Leto
Darsteller: Roma Zver, Irina Starshenbaum, Teo Yoo, Philip Avdeev
Regie: Kirill Serebrennikow
Dauer: 128 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: www.weltkino.de/film/kino/leto
Facebook: facebook.com/Leto.DerFilm
Wenn “Leto” am 8. November 2018 in unseren Kinos startet, dann setzt Regisseur Kirill Serebrennikow hiermit ein Zeichen für die Freiheit – und hat sie doch selbst nicht. Am 22. August 2017 wurde er während der finalen Dreharbeiten zu dem Film in St. Petersburg festgenommen. Ihm und drei Mitangeklagten wird vorgeworfen, staatliche Fördergelder veruntreut zu haben. Hausarrest wurde verordnet, inzwischen bereits bis April 2019 verlängert. An der Weltpremiere des Streifens im Wettbewerb der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes konnte Serebrennikow somit nicht teilnehmen. Nach dem Prozessauftakt vor wenigen Tagen wurde die erste öffentliche Anhörung auf den 7. November vertagt.
Im Hausarrest stellte Serebrennikow “Leto” fertig, über den er vor Beginn aller Probleme sagte: “Ich werde diesen Film für und über eine Generation machen, die die Freiheit als eine persönliche Entscheidung betrachtet und zwar als die einzig mögliche. Mein Ziel ist es, diesen wahren Wert der Freiheit einzufangen und zu verdeutlichen.” Moskau durfte er seitdem nicht verlassen, auch wenn sich nach seiner Verhaftung zahlreiche Künstler solidarisierten und seine sofortige Freilassung forderten, darunter auch Cate Blanchett, Volker Schlöndorff und Nina Hoss.
“Leto” ist die russische Übersetzung für “Sommer”, und um einen solchen geht es, zu Beginn der 80er-Jahre. In Leningrad hat sich eine Untergrund-Rockszene gebildet, in der Konzerte gefeiert werden, auch wenn der Staat diese genehmigen muss und überwacht. Die Kraft der Musik lässte die Szene aber bereits köcheln, und die Hitze steigt immer mehr, nicht nur wegen des Sommers und nicht nur im gegründeten “Rock Club”.
Auch wenn dies nicht gewünscht ist, werden Alben von Lou Reed oder David Bowie heimlich getauscht und gehört, und die westliche Musik inspiriert natürlich auch russische Musiker. Einer von diesen ist der coole Mike Naumenko (Roman Bilyk, auch bekannt als Roma Zver, Frontmann der Band Zveri), der sich mit seinen 26 Jahren durchaus schon eine kleine Fanschar erspielt hat mit progressiven Texten aus dem Leben und einer Optik, die man im Nachhinein direkt dem Britpop zuschreiben würde.
Zusammen mit seiner hübschen Frau Natalia, genannt Natascha (Irina Starshenbaum), genießt er den Sommer, und bei einer Strandparty lernen sie den kühlen, aber charismatischen Viktor Zoi (Teo Yoo) kennen, der mit einem Kumpel zusammen einige Lieder vorspielt. Diese gefallen Mike und er sieht großes Potenzial in dem erst 19-jährigen Viktor, so dass eine Freundschaft beginnt, getragen von ihrer großen Leidenschaft für die Musik. Die Dreieckskonstellation birgt zwar einige mögliche Reibungspunkte, aber eigentlich sind die Jungs ja viel zu lässig für Zoff, und so wird Viktor mit seiner Band, die später in Kino umbenannt wird, ein wichtiger Pfeiler in der Entwicklung der Rockszene in der Sowjetunion.
In Schwarz-Weiß-Bildern erzählt Serebrennikow die wahre Geschichte der russischen Band Kino, und diese verströmt an allen Ecken und Enden ein von der Gemeinschaft geprägtes Lebensgefühl der damaligen Zeit in der Sehnsucht nach Freiheit und Veränderung – kurz vor der Perestroika. Die Einbindung der so bewunderten Songs aus der westlichen Welt, von Künstlern wie Bowie, Talking Heads, Iggy Pop oder sogar Blondie, steht im Kontrast zum überwachten Rock der Sowjetunion, bei dem man zwischen den Zeilen der Alltagstexte über Bier, Kippen und Langeweile viel Raum für Interpretationen findet und der selbst in der Monotonie noch nach Aufbruch klingt.
Geschickt spielt Serebrennikow in seinem Film mit Bildern und Schnitten, bietet neben dem Erzählstrang auch non-reale Szenen, in denen die Statisten gerne mal zur singenden Meute werden wie in einem Musikvideo – und das manchmal, ohne singen zu können. Diese Tagträume lockern die Handlung ebenso auf wie der immer wieder auftauchende Erzähler oder einige Animationen – sehr interessant gemacht.
Bei allem Spaß, den der Film bereitet, bleibt die Frage nach dem Wahrheitsgehalt. Klar, die aufkommende Rock-Szene in Leningrad gab es ebenso wie das junge Duo, aus dem mal Kino werden sollte. Wie viel aber von der Geschichte um Mike und Natascha stimmt, und wie groß war sein Einwirken auf die Entstehung von Kino? Viktor kann hierzu nicht befragt werden, starb er doch schon 1990 bei einem Autounfall, und Mike nur ein Jahr später an einer Hirnblutung. So basiert der Film auf den Erinnerungen von Natascha, während man von anderen Zeitzeugen durchaus kritische Stimmen über die gezeigte Geschichte lesen kann. Aber auch wenn man diese eher als inspiriert oder subjektiv dargestellt im Hinterkopf behält anstatt als zwingend autobiografisch, hat man trotzdem viel Spaß an diesem Film, der eine ganz besondere Stimmung transportiert.
Trailer:
Bewertung: 7 von 10 Punkten