Nur eine Frau
Darsteller: Almila Bagriacik, Meral Perin, Rauand Taleb, Armin Wahedi
Regie: Sherry Hormann
Dauer: 96 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: nureinefrau-derfilm.de
Facebook: facebook.com/NFPKino
2005 war der Aufschrei groß, als nach dem Tod der türkischstämmigen Berlinerin Hatun Sürücü die Bezeichnung “Ehrenmord” durch die Presse geisterte. Dass die von ihrem eigenen Bruder auf offener Straße kaltblütig erschossen worden war, weil sie sich angeblich dem Familienkodex nicht hatte unterwerfen wollen, löste danach Entsetzen und Unverständnis gleichermaßen aus, da die näheren Umstände weitgehend verborgen blieben. 14 Jahre später nimmt sich nun Sherry Hormann (“Wüstenblume”, “3096 Tage”) dieser Geschichte an und versucht mit “Nur eine Frau” etwas Licht ins Dunkel des damals in der Debatte um muslimische Parallelgesellschaften etwas untergegangenen tragischen Schicksals der lebenslustigen jungen Frau zu bringen.
Erzählen lässt sie uns das gleich Aynur (Almila Bagriacik), wie sich Hatun lieber nennt, selbst, erzeugt mit deren Off-Kommentaren des Leinwandgeschehens sofort eine intensive Nähe zu ihr, der man augenblicklich ausgeliefert ist. Das ist ein wirklich genialer Schachzug, basiert Florian Oellers Drehbuch doch hauptsächlich auf Gerichtsakten des Prozesses und lief dadurch Gefahr, etwas faktenlastig zu werden. So aber das absolute Gegenteil, denn in Kenntnis des Ausgangs der Geschichte nehmen einen die im Imperfekt formulierten Anmerkungen des Opfers sofort mit, machen neugierig darauf, wie es nur so weit kommen konnte.
Und das zeichnet sich schon sehr früh ab, als Aynur, älteste von vier Töchtern der Sürücüs, sich als Heranwachsende zu einer selbstbewussten, emanzipierten Persönlichkeit entwickelt und sich damit immer mehr gegen die Konventionen der Familie auflehnt. Im Gegensatz zu ihren fünf Brüdern ist sie nämlich so strengen, einengenden Vorschriften unterworfen, dass sie dies kaum ertragen kann, und wird schließlich mit 15 in der Türkei zwangsverheiratet. Um nicht ganz mit der Familie brechen zu müssen, lässt sie das alles über sich ergehen, kehrt allerdings hochschwanger nach Berlin zurück, als sie ihr Mann misshandelt.
Geradezu sensationell beteiligt uns Almila Bagriacik an der beklemmenden Enge in Aynurs Leben, das so sehr durch die Tradition vorbestimmt ist. Zeigt uns aber genauso die freiheitsliebende, lebenslustige Seite der jungen Frau, für die sinnbildlich ihr neuer deutscher Freund Tim (Jacob Matschenz) steht. Der wird immer mehr zum Sprengstoff des gesellschaftlichen Korsetts, das ihr die Familie immer enger schnallt, bis es bei nächtlichen Drohanrufen durch Aynurs Brüder selbst dem draufgängerischen Motorradfahrer zu viel wird.
Das alles macht die Problematik greifbar, verdeutlicht unterstützt durch die nüchtern vorgetragenen Kommentare aus dem Off und geschickt montierte Originalaufnahmen von glücklichen Momenten Aynurs die Ausweglosigkeit der Situation einer westlichen Frau unter muslimischem Reglement. Ebenso nachvollziehbar jedoch keineswegs tolerabler wird die Motivation ihrer Brüder, kongenial verkörpert von Rauand Taleb, Aram Arami und Mehmet Atesci, denen ihre Radikalisierung innerhalb des Mikrokosmos Familie eigentlich gar keine andere Wahl lässt. Allein der liberale Aram (Armin Wahedi), sozusagen männliches Pendant zu Aynur nur ohne Konsequenzen, sieht das Unheil kommen und rät zur einzigen Lösung des Konflikts, die für Aynur nicht infrage kommt: Flucht.
Sherry Hormann, die mit “Wüstenblume” und “3096 Tage” schon auf erschütternde Frauenschicksale aufmerksam machte, gelingt auch hier eine emotionale Anklage der Verhältnisse in der muslimischen Gesellschaft und speziell in Aynurs Familie ohne dabei Aynur zu sehr zu instrumentalisieren. Viel mehr ist ihr Film die Würdigung einer selbstbewussten Frau, der ein selbstbestimmtes Leben verwehrt wurde, der einen betroffen und fassungslos zurücklässt.
Trailer:
Bewertung: 8 von 10 Punkten