Home Film “Quiet Life” – ein sensibles Drama über ein fast unbekanntes, von Enttäuschung verursachtes Krankheitsbild

“Quiet Life” – ein sensibles Drama über ein fast unbekanntes, von Enttäuschung verursachtes Krankheitsbild

Autor: Tobi

"Quiet Life" Filmplakat (© Wild Bunch Germany)

Quiet Life

Darsteller: Chulpan Khamatova, Grigory Dobrygin, Naomi Lamp, Miroslava Pashutina
Regie: Alexandros Avranas
Dauer: 99 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: www.wildbunch-germany.de/movie/quiet-life
Facebook: facebook.com/wildbunch.filmlounge.de
Instagram: instagram.com/wildbunchfilmlounge
Kinostart: 24. April 2025


Mit “Quiet Life” widmet sich der griechische Regisseur Alexandros Avranas einer zumindest hierzulande kaum bekannten oder thematisierten Krankheit – dem sogenannten Child Resignation Syndrome, einem Apathie-Syndrom, das vor allem bei Kindern auf der Flucht in hoffnungslosen Situationen auftritt. Der im Film gezeigte Fall spielt nicht zufällig in Schweden, denn da Flüchtlinge und ihre Familien hier unmittelbar nach Stellung ihres Asylantrags gut integriert werden, fühlen sich insbesondere die Kinder endlich sicher vor den Greueltaten, denen sie entflohen sind, und so reagieren manche von ihnen umso dramatischer mit besagtem Syndrom, wenn der Antrag plötzlich unerwartet abgelehnt wird und wieder Angst regiert, wie es weiter gehen wird. Mehr als 100 Kinder fallen in Skandinavien jährlich in eine solche Apathie, wenn sie von Abschiebung bedroht sind.

Wir lernen Sergei (Grigory Dobrygin) und Natalia (Chulpan Khamatova) kennen, die 2018 mit ihren beiden Töchtern Katja (Miroslava Pashutina) und Alina (Naomi Lamp) vor politischer Verfolgung aus Russland nach Schweden geflohen sind. Hier fühlen sie sich wohl, und vor allem die Mädchen haben nicht nur die Sprache schon recht gut gelernt, sie sind auch sonst Teil der Gemeinschaft, Katja z.B. im Schul-Chor, während Alina als Turmspringerin Erfolge feiert. Umso mehr sind sie wie vor den Kopf gestoßen, als ihnen die Dame vom Amt samt Übersetzer am Telefon mitteilen, dass ihr Asylantrag abgelehnt sei. Sergeis Erzählungen über einen Angriff, bei dem er als Systemkritiker fast umgekommen sei, und seine hierbei davongetragenen Narben reichen offensichtlich als Beleg der Verfolgung nicht aus. Sergei und Natalia sind konsterniert, den Mädchen rinnen die Tränen herunter – und kurz darauf fällt die achtjährige Katja, die den brutalen Überfall einst mitangesehen hatte, ins Koma und die Ärzte diagnostizieren besagtes Resignationssyndrom.

Als wenn dies alleine nicht schlimm genug wäre, ist den Eltern hiermit die einzige Zeugin für das Erlebte weggebrochen, die mit einer Aussage vielleicht doch noch für eine andere Entscheidung hätte sorgen können. Die psychische Qual, sich an das Beobachtete noch einmal genau erinnern zu müssen und hierüber zu berichten, wollten die Eltern ihr ersparen – nun aber, da es für sie um die Zukunft geht, drängen sie die etwas ältere Alina, zu lügen, dass sie die Zeugin gewesen sei. Unter Eid muss sie hierzu aussagen, und hierfür wird sie von ihren Eltern nun genaustens gebrieft, bis sie Wort für Wort gewappnet scheint – aber macht die Kinderseele dies mit, in einer vor Anspannung berstenden Situation vor Fremden, die genau wissen, wie sie Heuchler in die Enge treiben?

"Quiet Life" Szenenbild (© Les Films du Worso / SFP)

(© Les Films du Worso / SFP)

“Quiet Life” ist ein sensibles, berührendes Drama, das von einiger Ohnmacht geprägt ist. So kühl wie der Asylantrag ohne jegliche Offenbarung von Emotionen oder Empathie abgelehnt wird, so kühl geht es auch in der Klinik zu, in der Katja dann liegt. Hier wird den Eltern von einer ständig künstlich grinsenden Mitarbeiterin klar gemacht, dass sie das Kind nur hinter einer Scheibe sehen dürften und erst einmal positive Ausstrahlung erlernen müssten, um vielleicht eine Änderung zu bewirken. Ein Seminar soll ihnen vermitteln, wie sie ihre Sorgen vom Nachwuchs fern halten und wie man richtig lächelt – eine brutal obskure Situation.

Der Film bewegt einen nicht nur, er besitzt auch Spannung, ob Alina es schafft, mit ihrer aufokruierten Lüge doch noch für eine Genehmigung des Antrags zu sorgen, und ob Katja wieder aufwacht. Das Gezeigte bleibt hierbei realitätsnah, was sehr positiv wirkt. Regisseur Alexandros Avranas, der 2018 einen Artikel im New Yorker-Magazin über das Child Resignation Syndrome las und direkt inspiriert war, hierüber einen Film zu machen, macht mit “Quiet Life”, dessen Drehbuch er mit Stavros Pamballis schrieb, viel richtig. Nicht umsonst gewann der Film 2024 den Publikumspreis bei den 66. Nordischen Filmtagen und wurde beim 30. Geneva International Film Festival mit dem Future Is Sensible Award ausgezeichnet – der Streifen geht unter die Haut und man identifiziert sich sofort mit der in die Verzweiflung getriebenen Familie, bei der Anstand und Ehrlichkeit, die Liebe der Eltern zueinander und zu ihren Kindern sowie das Festhalten an wahrem Erlittenen im Rahmen eines unmenschlich erscheinenden Prozesses nicht ausreicht, um integriert oder auch nur geduldet zu werden. Und ganu nebenbei lernt man natürlich noch einiges über das beängstigende Resignationssyndrom.

Trailer:

Bewertung: 8 von 10 Punkten

 

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