Home Film “Eine Frage der Würde – Blaga’s Lessons” – das packende Sozialdrama lässt einen fassungslos zurück

“Eine Frage der Würde – Blaga’s Lessons” – das packende Sozialdrama lässt einen fassungslos zurück

Autor: Tobi

"Eine Frage der Würde - Blaga's Lessons" Filmplakat (© jip film & verleih)

Eine Frage der Würde – Blaga’s Lessons

Darsteller: Eli Skorcheva, Rozalia Abgarian, Ivan Barnev, Gerasim Georgiev
Regie: Stephan Komandarev
Dauer: 119 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: jip-film.de/eine-frage-der-wuerde
Facebook: facebook.com/jipfilm


Während Kinogänger über Erfolge und Misserfolge von Blockbustern diskutieren, über die nächsten diversen Superheldenstreifen oder groß beworbenen Neustarts, sind es oft die kleinen, hierzulande kaum beachteten Produktionen aus Ländern fernab Hollywoods, die nachhaltig Eindruck hinterlassen und einen Besuch lohnen, wobei sie selbst bei heimischen Erfolgen bei uns oft nur kurz in sehr wenigen Lichtspielhäusern überhaupt ins Programm genommen werden. Der spanisch-französische Film “Wie wilde Tiere” von Rodrigo Sorogoyen war im Dezember gerade erst ein gutes Beispiel, absolut überzeugend als beklemmendes Drama über Ausgrenzung, Perspektivlosigkeit und blanken Hass, in Spanien mit neun Goya-Trophäen ausgezeichnet – bei uns bundesweit in nur rund 50 Kinos gestartet und viel zu wenig besucht, trotz hervorragender Kritiken.

Der nächsten kleinen Perle wird es vermutlich ähnlich ergehen. Der bulgarische Film “Eine Frage der Würde – Blaga’s Lessons” von Regisseur Stephan Komandarev wurde beim Karlovy Vary Filmfestival 2023 in der Tschechischen Republik mehrfach ausgezeichnet, mit dem Crystal Globe als bester Film des Wettbewerbs, für Eli Skorcheva als beste Darstellerin, sowie mit dem Preis der Ökumenischen Jury. Beim Rome Film Festival in Italien wurde er zudem mit dem Preis der Grand Jury gekürt, war außerdem Bulgariens offizielle Einreichung für eine Nominierung in der Oscar®-Kategorie “Bester internationaler Film”, dem die Shortlist allerdings verwährt blieb. Ein Tipp für alle Freunde des Arthouse-Kinos ist er aber allemal, die sich dann mal wieder beeilen müssen, ihn nicht zu verpassen.

Nach dem Tod ihres Mannes lebt die 70-jährige Blaga (Eli Skorcheva) alleine und durchaus verbittert in der schlichten Wohnung eines höheren Mehrfamilienhauses und arbeitet daran, für den Leichnam und später auch sich selbst eine schön gelegene Doppelgrabstelle zu sichern, in der ihr Mann dann auch spätestens 40 Tage nach seinem Tod seine letzte Ruhe finden kann. Möglich wäre dies schon, aber der windige Friedhofsverwalter (Stefan Denolyubov) macht ihr unmissverständlich deutlich, dass dies schon mit deutlichen Mehrkosten verbunden sei und dass sie das Geld hierfür schnell aufbringen müsse, denn der Andrang sei groß und sein Chef doch eher ungeduldig. Den Betrag zusammen zu kriegen gestaltet sich für die pensionierte Lehrerin bereits schwierig, aber da sie der aus einem Kriegsgebiet in Armenien geflohenen jungen Tanja (Rozalia Abgarian) privat Nachhilfe in Bulgarisch gibt, um sie auf die Einbürgerungsprüfung vorzubereiten, hat sie schon einiges weggelegt.

