Home Film “Charlatan” – erhellender Geschichtsunterricht atmosphärisch präsentiert

“Charlatan” – erhellender Geschichtsunterricht atmosphärisch präsentiert

Autor: Mick

"Charlatan" Filmplakat (© CINEMIEN Filmverleih)

Charlatan

Darsteller: Ivan Trojan, Juraj Loj, Jaroslava Pokorná, Jirí Cerný
Regie: Agnieszka Holland
Dauer: 118 Minuten
FSK: freigegeben ab 16 Jahren
Website: cinemien.de/film/charlatan
Facebook: facebook.com/cinemiendeutschland


Ihre Vergangenheit in der Tschechoslowakei lässt die polnische Vorzeige-Regisseurin Agnieszka Holland („Hitlerjunge Salomon“, „Die Spur“) einfach nicht los. In ihrem neuen Historiendrama „Charlatan“ erzählt uns die Absolventin der Prager Filmhochschule die ereignisreiche Geschichte des tschechischen Heilers Jan Mikolášek und bereichert dabei unseren Erfahrungsschatz mit ihrem detaillierten Nischenwissen ungemein. Da muss es einem auch gar nicht peinlich sein, noch nie vom tschechischen Vorreiter der Homöopathie gehört zu haben, der von den 40ern bis in die späten 50er Jahre in der Tschechoslowakei Tausenden von Menschen mit praktizierter Naturheilkunde geholfen und es damit zu Reichtum und zumindest lokaler Berühmtheit gebracht hat.

Wir lernen Jan (Ivan Trojan) kennen, als sein Geschäft längst floriert, und die Leute in der Schlange vor seiner Praxis in der Nähe von Prag lange Wartezeiten in Kauf nehmen, um von ihm behandelt zu werden. Das ist zwar überaus einträglich, erfordert jedoch ebenso einen unermüdlichen Einsatz, den er wie selbstverständlich auch seinem treuen Assistenten František (Juraj Loj) abverlangt. Dem nämlich diktiert er nicht nur seine Diagnosen und Therapievorschläge, sondern lässt ihn obendrein in der belagerten Villa für Ordnung sorgen. Wer kein Fläschchen mit seinem Urin dabei hat, wird erst gar nicht vorgelassen, denn darauf basiert schließlich seine Diagnosemethode, die er während seines Jahre langen Praktizierens immer weiter verfeinert hat.

Dabei betrachtet er die Urinproben seiner Patienten im Schein hellen Lichts und liefert anhand der entdeckten Verfärbungen und Partikel seine Befunde, nach denen er dann als zertifizierter Heilkräuterexperte individuelle Behandlungspläne vorschlägt. Was auf den ersten Blick, wie der Titel des Films schon vermuten lässt, wie Quacksalberei aussieht, hat sich Jan über die Jahre hart erarbeitet und zeitigt auch einschlägigen Erfolg, der sich dementsprechend schnell herumspricht. Das ist zu der Zeit revolutionär und weckt Begehrlichkeiten nicht nur bei missgünstigen Skeptikern sondern vor allem bei Politikern, die ihre Macht durch seine alternativen – und noch dazu erfolgreichen – Praktiken zunehmend bedroht sehen.

"Charlatan" Szenenbild (© Marlene Film Production)

(© Marlene Film Production)

Holland zeichnet ein überaus stimmungsvolles Bild des Jan Mikolášek als Philanthropen, der sein Leben ganz dem Heilen kranker Menschen verschreibt und dafür bereit ist, große Opfer zu bringen. Um das zu verstehen, nimmt sie uns in wohl dosierten Rückblenden mit in seine jungen Jahre, in denen er von seinem Vater drangsaliert schnell sein Interesse für die Heilkraft der Pflanzen entdeckt. Seine Begeisterung ist nach seinem Erweckungserlebnis nur allzu nachvollziehbar, rettet er doch seine Schwester mit Kräuterumschlägen vor dem scheinbar unvermeidlichen Verlust ihres Beins. Dass aus der von der benachbarten Heilpraktikerin Josefa Mühlbacherová (Jaroslava Pokorná) geförderten Urindiagnostik nebst vermitteltem Wissen über Heilpflanzen bald ein lukratives Geschäftsmodell werden soll, das ihn in die Schusslinie politischer Kräfte rückt, ahnt da selbstverständlich noch niemand.

Da aber wird Hollands auf wahren Tatsachen basierendes Historienstück zum Politdrama, gerät der wohl Einigen zu einflussreich werdende Mikolášek plötzlich ins Visier der Staatssicherheit, die auch in der sozialistischen Tschechoslowakei ihr grausames Regiment führt. Damit bettet die Regisseurin Mikolášeks durch einen angeblichen Straftatbestand besiegeltes Schicksal stimmig in den Kontext der damaligen politischen Verhältnisse ein, die sein privates Glück in der heimlichen erotischen Beziehung zu František bald überschatten. Das macht Hollands einfühlsamen, atmosphärischen Film über den tschechischen Pionier der Heilpraktiken bei aller eingeräumter künstlerischer Freiheit zur überaus lehrreichen Geschichtsstunde, die trotz einiger Längen gerade zum Ende hin unheimlich bewegt.

Trailer:

Bewertung: 7 von 10 Punkten

 

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