Home Film “Das Lehrerzimmer” – eine integre Lehrerin bekommt im Bestreben für Gerechtigkeit große Probleme

“Das Lehrerzimmer” – eine integre Lehrerin bekommt im Bestreben für Gerechtigkeit große Probleme

Autor: Tobi

"Das Lehrerzimmer" Filmplakat (© Alamode Film)

Das Lehrerzimmer

Darsteller: Leonie Benesch, Michael Klammer, Rafael Stachowiak, Eva Löbau
Regie: İlker Çatak
Dauer: 98 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: www.daslehrerzimmer-film.de
Facebook: facebook.com/daslehrerzimmer.film



Mit “Das Lehrerzimmer” legt İlker Çatak, der mit Johannes Duncker zusammen auch das Drehbuch geschrieben hat, nach der Coming-of-Age-­Geschichte “Es war einmal Indianerland” (2017), dem Drama “Es gilt das gesprochene Wort” (2019) und dem Kinderfilm “Räuberhände” (2021) seinen vierten Kinofilm vor.

Dieser hat bereits im Vorfeld seines Starts für Furore gesorgt. Auf der Berlinale 2023 feierte er in der Sektion Panorama seine Weltpremiere und erhielt das Europa Cinemas Label als bester europäischer Film sowie den CICAE Arthouse Cinema Award, zudem wurde Leonie Benesch als der deutsche European Shooting Star 2023 erwählt.

Ein Update: Kurz nach Kinostart gab es noch mehr zu Feiern. Für die Verleihung des Deutschen Filmpreises 2023 am 12. Mai war “Das Lehrerzimmer” in gleich sieben Kategorien nominiert und gewann sagenhafte fünf: Die Goldene Lola gab es für den Besten Spielfilm, dazu nahmen Leonie Benesch für die Beste weibliche Hauptrolle und İlker Çatak für die Beste Regie Lolas mit nach Hause. Letzterer gewann eine weitere zusammen mit Johannes Duncker für das Beste Drehbuch, und auch Gesa Jäger wurde für den Besten Schnitt ausgezeichnet.

Der Film nimmt uns mit in den Mikrokosmos Schule, und nachdem vor einem Jahr ja bereits ein Lehrerzimmer als Spielort für Sönke Wortmanns Komödie “Eingeschlossene Gesellschaft” (lies unsere Filmkritik hier) herhielt, geht es nun um weit mehr als diesen Ort, nämlich um Engagement, Integrität, Gerechtigkeit, Vertrauen und ungeahnt aufkommende Probleme.

Mit diesen sieht sich Carla Nowak (Leonie Benesch) zunächst noch nicht konfrontiert, als sie ihre erste Stelle als Sport- und Mathematiklehrerin an einem Gymnasium antritt. Mit viel Elan und Hingabe widmet sie sich der Berufung, den Kindern ihrer siebten Klasse etwas für ihr späteres Leben beizubringen oder sie bei Leibesübungen wenigstens kurz aus der heute allgemein zu beobachtenden Lethargie zu holen – und Frau Nowak ist durchaus beliebt.

Als sie dann von ihren als Vertrauenslehrer fungierenden Kollegen Thomas Liebenwerda (Michael Klammer) und Milosz Dudek (Rafael Stachowiak) ohne große Vorabbesprechung zu einem Treffen dazu geholt wird, in dem die beiden KlassensprecherInnen Jenny (Antonia Luise Krämer) und Lucas (Oscar Zickur) denjenigen verraten sollen, der in der Klasse schon mehrfach geklaut habe, ist sie erschrocken über die Vorgehensweise. Die Kinder werden mit fragwürdigen Mitteln unter Druck gesetzt, einen Schuldigen zu benennen, und obwohl Carla darauf verweist, dass sie dies nicht tun müssten, nickt Lucas dann beim Namen Ali Yilmaz, als der Kugelschreiber vor seinen Augen über die Klassenliste fährt.

Am Tag darauf folgt die nächste Überraschung, als während der Mathestunde Schulleiterin Dr. Böhm (Anne-Kathrin Gummich) zusammen mit Liebenwerda und Dudek den Raum betritt, den nun alle Mädchen verlassen sollen, während die Jungen ihre Portemonnaies präsentieren müssen – vielleicht ungewöhnlich, aber wer nichts zu verbergen habe, müsse ja keine Bedenken haben. Nachdem Ali (Can Rodenbostel) etwas mehr Geld bei sich hat, werden seine Eltern einbestellt, die aber versichern, dass sie ihrem Sohn das Geld für ein Videospiel mitgegeben hatten – und Vater Yilmaz verdeutlicht, dass Ali schon deshalb niemals stehlen würde, da er ihm sonst die Beine brechen würde.

Carla Nowak, für die die Unschuldsvermutung ein wichtiges Grundprinzip darstellt, ist geschockt vom Vorgehen, das dafür gesorgt hat, dass das Gleichgewicht in der Klasse schwer beschädigt ist, es sogar zu verbalen Attacken bis hin zu Handgreiflichkeiten kommt. Und sie hat ihren Vertrauen in die KollegInnen verloren, bei denen ihr nun auch Dinge auffallen, wenn zum Beispiel mehr oder weniger unauffällig Münzen aus der Kaffeekasse genommen werden.

"Das Lehrerzimmer" Szenenbild (© Alamode Film)

(© Alamode Film)

Da es hin und wieder auch im Lehrerzimmer nicht mit rechten Dingen zuzugehen scheint, lässt Carla ihre Jacke mit Portemonnaie in der Innentasche während der Schulstunde unbeaufsichtigt am Stuhl hängen, hat hierbei allerdings über ihren geöffneten Laptop eine Videoaufnahme gestartet. Als sie zurückkehrt, fehlt tatsächlich Geld, und auch wenn man auf der Aufnahme kein Gesicht sieht, ist die Diebin über ihre speziell gemusterte Bluse doch leicht zu identifizieren. Die innerlich mehr als aufgebrachte Carla offenbart sich der Rektorin, nicht nur weil diese gerade noch einmal die Null-Toleranz-Politik der Schule propagiert hatte – was weitreichende Folgen hat.

Mit “Das Lehrerzimmer” präsentiert İlker Çatak einen packenden, voll überzeugenden Film, der sehr glaubwürdig zeigt, wie eine motivierte und integre Lehrerin im Bestreben für Gerechtigkeit große Probleme bekommt und wie heikel es gerade in einem Kosmos wie der Schule sein kann, Dinge wie Diebstahl zu adressieren. Die Aufklärung von Vorfällen ist hier nicht einfach, und Carla sieht sich auch mit der Frage konfrontiert, wie sie denn heimlich Videoaufnahmen im Lehrerzimmer machen konnte, was in puncto Vertrauensverhältnis ebenso angeprangert wird wie rechtlich nicht zulässig erscheint.

Der sehr gut inszenierte und mit starken Bildern von Kamerafrau Judith Kaufmann aufwartende Film regt zu Diskussionen an, und auch zum Nachdenken, denn selbst wenn eine finale Klärung ausbleibt, selbst bei offensichtlichen Indizien, stehen die Beschuldigungen doch offen im Raum und sorgen für Konsequenzen mit Ausmaß. Die Lehrerin, die so motiviert und positiv an ihren Beruf herangegangen ist und nun so hart in einer für unmöglich gehaltenen Realität landet, wird von Leonie Benesch in ihrer bislang besten Rolle hervorragend gespielt.

Trailer:

Bewertung: 9 von 10 Punkten

 

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