Als Blaga dann plötzlich den Anruf eines vermeintlichen Polizisten erhält, dass eine brutal vorgehende Verbrecherbande es auf sie abgesehen habe und sie ihre Wertsachen im richtigen Moment vom Balkon werfen solle, damit die Gauner auf frischer Tat überführt werden können, verfällt sie in Aufregung, folgt den klaren Anweisungen unter großer Angst und fällt somit auf die Betrüger herein, handelte es sich doch natürlich nicht um die Polizei, womit ihre gesamten Ersparnisse gestohlen sind. Schockiert und beschämt wendet sie sich an die wirkliche Polizei, die ihr aber wenig Hoffnung macht und vom System der Verbrecher berichtet, normale BürgerInnen mit Führerschein, eigenem Auto und viel Flexibilität als Maultier genannte Kuriere anzuheuern, die dann gegen Beteiligung das Diebesgut abholen und weiter entfernt an die Hintermänner übergeben.

Um die Grabstelle nicht zu verlieren, für deren weitere Freihaltung der Friedhofsverwalter immer mehr Druck aufbaut, versucht Blaga, einen Kredit aufzunehmen oder einen Job zu bekommen, aber die Banken können ihr auf Grund mangelnder Sicherheiten nicht entgegenkommen und für Arbeitsstellen wird sie als zu alt erachtet. Als dann auch noch Blagas Sohn Lyudmil (Gerasim Georgiev), der in Amerika lebt und sie im Videochat ob ihrer Naivität beschimpft, einen Teil des Erbes einfordert, weiß sie nicht mehr weiter und bittet Tanja, ihr dabei zu helfen, eine Annonce als Kurierfahrerin aufzugeben – in der Hoffnung, dass die Kriminellen sie als Maultier anheuern. Und siehe da, tatsächlich geht der Plan auf und bald ist Blaga Teil des betrügerischen Systems.

"Eine Frage der Würde - Blaga's Lessons" Szenenbild (© Svetoslav Stoyanov)

(© Svetoslav Stoyanov)

“Eine Frage der Würde – Blaga’s Lessons” entpuppt sich als packendes Sozialdrama, das einen kritischen Einblick in die miese soziale Situation von älteren Menschen in Bulgarien gibt, die trotz jahrzehntelanger Arbeit selbst in öffentlichen Bereichen als RentnerInnen finanziell schlecht dastehen, gerne mal über den Tisch gezogen werden und denen selbst bei viel Intelligenz und Aufopferungswillen wenig Chancen bleiben. Dies erfahren wir am Beispiel von Blaga, die mit jeder Menge Akribie und Ordnung lebt, ihrer Schülerin Tanja mit Härte und Bestimmtheit korrektes Bulgarisch einimpft und die man eigentlich als Opfer eines Telefonbetrugs ausschließen würde. Wie ein resoluter, hektisch eine plötzliche Bedrohungssituation skizzierender Anruf die sonst so schlau und besonnen agierende Pensionärin in Panik zu einer unüberlegten Handlung und um ihr gesamtes Geld samt Schmuck bringt, das wird so erschreckend realistisch gezeigt, dass es einem die Kehle zuschnürt.

Regisseur Stephan Komandarev nimmt einen hiermit direkt voll mit in seinen Film und lässt uns dann teilhaben am aussichtslosen Kampf Blagas, auf legalem Weg an die nötigen 16.000 Lew (etwa 8.000 Euro) zu kommen, um das Grab rechtzeitig zu bezahlen. Eli Skorcheva, die Anfang der 90er-Jahre aufhörte, Filme zu drehen, und nur noch sporadisch im Theater spielte, liefert nach 30 Jahren ein umwerfendes Comeback und lässt uns keinen Moment an ihrer Blaga mit all ihren mal gezeigten und mal erahnten Gefühlsregungen zweifeln – wohl aber an ihrem weiteren Vorgehen. Während man nämlich zunächst denkt, dass sie neben der Beschaffung des benötigten Geldes auch auf Rache aus sei und dann bestimmt die Polizei mit Informationen zu den Verbrechern ausstatten würde, gestaltet sich das Ganze anders und lässt einen am Ende sogar erschüttert und fassungslos zurück.

Was aber genau hier im ostbulgarischen Schumen mit seinem über der Stadt wachenden Denkmal für 1300 Jahre Bulgarien – auch bekannt als Denkmal der Gründer des bulgarischen Staates – mit Blaga passiert, deren moralische Prinzipien auf eine harte Probe gestellt werden, das weiß zu fesseln, ruhig und intensiv porträtiert, gut gefilmt und einen immer mehr in die dichte Atmosphäre des Streifens ziehend.

Trailer:

Bewertung: 9 von 10 Punkten

 

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