: Hattest du vorher schon Kontakt zu Jörg Berger?

FG: Er war mein Trainer früher. Damals gab es diese U15/U16-Nationalmannschaft noch nicht, sondern die vorbereitende U18. Für U18 und U20 gab es damals die Welt- und Europameisterschaften. Und da gab es eine U17, die für das übernächste Jahr vorbereitet wurde – und in der habe ich mit Jörg Berger zusammengearbeitet. In der U18 gab es damals einen festen Trainer, der dann immer die fertigen Mannschaften übernommen hat, und da hatte ich den Jörg kennengelernt.

MUM: Für dich war dann auch klar, dass ihr euch an Jörg Berger wendet nach der Flucht?

FG: Ja.

MUM: Und der hatte dann direkt Leverkusen vorgeschlagen?

FG: Das Gute war, du kamst als Flüchtling ja ins Notaufnahmelager Gießen, und der Jörg hatte damals bei Hessen Kassel als Trainer gearbeitet, und da waren die Wege nicht so weit. Wir konnten uns relativ schnell absprechen. Es gab eine Menge Angebote, aber er sagte, Leverkusen sei mit Dettmar Cramer als erfahrerem Trainer und Reiner Calmund als Manager im Aufwind als Verein, der die Entwicklung gemacht hatte, nicht mehr im Abstiegskampf zu sein, sondern sich ins vordere Drittel gearbeitet hat, ambitioniert für die Zukunft. Das war ja genau das Richtige für uns.

MUM: Das eine Jahr Sperre war dann aber ja sicher blöd.

FG: Es war blöd, aber andererseits hat es mir geholfen, mich hier einzuleben, mich an Tagesabläufe zu gewöhnen, mir ein vernünftiges Zuhause aufzubauen. Das Jahr ging sehr sehr schnell vorbei, weil man dann ja im Trainingsrhythmus war, dazu zwei Trainingslager. Im Sommer konnte man sich dann schon vorbereiten, weil im Herbst war ich dann frei, und ich habe ja auch direkt im allerersten Spiel nach der Sperre meinen Einsatz bekommen.

MUM: Hattest du irgendeine Möglichkeit, herauszufinden, was Zuhause los war, mit deinen Eltern und so?

FG: Ja ja. Meine Eltern sind zu Freunden gegangen, haben von da mit mir telefoniert, und wir haben über Umwege Telefonnummern genutzt, die zwar immernoch abgehört wurden, die man aber nicht sofort blockieren konnte. Über Freunde meiner Eltern in West-Berlin habe ich Telefonnummern bekommen, die ich zu bestimmten Uhrzeiten anrufen konnte, das hat funktioniert.

MUM: Das heißt für deine Eltern gab es keine Repressalien?

FG: Na ja, die sind schon verfolgt und verhört worden, aber nach 14 Tagen war das dann auch vorbei oder zumindest nicht mehr wahrnehmbar. An meine Eltern sind dann Leute angeschleust worden, das waren über zehn, zwölf Jahre mit ihre besten Freunde, die haben Berichte geschrieben.

MUM: Das war im Film ja auch ein krasser Fakt, dass die Frau von Lutz Eigendorf nach seiner Flucht und Zwangsscheidung dann im Endeffekt von einem Stasi-Spitzel geheiratet wurde, um nahe an ihr dran zu bleiben.

FG: Ja.

MUM: Es heißt, bei Eigendorf habe man ihm gegen Amnestie angeboten, dass er zurück kommen können. War das bei euch auch so?

FG: Innerhalb der ersten 48 Stunden wurde uns das angeboten vom Rechtsanwalt Vogel, der in unsere Geschäftsstelle kam, mit einem Brief meiner Mutter. Aber ich hatte mit ihr vorher schon telefoniert und sie meinte, ich bekäme einen Brief, den ich nicht ernst nehmen sollte.

MUM: Für ein Spiel bei Dukla Prag im Oktober 1986 wurde dann eine Sicherheitsgarantie für dich bei den tschechischen Behörden angefragt, die verweigert wurde. Hättest du dieser denn getraut?

