Home Film “Anselm – Das Rauschen der Zeit” – Wim Wenders’ tolles Porträt des beeindruckenden Künstlers Anselm Kiefer

“Anselm – Das Rauschen der Zeit” – Wim Wenders’ tolles Porträt des beeindruckenden Künstlers Anselm Kiefer

Autor: Tobi


"Anselm – Das Rauschen der Zeit" Filmplakat (© 2023 DCM)

Anselm – Das Rauschen der Zeit

Dokumentarfilm
Regie: Wim Wenders
Dauer: 93 Minuten
FSK: freigegeben ab 6 Jahren
Website: dcmstories.com/movie/anselm
Facebook: facebook.com/dcmstories
Kinostart: 12. Oktober 2023


Kunstinteressierten muss man Anselm Kiefer nicht lange vorstellen. Wie kaum ein anderer hat der 1945 geborene Maler und Bildhauer die Szene mit sehr unterschiedlichen Werken geprägt und gehört dank weltweiter Erfolge und Belobigungen zu den bekanntesten deutschen Künstlern nach dem Zweiten Weltkrieg, ist definitiv einer der herausragenden zeitgenössischen. Zahlreiche Auszeichnungen erhielt Kiefer im Laufe der Zeit, zuletzt dieses Jahr erst das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und den Deutschen Nationalpreis.

Ihm, der seit 1993 größtenteils in Frankreich lebt und arbeitet, der aber auch in Salzburg einen Wohnsitz hat und dem 2018 zusätzlich die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, widmet sich nun Wim Wenders und setzt ihm mit seinem durch gespielte Szenen bereicherten Dokumentarstreifen “Anselm – Das Rauschen der Zeit” noch zu Leb- und Schaffens-Zeiten ein filmisches Denkmal. Natürlich könnte man dieses auch irgendwann zu Hause auf dem Fernseher anschauen, wer aber auch nur annähernd Interesse an Kiefer oder Kunst hat, sollte sich das Werk nicht im Kino entgehen lassen, wo in 3D-Qualität und 6K-Auflösung ein ganz besonderes Erlebnis geboten wird, das sich lohnt.

Passenderweise kunstvoll nähert sich Wenders Kiefer schon zu Beginn, als er einige seiner lange Frauenkleider mit verschiedenen anderen Elementen verbindenden Skulpturen im Zusammenspiel mit der der Ruhe und Schönheit der Natur, dem Sonnenlicht und Opernklängen erst einmal nur wirken lässt, geschickt in 3D eingefangen. Man ist sofort fasziniert und interessiert, mehr über den Künstler zu erfahren, und dies tut man, wenn Wenders einen durch das Leben und Schaffen Kiefers führt. Hierfür nutzt er limitiert dokumentarisches Material, vermehrt seine Kunst, mal Zitate von Kiefer selbst oder auch schauspielerische Szenen, in denen wir seinen Großneffen Anton Wenders als Anselm Kiefer im Jungenalter sehen, und der Künstler-Sohn Daniel Kiefer agiert als sein Vater im jungen Mannesalter.

Anselm Kiefer selbst wird nicht nur beobachtet oder interviewt, sondern auch mal in Bildkompositionen in Szene gesetzt, gerne Zigarre rauchend, hier und dort. Dies wirkt vielleicht etwas selbstverliebt, vermutlich entsprach er hiermit aber nur den künstlerischen Ideen von Wenders, und diese ergeben insgesamt in jedem Fall einen Film, der sich hervorragend anschauen lässt. Der Mensch Anselm Kiefer bietet viel Interessantes, mit seiner Geschichte und seiner Weiterentwicklung von den Anfängen als Kunststudent und erstem Kontakt zu Joseph Beuys über Stationen in Hornbach und Buchen im Odenwald, bis er 1993 nach Frankreich übersiedelte, wo er auch an diversen Orten schon aktiv war.

"Anselm – Das Rauschen der Zeit" Szenenbild (© 2023 Road Movies)

(© 2023 Road Movies)

Wir erfahren einiges über den Einfluss von Wagners Nibelungen-Zyklus oder der Poesie von Paul Celan und Ingeborg Bachmann auf seine Kunst, die auch hier und dort in Schriftzügen zitiert werden, und über Kiefers anfangs kontrovers diskutierte Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte, wo es ihm um Enttabuisierung ging und um Hinterfragung von Heldensagen. Nicht umsonst sorgte er schon zu Beginn seiner Karriere für heftige Reaktionen, als er sich 1969 für ein Buch als Performance an verschiedenen Stätten Europas mit Hitlergruß fotografieren ließ und dies als “Besetzungen” veröffentlichte. Dass Kiefer keine braunen Tendenzen in sich trägt, wurde schnell klar, und so ging er seinen Weg, stellte geschichtliche Katastrophen dar, widmete sich der Mythologie, ließ auch orientalische oder jüdische Elemente mit einfließen, ebenso wie Philosophie, Wissenschaft und Religion.

Dass es hierbei nicht nur um Bilder ging, macht Wenders vom Start weg mit den Skulpturen deutlich, und dann gibt es noch so viel mehr zu bestaunen im umwerfend kreativen Kosmos Kiefers, der dicke, kaum tragbare Bücher aus Metall kreierte, Fotografien machte, Texte verfasste, mit besonderen architektonischen Bauwerken Landschaften in Kunst verwandelte, Labyrinthe aus Wegen und Tunneln schuf oder mit Haaren, Pflanzen und Stroh – auch gerne für Brandwerke genutzt – arbeitet. Man kann sein immenses Schaffen und seinen Ideenreichtum kaum umreißen, und doch gelingt Wenders dies gut, in tollen Bildern. Diese wissen einen immer wieder zu faszinieren, durch das Entstandene, aber auch die unglaubliche Größe der zu Ateliers gewordenen Hallen, die man bestens begreift, wenn Kiefer plötzlich ziemlich klein durch die Gänge radelt, seine riesigen Werke auf Rollen von mehreren Mitarbeitern umher geschoben werden oder Hubwagen genutzt werden, um dem Ganzen Herr zu werden.

Mehr als zwei Jahre lang folgte Wim Wenders den Spuren Anselm Kiefers und dem Künstler selbst. Herausgekommen ist ein großartiger, optisch ebenso wie inhaltlich begeisternder Dokumentarfilm, bei dem 3D-Effekte auch nicht überspannt eingesetzt werden, sondern genau in richtiger Dosierung, um den Erlebnisfaktor zu steigern. Ein toller Film über einen unglaublich interessanten, außerordentlich kreativen und sehr intelligenten Künstler.

Trailer:

Bewertung: 9 von 10 Punkten

 

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