Home Film “Tausend Zeilen” – auch Michael “Bully” Herbigs zweite Regiearbeit abseits des Klamauks überzeugt

“Tausend Zeilen” – auch Michael “Bully” Herbigs zweite Regiearbeit abseits des Klamauks überzeugt

Autor: Tobi

"Tausend Zeilen" Filmplakat (© 2022 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.)

Tausend Zeilen

Darsteller: Elyas M’Barek, Jonas Nay, Michael Ostrowski, Michael Maertens
Regie: Michael Bully Herbig
Dauer: 93 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: www.warnerbros.de/de-de/filme/tausend-zeilen
Facebook: facebook.com/WarnerBrosDE


Nachdem Michael “Bully” Herbig 2018 mit seinem packenden DDR-Flucht-Thriller “Ballon” (lies unsere Filmkritik hier) ja bereits zeigte, dass er abseits des vorher gerne belegten Blödelei-Fachs große Qualität besitzt, legt er nun mit “Tausend Zeilen” seine neue Regiearbeit vor, inspiriert von Juan Morenos Buch “Tausend Zeilen Lüge – Das System Relotius und der deutsche Journalismus”, das den Skandal um manipulierte oder sogar komplett frei erfundene Geschichten im “Spiegel” schildert.

Nachdem das angesehene Nachrichtenmagazin “Chronik” sich auch dank der vielgelesenen, hochgelobten und mit einigen Preisen bedachten Reportagen des noch jungen Lars Bogenius (Jonas Nay) im Kampf gegen die große Konkurrenz an vor allem auch online aktiven Medien immer noch gut verkauft, sind die Entscheider im Haus vom redaktionellen Senkrechtstarter begeistert, ob nun der in Ansehen und Karriere-Planung mitprofitierende Ressortleiter Rainer M. Habicht (Michael Maertens) oder der stellvertretende Chefredakteur Christian Eichner (Jörg Hartmann).

Als nächste Titelstory wird das Drängen mexikanischer Flüchtlinge in die USA und die Gegenwehr selbsternannter Grenzschützer auf US-amerikanischer Seite auserkoren – und als Autor natürlich Bogenius. Während er auf US-Seite recherchieren und so nah wie möglich an die Truppen heran kommen soll, die ihr Vaterland vor den für sie illegalen Eindringlingen bewahren wollen, soll der freie Journalist Juan Romero (Elyas M’Barek) die in Flüchtlingsmassen marschierenden MexikanerInnen begleiten und befragen.

Das tut er dann auch und der befreundete Fotograf Milo (Michael Ostrowski) sorgt für die entsprechenden Bilder, wobei sich in Romero durchaus Frust regt, da er nicht immer nur Zulieferer für die großen Geschichten bleiben möchte und die gesamte Story gerne alleine erarbeitet hätte, wofür er vom wenig nahbaren Bogenius-Bewunderer Habicht zusätzlich noch gemaßregelt wird. Zurück in seiner Altbauwohnung in Berlin und bei seiner Frau Anne (Marie Burchard) und den vier kleinen Töchtern schreibt Juan seine Passagen und schickt sie an Bogenius.

Dessen Feedback lässt Romero konstaniert zurück. Nicht nur kritisiert Bogenius seine Texte und macht ihm in bester Chef-Manier Vorgaben, im Text über die “Border Wolves” auf US-Seite schildert er nächtliche Schüsse auf die Flüchtlinge, und wie sie ohne Wasser zurück in die Wüste geschickt werden, also Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aber wie soll Bogenius als deutscher Reporter den kriminellen Patrioten so nah gekommen sein, die er auch noch genau porträtiert und selbst abgelichtet hat, wie so schnell deren Vertrauen gewonnen haben?

In Juan regen sich starke Zweifel an der Wahrheit von Bogenius’ Schilderungen, der eigentlich mit Milo zusammen vor Ort recherchieren sollte, diesen aber abbestellt hatte. Beim Ressortleiter stößt er hiermit aber auf taube Ohren, und auch der interne Faktenchecker scheint alles ohne wirkliches Faktenchecken durchzuwinken. Lediglich die stellvertretende Ressortleiterin Yasmin Saleem (Sara Fazilat) nimmt Romeros Bedenken ernst, kann aber auch nichts daran ändern, dass die Titelgeschichte weiter geplant ist und in Kürze gedruckt wird. Da er seinen eigenen Ruf als Mitsverfasser und die Glaubwürdigkeit des renommierten Magazins gefährdet sieht, nimmt Juan die Zügel selbst in die Hand und fliegt mit Milo in die USA, nachdem sich einer der vermeintlichen “Border Wolves” zu einem Gespräch bereit erklärt hat.

