Das Wunder von Marseille
Darsteller: Assad Ahmed, Mizanur Rahaman, Gérard Depardieu, Isabelle Nanty
Regie: Pierre François Martin-Laval
Dauer: 107 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: www.tobis.de/film/das-wunder-von-marseille
Facebook: facebook.com/tobisfilmclub
Noch ein Flüchtlingsdrama. Nicht, dass nicht jedes von ihnen seine Daseinsberechtigung hätte bei der Tragik der Einzelschicksale, von denen es sicherlich jedes einzelne wert ist, erzählt zu werden. Doch bei der anhaltenden Flut gleichartiger Filme in letzter Zeit ist auch durchaus die Gefahr der Abstumpfung durch Übersättigung gegeben, die einen dem Problem zunehmend teilnahmslos gegenüberstehen lässt. Etwas anders verhält es sich mit Martin-Lavals “Das Wunder von Marseille”, das schon weit vor der großen Migrationswelle nach Europa 2015 ansetzt, sich somit von der Masse der Produktionen abhebt und nach einer Romanvorlage die erstaunliche, wahre Geschichte des französischen Schach-Großmeisters Fahim Mohammad erzählt.
Wenn auch die Voraussetzungen ähnliche sind, die so ziemlich jeder Flucht zugrunde liegen: Trotz einigermaßen glücklicher Kindheit, muss der achtjährige Fahim (Assad Ahmed) im Bangladesh des Jahres 2008 um sein Wohlergehen fürchten, da sein Vater Nura (Mizanur Rahaman) immer mehr zur Zielscheibe verfeindeter Gruppen wird. Der Druck ist irgendwann so groß, dass Nura schweren Herzens den Entschluss fasst, die Familie zu trennen und sich mit Fahim auf den Weg nach Europa macht, während er seine Frau und Tochter mangels ausreichender Rücklagen zurücklassen muss. Das setzt Regisseur Martin-Laval einfühlsam in Szene, präsentiert uns Fahim trotz ärmlicher Lebensumstände, mit denen sich die Familie aber bestens arrangiert hat, als lebenslustigen Lausebengel, für den Schach das Ein und Alles ist. So klingt es auch alles andere als abwegig, dass ihm Nura die Flucht als unglaubliche Chance verkauft, sein riesiges Schachtalent bei einem europäischen Großmeister weiterentwickeln zu können, die er sich unter gar keinen Umständen entgehen lassen dürfe.
Die Beschwerlichkeiten und vor allem immensen Gefahren der Reise blendet Fahim dadurch bestmöglich aus und macht diese nach anfänglichem Trennungsschmerz zu einem großen Abenteuer, an dessen Ende ja schließlich das Schachtraining auf einem angemessenen Niveau winkt. Schön ist es, wie uns Martin-Laval an Fahims kindlicher Einstellung teilhaben lässt, ohne uns dabei die Schattenseiten des von purer Verzweiflung seines Vaters getriebenen Unternehmens vorzuenthalten. Das setzt sich nahtlos fort, als die beiden endlich in Frankreich angekommen sind, wo sie sich nicht nur in einer völlig neuen, fremdsprachlichen Welt zurechtfinden müssen, sondern zusätzlich ihr Aufenthaltsstatus erstmal gänzlich ungeklärt ist.
Was aber für Fahim komplett zweitrangig ist, zählt für ihn doch nur die Teilnahme an den Kursen des griesgrämigen Schachlehrers Sylvain (Gérard Depardieu), dessen Methoden genauso wie die Mitschüler überaus gewöhnungsbedürftig sind. Von da an wird der Film wirklich herzerwärmend, brilliert Depardieu in seiner Paraderolle des Schleifers mit harter Schale und weichem Kern, der auch sein Päckchen zu tragen hat und wird die Teilnahme am Unterricht dank Schach zur Integrationsgeschichte schlechthin, da Fahim durch seine außergewöhnliche Begabung schnell in die lustige Gruppe aufgenommen wird.
Natürlich wird Sylvain zu seinem Förderer und die Dramaturgie der Erfolgsgeschichte auf Jugendwettkämpfen ist auch nicht sonderlich innovativ, jedoch gelingt der Spagat zwischen lustigen Momenten beim Schach und deprimierendem Alltag im französischen Behördendschungel außergewöhnlich gut. Dabei verliert Martin-Laval anhand des in die Illegalität abgleitenden Nura nie die Probleme aus den Augen, mit denen Flüchtlinge zu kämpfen haben, die nicht mit dem Talent von Fahim gesegnet sind und macht damit neben der rührigen Geschichte des Wunderkinds Fahim auch auf den oft unfairen Umgang mit Migranten aufmerksam.
Trailer:
Bewertung: 6 von 10 Punkten