Liebe, D-Mark und Tod
Dokumentation
Regie: Cem Kaya
Dauer: 96 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: rapideyemovies.de/liebe-d-mark-und-tod-aşk-mark-ve-ölüm
Facebook: facebook.com/AskMarkveolum
„Liebe, D-Mark und Tod“, den Titel nach einem Gedicht des in Berlin lebenden türkischen Schriftstellers Aras Ören hat Regisseur Cem Kaya nicht zufällig gewählt. Ören ist nämlich ein Paradebeispiel für die Kultur türkischer Einwanderer in Deutschland und hat schon diverse Werke zum Thema Migration veröffentlicht. Kaya, selbst türkischstämmiger Bayer, beschäftigt sich nun in seiner neuen Dokumentation mit der Geschichte der Musik der türkischen Gemeinde in Deutschland und hat sich dafür tief in die penible Recherchearbeit hineingekniet.
Denn er steigt tatsächlich mit der Anwerbung türkischer Gastarbeiter Mitte der 50er Jahre ein, die selbstverständlich zunächst einmal auch ihre Musik mitbrachten und sich mit den hauptsächlich von Liebe und Heimat handelnden Liedern über den harten Arbeitsalltag in den deutschen Industriebetrieben hinwegtrösteten. Schon bald aber entwickelte sich in den Arbeitersiedlungen eine ganz eigenständige Konzertkultur, die zwar an traditionelles Liedgut angelehnt war, sich jedoch thematisch den Lebensbedingungen in der Fremde anpasste und meist melancholisch von Sehnsucht, fremder Kultur und Ablehnung erzählte.
Für seine stimmungsvolle Montage von Interviewsequenzen und Konzertmitschnitten gebührt Kaya schon da der größte Respekt, kann man sich doch sehr gut vorstellen, mit welcher Akribie er dabei Archive durchforstet haben muss. Damit gelingt es ihm nicht nur, die Zerrissenheit zwischen Abenteuerlust und Heimweh zu transportieren, sondern er ordnet gleichzeitig die stetig wachsende Nachfrage nach der „Musik aus der Fremde“ auch in der Türkei in den gesellschaftlichen Zusammenhang ein. Wer hätte schließlich gewusst, dass sich in Deutschland wegen der immensen Umsätze schnell türkische Plattenfirmen gründeten, die mit der Produktion von Musikkassetten kaum nachkamen und Interpreten wie Yüksel Özkasap oder Metin Türköz zu Megastars machten? Trotz reißenden Absatzes ihrer Tonträger und der damit verbundenen wirtschaftlichen Bedeutung fanden die allerdings in der deutschen Gesellschaft überhaupt keine Beachtung und bildeten somit eher eine Subkultur, während der Großteil der Bevölkerung hier den Schlagerboom befeuerte.
Allenfalls erinnert man sich noch an ganze Wände voller Kassetten in den kleinen türkischen Läden, die auch bei Kaya Erwähnung finden, der noch dazu reichlich nostalgische Gefühle weckt, wenn er als Hauptumschlagplatz den Berliner Türkischen Basar im damals noch stillgelegten Bahnhof Bülowstraße in seinen Film einbaut. Überhaupt fühlt sich sein atmosphärischer Abriss der Musikgeschichte an wie eine angenehme Reise durch die Zeit, wie muss sich da erst die türkische Community fühlen, die zum großen Teil auch noch mit der Musik groß geworden ist?
Aber obwohl diese goldene Zeit das Wort „D-Mark“ im Titel abseits des allgemeinen finanziellen Aufschwungs der türkischen Gemeinschaft wohl am besten verkörpert, war auch da nicht alles Gold, was glänzte. Nach wie vor wurden die Migranten oft wie Menschen zweiter Klasse behandelt und mussten sich nicht selten gegen Anfeindungen zur Wehr setzen, was sich auch in den immer mehr gesellschaftskritischen Texten widerspiegelte. Doch auch das kommt bei Kaya nicht zu kurz, der seine Dokumentation keinesfalls als reines Wohlfühlkino aufbaut, sondern die einzelnen musikalischen Entwicklungsphasen immer wieder geschickt in den politischen Kontext integriert. So kommt dann auch die erste Generation zu Wort, die sich offen gegen Diskriminierung verteidigte und sich in der schwärzesten Stunde der tödlichen Anschläge von Solingen oder Mölln mit ihrem aggressiven HipHop Gehör verschaffte.
Mit „Liebe, D-Mark und Tod“ gelingt Cem Kaya so nicht nur ein sauber gearbeitetes, aufschlussreiches Résumé eines wichtigen Stücks Kulturgeschichte sondern vor allem ein feinfühliger Rückblick auf das Zeitgeschehen, der einem das Empfinden türkischer Migranten und dessen Niederschlag in der Musik näherbringt.
Trailer:
Bewertung: 7 von 10 Punkten