Home Film “Come on, Come on” – Onkel und Neffe in einem emotionalen Findungsprozess

“Come on, Come on” – Onkel und Neffe in einem emotionalen Findungsprozess

Autor: Mick

"Come on, Come on" Filmplakat (© DCM)

Come on, Come on

Darsteller: Joaquin Phoenix, Woody Norman, Gaby Hoffmann, Scoot McNairy
Regie: Mike Mills
Dauer: 114 Minuten
FSK: freigegeben ab 6 Jahren
Website: dcmstories.com/de/collection/come-on-come-on
Facebook: facebook.com/dcmstories


Fast liebevoll befragt Radioproduzent Johnny (Joaquin Phoenix) Kids in ganz Amerika und interessiert sich dabei brennend für ihre Ängste, Hoffnungen und Ärgernisse, die er anschließend zu den empathischen Interviewsequenzen seiner erfolgreichen Show montiert. Wenn es aber um die eigene Familie geht, reicht die Fürsorge des New Yorker Singles kaum soweit, mal bei seiner Schwester in L.A. durchzurufen und sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Regisseur und Drehbuchautor Mike Mills‘ Vorliebe für die Verarbeitung autobiografischer Stoffe zieht sich durch sein gesamtes Werk. So hat er schon in „Beginners“ (2010) die Geschichte seines Vaters verfilmt und ließ sich auch für den Vorgänger „Jahrhundertfrauen“ (2016) von seinem Aufwachsen zwischen Mutter und Schwestern inspirieren. In seinem neuen „Come on, Come on“ nun lenkt er unseren Blick ganz auf Johnny, dessen Interviews, viel mehr aber noch dessen Gespräche mit seinem Neffen genauso auch zwischen ihm selbst und seinem Sohn stattgefunden haben könnten.

Johnnys Auseinandersetzung mit der Jugend nämlich wird schon bald sehr viel verbindlicher als in seinen Befragungen, für die er quer durch die Vereinigten Staaten reist. Als er sich an einem einsamen Abend im Hotelzimmer nach langer Zeit endlich einmal durchringt, seine Schwester Viv (Gaby Hoffmann) anzurufen, ist sein soziales Engagement plötzlich ganz direkt gefragt. Viv hat gerade alle Hände voll zu tun, sich um ihren Mann zu kümmern, der sich wieder einmal wegen seiner psychischen Störung in stationärer Behandlung befindet. Sofort bietet Johnny Viv seine Unterstützung bei der Betreuung seines Neffen Jesse (Woody Norman) während ihrer Abwesenheit an und ahnt nicht, dass er sich dabei ganz gewaltig verhebt.

Denn was er sich als amüsanten Buddy-Urlaub vorgestellt hat, pendelt schon beim ersten Treffen zwischen Wiedersehensfreude und Fremdeln, hat doch der neunjährige Jesse sichtlich unter der belastenden Familiensituation zu leiden und mit Viv mittlerweile durchaus eigentümliche Verarbeitungsrituale entwickelt, die Johnny äußerst befremdlich erscheinen. Einmal mit Jesse auf sich allein gestellt, sieht sich der überaus relaxte aber in Erziehungsfragen gänzlich unerfahrene Johnny schnell überfordert, wenn der hochbegabte Neunjährige mit autistischen Zügen Johnnys erprobtes Frage-und-Antwort-Spiel kurzerhand umdreht und ihn mit Aufnahmegerät und kindlicher Direktheit immer wieder arg in Verlegenheit bringt. Als sich Vivs Rückkehr unerwartet verzögert, nimmt Johnny Jesse mit zu sich nach New York und erleichtert in der für den Jungen ungewohnten Umgebung der Großstadt ihre Annäherung nicht unbedingt.

"Come on, Come on" Szenenbild (© A24)

(© A24)

Mit ergreifender Authentizität inszeniert Mills Johnnys Hilfseinsatz feinfühlig als emotionalen Findungsprozess, den wir nicht nur allzu gut nachempfinden können, sondern der uns gleichzeitig einen sehr persönlichen Blick in die Gedankenwelt des Regisseurs gestattet. Wie wohl er selbst gegenüber seinem Sohn muss auch Johnny erkennen, dass er seine Position des bestimmenden Erwachsenen überdenken und sich auf Jesses knallharte Ehrlichkeit einlassen muss, will er einen Zugang zu seinem Neffen finden. Geschickt lässt Mills dabei in den Mikrokosmos von Johnnys Ringen um Deeskalation durch dessen – im Übrigen real mit Jugendlichen geführte – Interviewsequenzen wiederholt auch globale Fragen ganz existenzieller Natur einfließen, die unseren Blickwinkel zwischendurch angenehm aufweiten. Dass er uns das alles in wohlkomponierten Schwarz-Weiß-Bildern präsentiert, erweckt zwar ein wenig das Gefühl des unnötig Avantgardistischen, schärft jedoch den Blick fürs Wesentliche, von dem gerade die Farben des quirligen New York durchaus ablenken könnten.

Geradezu sensationell ist dabei das Zusammenspiel von Joaquin Phoenix, der mit seiner zurückgenommenen Performance eine ungeheure Nähe zu seinem Johnny erzeugt, und Woody Norman, der dem neunmalklugen Jesse mit seiner unglaublichen Natürlichkeit eine enorme Glaubwürdigkeit verleiht. Es bereitet großes Vergnügen, wie sich Jesse und sein Onkel langsam aufeinander zu bewegen, und wie sie uns an der intensiven Entwicklung ihrer Beziehung teilhaben lassen. Das lässt uns nicht nur unseren eigenen Umgang mit Kindern hinterfragen, sondern macht den Film zu einem tiefgründigen Erlebnis, das bei allen geäußerten Zukunftsängsten auch Hoffnung macht.

Trailer:

Bewertung: 8 von 10 Punkten

 

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