Il Buco – Ein Höhlengleichnis
Darsteller: Claudio Candusso, Paolo Cossi, Mila Costi, Antonio Lanza
Regie: Michelangelo Frammartino
Dauer: 93 Minuten
FSK: freigegeben ohne Altersbeschränkung
Website: www.filmkinotext.de/il-buco-ein-hoehlengleichnis.html
Es mutet fast wie eine Dokumentation an, was uns Michelangelo Frammartino hier mit „Il Buco – Ein Höhlengleichnis“ präsentiert. Ein Zug fährt polternd in den nächtlichen kalabrischen Bahnhof ein, wortlos entsteigen geschäftige Menschen den Waggons und entladen hastig ihre Ausrüstung, bevor sie eilig in Richtung Quartier im Dorf aufbrechen. Doch was hier so dokumentarisch festgehalten scheint, ereignete sich tatsächlich schon 1961, als eine Expedition norditalienischer Höhlenforscher in den wilden Süden aufbrach, um den „Abisso del Bifurto“, einen der tiefsten Abgründe der Welt, im Pollino zwischen Kalabrien und Basilikata zu erkunden. Und das Bildmaterial ist qualitativ wirklich beeindruckend, wechselt regelmäßig zwischen malerischen Landschaftspanoramen und stimmungsvollen Nahaufnahmen der Wissenschaftler und stellt einen deutlichen Anachronismus zur Zeit der Erforschung dar.
Frammartino stellt hier in seinem geradezu impressionistischen Werk eine Geschichte nach, die ihn nachhaltig beeindruckt hat, als er sie bei einem Ausflug in seiner alten Heimat zu hören bekam. Er selbst nämlich warf damals einen Stein in die Il Buco – das Loch – genannte Höhle und hörte erst nach einer gefühlten Ewigkeit das Aufschlaggeräusch. Für ihn Grund genug, sofort in die Recherche einzusteigen und die anspruchsvolle Erkundung jetzt mit einem mühsam zusammengetrommelten Team aus italienischen Speläologen zwar begleitet von modernster Kameratechnik dafür aber mit der antiquierten Ausrüstung von damals zu wiederholen.
Das Projekt aber scheint nicht nur durch seine Faszination für das Naturwunder angetrieben, erweitert er seine profunden Bilder doch schon anfangs um eine weitere Ebene, die der Expedition die Stimmung des wirtschaftlichen Aufschwungs entgegensetzt. Symbolisiert durch Originalaufnahmen des gleichzeitig in Mailand errichteten Pirelli-Turms – bezeichnenderweise beim gemeinschaftlichen Fernsehabend der Dorfbewohner vor der einzigen Bar eingefangen – stellt der auch gesellschaftlich vorherrschende Höhenrausch Norditaliens einen starken Kontrast zum immer noch unterentwickelten Süden dar, der hier neben der Höhle vor allem von einem alten Kuh- und Pferdehirten verkörpert wird. Immer wieder in fast meditativen Nahaufnahmen ins Bild gesetzt, beobachtet der das ungewohnte Treiben rund um den Abgrund im wahrsten Wortsinne überaus distanziert und kümmert sich mit kryptischen Rufen viel mehr wie gewohnt um das Wohlergehen seiner Herde.
Das ist durchaus nachvollziehbar, denn die Begeisterung für den Abstieg in bisher unerforschte Tiefen wird, wie das Beispiel des Hirten zeigt, längst nicht von allen geteilt und auch man selbst ertappt sich beim Betrachten des minutenlangen, wortlosen Vortastens im nur karg beleuchteten Dunkel der Höhle beim Gedanken, ob das Ganze überhaupt die Mühe wert ist. Doch schnell fällt einem der auch cineastisch vorbelastete Ausspruch „der Weltraum – unendliche Weiten…“ ein, der für den Drang der Menschheit nach Erkundung bisher unentdeckter Gebiete steht. Und in Anbetracht der spektakulären 687 Meter Tiefe und einer auch von Frammartino festgehaltenen, peniblen kartografischen Erfassung der Fortschritte durch die Forscher stellt sich eine gewisse Neugier fast automatisch ein.
Reizvoll wird die Reise unter die Erdoberfläche aber erst durch die atmosphärischen Bilder, die die Disziplin des Forscherteams und das unter widrigsten Umständen erarbeitete, äußerst mühsame Vordringen in unzugänglichste Bereiche nicht nur hautnah erfahrbar machen, sondern obendrein immer wieder interessante Fragen über deren technische Entstehung aufwerfen. Zwar strapaziert Frammartino unsere Geduld mit seinen ewigen wortlosen Einstellungen teilweise doch recht arg, letztendlich gibt einem seine gezielte Entschleunigung aber auch genügend Zeit zur Reflexion, hat man sich erstmal auf die meditative Wirkung seiner Szenen eingelassen. Denn schließlich ist die dem Titel zu entnehmende philosophische Referenz zu Platons Höhengleichnis, das den Aufstieg aus den materiellen Tiefen einem Erwerb geistiger Erkenntnis gleichsetzt, nicht zufällig gewählt.
Trailer:
Bewertung: 5 von 10 Punkten