Ellbogen
Darsteller: Melia Kara, Doga Gürer, Jale Arikan, Jamilah Bagdach
Regie: Asli Özarslan
Dauer: 86 Minuten
FSK: freigegeben ab 16 Jahren
Website: jip-film.de/ellbogen
Facebook: facebook.com/jipfilm
Instagram: instagram.com/jipfilm_verleih
Kinostart: 5. September 2024
Mit ihrem dramatischen Roman „Ellbogen“ rannte Fatma Aydemir bei der Regisseurin Asli Özarslan einst offene Türen ein. Beide, am Namen unschwer zu erkennen, mit türkischen Wurzeln in Deutschland geboren und noch dazu genau gleich alt, können auf die gleiche Vergangenheit eines Aufwachsens in Deutschland zur selben Zeit zurückblicken und sind somit so etwas wie Schwestern im Geiste. Da ist es doch naheliegend, dass Aydemirs Geschichte eines Berliner Mädchens mit Migrationshintergrund Özarslan nach deren bisher zwei Dokumentarfilmen zu einer Adaption des Stoffes und damit zur Verwirklichung eines ersten Spielfilmprojekts reizte. Ihr gleichnamiger Streifen erzählt uns nun von den Problemen, mit denen sich die 17-jährige Deutsch-Türkin Hazal (Melia Kara) in Berlin herumschlagen muss.
Gleich eingangs nimmt uns Özarslan mit zu diversen Vorstellungsgesprächen Hazals und zeigt uns aus der Sicht des Mädchens eindrücklich, wie chancenlos sie auf dem Arbeitsmarkt doch eigentlich ist. Das ist genauso benebelnd wie desillusionierend einem nicht enden wollenden Albtraum gleich eingefangen und macht die ganze Perspektivlosigkeit deutlich, die sich in Hazal mit jedem weiteren Termin breitmacht. Ist es nicht sofort ihr türkischer Name, der zum K.-o.-Kriterium wird, dann sind es spätestens ihre schulischen Leistungen, die zur Absage führen und bei aller Motivation für eine Ausbildung ein Leben auf eigenen Beinen für sie nahezu unmöglich machen. Da bleibt dann wieder nur die Aushilfe in Mamas (Jale Arikan) Bäckerei, die samt deren Predigten und ausgeübtem immensem Druck ihren Frust nachvollziehbar ins Unermessliche steigert.
Und der muss irgendwie raus, da will sie es zu ihrem achtzehnten Geburtstag mit ihren Freundinnen, bei denen allein sie sich verstanden fühlt und fallenlassen kann, mal so richtig krachen lassen. Das schicke Abendkleid bekommt sie geschenkt und anständig aufgebrezelt wird sich auch, bevor sie sich auf den Weg zum angesagten Tanzclub machen. Doch schon in der Warteschlange merken sie, dass sie auch hier nicht richtig passen zum hippen Berliner Partyvolk, zu dem sie zumindest an diesem Abend so gern gehören würden. Bestätigung bringt die Abweisung vom Türsteher, die ihre Enttäuschung komplett macht und in diesem Moment wie der endgültige Ausschluss aus der Gesellschaft wirkt.
Die Ernüchterung aber schlägt schnell in Wut um, als sie auf dem U-Bahnhof auch noch von einem aufdringlichen Studenten angemacht werden, an dem sich dann ihre angestauten Aggressionen mit fatalen Folgen entladen. Panisch flieht Hazal anschließend zu ihrer Internetbekanntschaft Mehmet (Doga Gürer) nach Istanbul, in dessen Bude sie zumindest erstmal aus der Schusslinie der Ermittlungsbehörden scheint. Vielleicht sogar erhofft sie sich im Land ihrer Eltern die Möglichkeit auf einen Neuanfang, wo sie in Deutschland doch vornehmlich Ausgrenzung erlebt hat. Aber weder der ebenfalls in Deutschland aufgewachsene Mehmet noch sein kurdischstämmiger Mitbewohner Halil erfüllen die Erwartungen, die sie zuversichtlich in ihren neuen Wohnort setzt, vom Fahndungsdruck mal ganz abgesehen.
Özarslan präsentiert uns hier mit ihrer Romanverfilmung, die auf der diesjährigen Berlinale in der Sektion Generation 14plus uraufgeführt wurde, einen Coming-of-Age-Film der wirklich eindrücklichen Art, in dem ihre Protagonistin die Konsequenzen ihres Handelns in voller Härte zu spüren bekommt, noch bevor diese richtig erwachsen ist. Dabei erweist sich Melia Kara mit ihrer Leinwandpräsenz als absolute Entdeckung, die das gesamte emotionale Spektrum ihrer Hazal von rotzfrech über ignorant bis hin zu melancholisch enorm authentisch transportiert und ihrer Figur eine wahnsinnige Vielschichtigkeit verleiht.
Unterstützt von einer Handkamera, die fast penetrant bei ihrer Hauptdarstellerin bleibt, gelingt der Regisseurin hier so viel mehr als ein Drama um die Suche eines Mädchens nach Identität, die es, gewissermaßen Täter und Opfer zugleich, in beiden Gesellschaften nicht zu finden droht. Hazals Schicksal ihres buchstäblich mit der Volljährigkeit unweigerlichen Erwachsenwerdens spiegelt dabei geschickt die alltägliche Diskriminierung und Chancenlosigkeit, die Menschen mit Migrationsgeschichte leicht resignieren lassen und uns gewaltig zum Reflektieren bringen. Schade, dass die Handlung nach der Ankunft in Istanbul etwas auf der Stelle tritt, und uns der Film trotz Karas imposanter Performance zeitweilig ein wenig verliert. So wird Özarslans Spielfilmdebüt zwar nicht der ganz große Wurf, hinterlässt jedoch allemal ein nachhaltiges Gefühl der Nachdenklichkeit.
Trailer:
Bewertung: 7 von 10 Punkten