"Tausend Zeilen" Szenenbild (© 2022 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.)

(© 2022 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.)

Auch Michael “Bully” Herbigs zweite Regiearbeit außerhalb des Komödienfachs ist wieder ganz hervorragend geworden, wobei hier Humor durchaus auch eine Rolle spielt, wird er doch unterschwellig immer wieder mal eingebracht und weisen einige Szenen durchaus Situationskomik auf. Im Fokus steht aber ein ganz ernstes Thema, nämlich die Wahrheit und wie selbst die schlauesten Köpfe manchmal auf Blender hereinfallen, wenn diese seriös genug auftreten.

Genau so wirkt er eben, der zurückhaltende, stets ordentlich gekleidete Bogenius, der es mit seinem nicht zu leugnenden Talent für das Schreiben nach oben geschafft hat und in den vom Verlags-Hochhaus über den Hamburger Hafen schauenden Chefetagen gerne gesehen wird. Dagegen kommt der emsige Romero mit seinem lässigen Look und durchschnittlicher redaktioneller Reputation nicht an und ihm wird lieber Neid vorgeworfen, anstatt seine alles andere als haltlosen Argumente anzuhören, geschweige denn zu prüfen.

Dass dieser Hochmut zum Fall führt, das ist nach dem berechtigten Wirbel um den Relotius-Skandal ebenso wenig ein Geheimnis wie sich bei “Ballon” Zweifel regten, die Flucht könne misslingen, und doch schafft es Herbig erneut, einen zu packen durch die Art und Weise seiner filmischen Erzählung. Hierbei wurde einiges künstlerisch frei verändert, das aber sehr geschickt, so dass “Tausend Zeilen” äußerst unterhaltsam daher kommt.

“Es geht in diesem Film um die Lüge, um die Unwahrheit. Darin habe ich stilistisch eine Chance gesehen, Dinge zu machen, die ein normaler Film nie machen darf”, erklärt Herbig. “Die Handlung bricht immer wieder aus, wir erfinden kleine Geschichten innerhalb des Films. Und wenn die Leute glauben, dass sie gerade die Wahrheit gesehen haben, schlagen wir wieder einen Haken. Wir arbeiten also mit denselben Methoden wie der Reporter, der seine Geschichten verdreht oder erfindet. Wenn mich die Genre-Polizei fragt, was für ein Film ‘Tausend Zeilen’ eigentlich ist, muss ich gestehen: Ich weiß es nicht.”

Irgendwo zwischen Drama und Satire bewegt sich der Streifen und weist sogar Elemente auf, die man aus Krimis oder Thrillern kennt, denn man fiebert durchaus mit, wie es Romero denn nun gelingen kann, die Machenschaften von Bogenius zu enttarnen. In Zeiten von Fake News macht das Ganze natürlich auch nachdenklich, denn es sollte nicht fragwürdig werden, ob man renommierten Medien, die für sauber recherchierten Journalismus stehen, noch glauben kann.

Filmisch wendet Herbig einige gut eingeflochtene Mittel an, die man nicht zwingend erwartet, ob er nun Romero plötzlich als Schüler zeigt, um seine Gefühle zu vermitteln, Grafiken und Illustrationen einbaut oder die sogenannte vierte Wand durchbricht, indem er Romero wie auch Bogenius hin und wieder direkt zum Publikum sprechen lässt. Darstellerisch weiß nicht nur Elyas M’Barek zu überzeugen, der in Filmen wie diesem oder vor drei Jahren “Der Fall Collini” als ernsthafter Charakter zu glänzen weiß, während er in Klamauk- und Charmeur-Rollen nicht immer sein Potenzial ausreizen kann. Auch Jonas Nay, Michael Ostrowski, Michael Maertens, Sara Fazilat und Jörg Hartmann wissen in einem insgesamt sehr gut ausgewählten Cast zu gefallen. Ein Streifen, der sich hervorragend anschauen lässt.

Trailer:

Bewertung: 9 von 10 Punkten

 

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