FG: Nein. Die Tschechen haben es ja recht simpel gemacht und mir gesagt, dass ich auf Wunsch der DDR eine unerwünschte Person im Land sei. Die haben das aber sehr diplomatisch gemacht und mir mitgeteilt, dass sie auf Grund der Beziehungen zum Brudervolk in der DDR keine diplomatischen Schwierigkeiten mit diesem haben möchten. Drei Jahre später ging es dann, mit dem 1. FC Köln beim Spiel gegen Plastika Nitra, aber da lag der ganze Ostblock schon in Trümmern.

MUM: Du warst ja dabei, als Bayer Leverkusen 1988 UEFA-Cup-Sieger wurde. Ist das dein größter sportlicher Erfolg gewesen?

FG: Ja, von der Wertigkeit sicher, aber ich bin halt auch türkischer Meister geworden, und ich muss auch ganz ehrlich sagen, dass mir auch die DDR-Meistertitel einiges bedeuten, weil ich da auch meinen Beitrag zu geleistet habe. Jeder Titel ist für einen Sportler ein tolles Gefühl.

MUM: Wie siehst du deine Karriere rückblickend generell?

FG: Es ist eine Genugtuung. Wenn ich heute sehe, was für eine weitreichende Entscheidung ich als 21-Jähriger gefällt habe – ich habe da schon öfters an die Glückstür geklopft. Am Ende des Tages lief das schon sehr reibungslos und hat das bestätigt, was viele Experten mir zugetraut haben, nämlich eine große Karriere im Fußball. Was mir natürlich dann irgendwo gefehlt hat war hier die Nationalmannschaft, weil ich in der DDR da schon einige Rekorde aufgestellt habe, was Einsätze, Tore und so anging. Das hätte ich schon gerne auch hier noch einmal erlebt, in einem gesamten Deutschland, aber das war dann halt leider zu spät für mich. Meine Generation ist 1990 Weltmeister geworden, ich habe mit fünf Weltmeistern in Köln zusammengespielt. Ich weiß, dass es auch eine Anfrage gab vom Verband, mich zumindest im Vorfeld der WM zu testen. Mehr möchte ich mir jetzt nicht ausmalen, ob ich es geschafft hätte, aber wie ich mich kenne hätte ich da noch einmal eine Spur drauflegen können – aber gut, das sollte dann nicht sein. Ich kann aber trotzdem sagen, dass meine Karriere als Spieler sensationell war, dann als Trainer, und ich arbeite heute noch im Bundesligafußball, also alles gut.

MUM: Nach den Jahren beim 1. FC Köln bist du zu Gala gegangen, um noch ein ganz anderes Abenteuer zu erleben?

FG: Na gut, ich habe mich gefragt, was ich denn in der Bundesliga noch erreichen kann. Der 1. FC musste mich verkaufen, weil die erste größere Finanzkrise anfing und ich der einzige Spieler war, für den sie auch ein bisschen Ablöse bekommen haben. Dann gab es ein Angebot aus Portugal und eben von Karl-Heinz Feldkamp und Galatasaray. Da lag das natürlich nahe, ein Verein, der international spielt, eine gute Chance auf Titel hat – wir haben ja dann auch drei Titel geholt. Da habe ich dann mit 30 Jahren auch gedacht, das ist noch mal ein anderes Highlight, und das war mit die schönste Zeit, die ich im Fußball erlebt habe.

MUM: Würdest du noch einmal als Trainer arbeiten?

FG: Nein, das möchte ich nicht. Das hat jetzt mit meinem Job hier bei Bayer Leverkusen zu tun. Es wird überall geschrieben, ich sei im Nachwuchs tätig, ich bin aber in der Lizenzabteilung tätig, als Scout. Ich bin mit mehreren Kollegen dafür zuständig, Vorschläge für die Transfers des Managements für die Lizenzmannschaft zu machen. Ich arbeite also nur für die Profis und habe da sehr sehr viel Spaß bei. Ich bin im Top-Fußball dabei, darf mir Spiele in ganz Europa anschauen auf allerhöchster Ebene, und deswegen, ich werde diesen Job machen, bis ich mich selber entscheide, Schluss zu machen. Ich werde keinen Ortswechsel mehr machen, habe eine komplette Identifikation mit Bayer Leverkusen und den Aufgaben, die mir hier gestellt werden.

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FG: Falko Götz
MUM: Mucke und mehr

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