Home Film “Berlin Alexanderplatz” – die Verlegung der Geschichte ins heutige Berlin funktioniert ganz hervorragend

“Berlin Alexanderplatz” – die Verlegung der Geschichte ins heutige Berlin funktioniert ganz hervorragend

Autor: Mick

"Berlin Alexanderplatz" Filmplakat (© 2020 eOne Germany)

Berlin Alexanderplatz

Darsteller: Welket Bungué, Albrecht Schuch, Jella Haase, Joachim Król
Regie: Burhan Qurbani
Dauer: 183 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: deinkinoticket.de/berlin-alexanderplatz
Facebook: facebook.com/eOneGermany


Alfred Döblins vielschichtiger, 1929 erschienener Roman „Berlin Alexanderplatz“ gilt genauso als Meilenstein der deutschen Literatur wie als eigentlich unverfilmbar. Denn seine poetische Geschichte des Außenseiters Franz Biberkopf, der in den ohnehin wirren 20er Jahren der Weimarer Republik ein ums andere Mal vom Strudel der gnadenlosen Gesellschaft unter Wasser gezogen wird, lädt zu allerlei philosophischer Interpretation ein, die sogar Bezüge zur griechischen Mythologie zulässt. Es wundert daher nicht, dass sich neben Piel Jutzi 1931 einzig Rainer Werner Fassbinder 1980 an den großen Stoff wagte, dem er mit einer sage und schreibe 13-teiligen Fernsehserie gerecht zu werden versuchte.

Nun transplantiert Burhan Qurbani („Wir sind jung. Wir sind stark.“) die Geschehnisse in seiner Adaption „Berlin Alexanderplatz“, die schon auf der diesjährigen Berlinale für reichlich Furore sorgte, ins Berlin der Gegenwart und lässt den Geflüchteten Francis (Welket Bungué) die Rolle des Franz Biberkopf einnehmen. Der ist auf seinem Weg von Guinea-Bissau über das Mittelmeer gerade so mit dem Leben davongekommen und strandet anschließend völlig mittellos in einer Berliner Flüchtlingsunterkunft. Wie seinen Mitbewohnern geht es ihm zunächst einmal allein um ein würdiges Leben, das ihm nur durch ein eigenes Einkommen möglich scheint. Mit hohen Moralvorstellungen ausgestattet widersteht er anders als viele seiner Leidensgenossen den Verlockungen des schnellen Geldes, das ihnen im Wohnheim der durchtriebene Dealer Reinhold (Albrecht Schuch) verspricht, und lässt sich nicht zum Verkauf von Drogen in der Hasenheide verleiten. Doch auch er kommt mit Schwarzarbeit vom Pfad der Tugend ab und erhält durch den Arbeitsunfall eines Kollegen einen ersten Schicksalsschlag.

Ähnlich der Romanfigur Franz Biberkopf bleibt auch ihm danach am Rande der Gesellschaft trotz bester Absichten kaum eine andere Möglichkeit, als sich auf die Vorzüge der Kriminalität einzulassen und er wendet sich in seiner Not an Reinhold, der ihn vielsagend sogleich in Franz umtauft. Zwar belässt er es zunächst bei Essenslieferungen an Reinholds Dealerschar, jedoch gerät er dabei schnell in den Dunstkreis der Unterweltgröße Pums (Joachim Król), die schnell sein Potenzial erkennt und ihn mit gezieltem Druck immer tiefer in den Sumpf des Verbrechens hineinzieht. Eine helfende Hand bekommt er allenfalls durch die Clubbesitzerin Eva (Annabelle Mandeng) und ihre Freundin Mieze (Jella Haase) gereicht, die seinen guten Charakter erkennen und versuchen, ihn dem Einfluss der Gangster zu entziehen.

"Berlin Alexanderplatz" Szenenbild (© 2019 Sommerhaus/eOne Germany / Foto: Stephanie Kulbach)

Mieze (Jella Haase) nimmt sich Francis (Welket Bungué) an. (© 2019 Sommerhaus/eOne Germany / Foto: Stephanie Kulbach)

Qurbani gelingt es meisterhaft, Döblins Geschichte des immer wieder scheiternden Franz Biberkopf ins jetzige Berlin zu transportieren und dabei den Finger in die Wunde gesellschaftlicher Verwerfungen zu legen. Dass er in seinen fünf Kapiteln – auch der Roman ist ja in neun Bücher unterteilt – immer wieder Fragen zur Alternativlosigkeit von Francis Handeln aufwirft, verleiht seiner Version eine Tiefe, die der Vorlage in allen Belangen gerecht wird. Noch dazu stützt er sich auf ein Darstellerensemble, das ausnahmslos komplett in seinen Rollen aufgeht, und diese mit unglaublicher Authentizität und Spielfreude verkörpert. Da fällt es schwer, jemanden herauszuheben, doch wie es Welket Bungué gelingt, die Unbedarftheit und Gutmütigkeit seines Francis zu transportieren, macht es nahezu unmöglich, diesem die Schuld an seiner doch selbst herbeigeführten Situation zu geben. Und wie Albrecht Schuch den linkischen und absolut durchtriebenen Reinhold gibt, ist ein seltenes Erlebnis.

So saugt einen Burhan Qurbanis Gesellschaftsdrama mit Francis tragischem Schicksal auf und entwickelt dabei eine unheimliche Wucht, die einen die Zeit vergessen lässt. Nach den kurzweiligen drei Stunden bleibt dann außer emotionaler Erschöpfung vor allem die Freude über ein anspruchsvolles Kinovergnügen, das den Vergleich mit dem epischen Roman wirklich nicht zu scheuen braucht.

Trailer:

Bewertung: 9 von 10 Punkten

 

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