Nostalgia
Darsteller: Pierfrancesco Favino, Tommaso Ragno, Franceco Di Leva, Aurora Quattrocchi
Regie: Mario Martone
Dauer: 118 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: www.mfa-film.de/kino/id/nostalgia
Facebook: facebook.com/mfa.filmdistribution
Die DNA der Verfilmung „Nostalgia“ des gleichnamigen Romans ist ganz klar neapolitanisch. Sowohl Autor Ermanno Rea, der mit seiner Vorlage 2016 der Stadt huldigte, als auch Regisseur Mario Martone sind gebürtige Neapolitaner von ganzem Herzen. Da kann es kaum verwundern, dass das Drama von der ersten Sekunde an die Atmosphäre der süditalienischen Metropole aus jeder Pore verströmt. Genau genommen eigentlich sogar nur die des Viertels Sanità, auf das sich der neue Film des Theater- und Opernregisseurs Martone konzentriert und es damit bis zur italienischen Einreichung für den diesjährigen Oscar® gebracht hat.
Alles beginnt mit der Rückkehr Felices (Pierfrancesco Favino) in seine Heimatstadt Neapel, nachdem er ganze 40 Jahre weg gewesen ist und inzwischen fern der Heimat in Ägypten sowohl privat als auch beruflich als Bauunternehmer sein Glück gefunden hat. Jetzt aber ist seine Mutter (Aurora Quattrocchi) sterbenskrank und benötigt dringend seine Hilfe. Trotz seines neuen Lebens gibt es da für Felice nichts zu überlegen, und so lernen wir ihn kennen, wie er als Fremder in der alten Heimat fast schüchtern und ständig nach den richtigen Vokabeln suchend durch die wohlbekannten Gassen Sanitàs streift, die sich seit seiner Kindheit so wenig verändert haben. Und das scheint genauso auf ihn selbst zuzutreffen, denn schon nach kurzer Zeit erkennt ihn der frühere Verehrer seiner Mutter Raffaele (Nello Mascia) im Café und wird für ihn zu so etwas wie dem Katalysator für seinen Reintegrationsprozess in die geschlossene Gesellschaft des Viertels, die er einst unbedingt hinter sich lassen wollte.
Martone belässt es anfangs geschickt bei Andeutungen, baut seinen Film stattdessen auf den Emotionen auf, die den sanftmütigen Felice übermannen, als er nach Jahrzehnte langer Abwesenheit sein liebevolles, fast zartes Verhältnis zur jetzt pflegebedürftigen Mutter wiederbelebt, und all die Erinnerungen wieder hochkommen, die er im Exil so lange verdrängt hat. Fast wie ein zweiter Hauptdarsteller wirkt dabei das zwielichtige Altstadtviertel Neapels, dessen romantisch-antiquierte Atmosphäre uns zusammen mit Felice geradezu einsaugt und gleichzeitig ein latentes unheilvolles Gefühl der Beklemmung erzeugt. Und das kommt nicht von ungefähr, brennt doch schon bald Felices neu gekauftes Motorrad, und scheint der Heimkehrer auch sonst bei weitem nicht überall willkommen zu sein. Tatsächlich hat Felice offenbar noch einiges aufzuarbeiten, verlängert seinen Aufenthalt über den baldigen Tod der Mutter hinaus und sucht über den engagierten Pater Don Luigi (Francesco Di Leva), der der ortsansässigen Mafia den Kampf angesagt hat, gezielt Kontakt zu einschlägigen Kreisen.
Das ist der Zeitpunkt, an dem Mario Martones Streifen in Richtung Thriller kippt und dabei gewaltig Fahrt aufnimmt. Seine anfänglichen Andeutungen werden langsam bittere Gewissheit, als Felice um jeden Preis ein Treffen mit seinem Jugendfreund Oreste (Tommaso Ragno) sucht, der inzwischen zur Kiezgröße der Camorra aufgestiegen ist und über ganz Sanità herrscht. Darüber vergisst Felice all die titelgebende Nostalgie, die ihn anfangs komplett erfasst hat, lässt sich von Don Luigi für dessen Zwecke in der Gemeinde einspannen und sucht gegen jeden Rat beharrlich die Nähe zum gefährlichen Mafia-Paten, mit dem er einst ein Herz und eine Seele war. Mit Rückendeckung seiner Frau, für die er bald ein Haus renoviert, plant er sogar einen Umzug nach Sanità, das er einerseits aus dem Würgegriff der Camorra befreien will. Viel mehr aber strebt er danach, endlich mit seiner Vergangenheit abzuschließen, die ihn bei seiner Rückkehr mit voller Wucht eingeholt hat.
Wunderbar gelingt Martone hier sein Spagat zwischen ruhigem Gefühlskino und enormem Spannungsaufbau, den er in der unvermeidlichen Konfrontation der Jugendfreunde kulminieren lässt. Dass er uns dabei mit seinem wundervollen Hauptdarsteller Pierfrancesco Favino durch ein Wechselbad der Gefühle zwischen Heimatverbundenheit und Abscheu vor ihren mafiösen Strukturen schickt, verleiht seinem intensiven Drama globalen, gesellschaftskritischen Anspruch und verbreitet damit zeitweise sogar angenehm Hoffnung. Vor allem aber ist Felices von ihm feinfühlig eingefangenes Schicksal im vielschichtigen Neapel ungeheuer ergreifend.
Trailer:
Bewertung: 9 von 10 Punkten