The Father
Darsteller: Anthony Hopkins, Olivia Colman, Imogen Poots, Rufus Sewell
Regie: Florian Zeller
Dauer: 97 Minuten
FSK: freigegeben ab 6 Jahren
Website: tobis.de/film/the-father
Facebook: facebook.com/TobisFilmclub
In letzter Zeit ließen Regiedebüts, die auch wirklich etwas zu sagen hatten, in erstaunlicher Regelmäßigkeit aufhorchen. Nachdem erst letzte Woche Emerald Fennells beeindruckender Erstling „Promising Young Woman“ zum bedeutenden Thema Vergewaltigung in die Kinos kam, legt jetzt der Franzose Florian Zeller die enorm starke Kinoadaption seines eigenen Theaterstücks „The Father“ vor, die dem Problem Demenz nochmal eine ganz neue Dimension verleiht.
Als wäre es nicht schon genug, dass Annes (Olivia Colman) Vater Anthony (Anthony Hopkins) durch seine fortschreitende Verwirrtheit immer mehr auf fremde Hilfe angewiesen ist, hat er mit seinen unberechenbaren Ausbrüchen obendrein mal wieder eine bewährte Pflegekraft vergrault. Das mildert Annes Sorgen um ihn nicht gerade, zumal sie sich mit dem Gedanken trägt, ihren Freund Paul (Rufus Sewell) bald nach Paris zu begleiten, von wo aus das Troubleshooting noch um einiges schwieriger wäre. Schon so hat sie alle Hände voll zu tun, Anthonys Starrköpfigkeit und Anschuldigungen wegzumoderieren und dabei gleichzeitig nicht alle Gefühle durch ihre inzwischen zu stattlicher Dicke angewachsene Haut dringen zu lassen.
Das verdeutlicht uns Regisseur Zeller ergreifend als außenstehende Teilnehmer am Vorstellungsgespräch mit der sympathischen neuen Pflegerin Laura (Imogen Poots), bei dem er uns Anthony von seiner ganz charmanten Seite zeigt, seine Stimmung nach Annes Hinweis auf seine Desorientiertheit jedoch von einem Moment auf den anderen in absolute Feindseligkeit umschlagen lässt. So bekommen wir gleich eingangs einen entfernten Eindruck davon, womit sich Anne tagtäglich herumschlagen muss und welche Belastung das für sie und ihre Beziehung darstellt.
Noch beeindruckender aber ist es, wie uns Zeller mitnimmt in die Gedankenwelt seines dementen Anthony, dabei gezielt auch mit unserer Wahrnehmung spielt, indem er seine Figuren mit verschiedenen Schauspielern einführt und Wohnsituationen solange wechselt, bis wir selber an uns zweifeln. Realität und Einbildung verschwimmen in seinem Kammerspiel immer mehr, das uns damit fast so orientierungslos lässt, wie seine Hauptfigur und uns damit eine überaus plastische Vorstellung von seiner Gemütslage vermittelt. Nichts symbolisiert dies besser als die ständig wechselnde Wohnungstür, die für Anthony das nahezu unüberwindliche Tor zur heilen Außenwelt darstellt, während er in seinem eigenen Kosmos ausweglos gefangen scheint.
Anthony Hopkins spielt das mit unfassbarer Intensität, welchselt fast sekündlich zwischen starrem Blick und wachen Phasen, in denen sein Anthony versucht, seine Gedanken zu ordnen. Das ist ungeheuer realistisch, überschreitet auch bei seinen jähzornigen Ausbrüchen nie die Grenze des Overactings, sondern lässt uns vielmehr Anthonys kompensierte wachsende Verzweiflung nachvollziehen. Dabei bemühen auch wir uns, aus seinen Erinnerungsfetzen und Wahrnehmungen die Realität herauszufiltern, über die uns Zeller über weite Strecken des Films im Unklaren lässt. Hopkins wahrlich oscarwürdiger Performance steht die von Olivia Colman allerdings in nichts nach, die uns voller Mitleid mit ihrer Anne die schlimmen Auswirkungen der fortschreitenden Krankheit unmittelbar vor Augen führt.
Florian Zeller verhandelt in seinem enorm dichten Drama das Thema Demenz, mit dem wir uns alle in der einen oder anderen Form irgendwann beschäftigen müssen, ungemein emotional, und lässt uns die Folgen hauptsächlich aus der Perspektive des Betroffenen selbst erfahren. Das fordert Verständnis ein, ist dadurch, dass er dabei auch die Probleme der Angehörigen nicht aus dem Blick verliert, aber in erster Linie ein Plädoyer für einen respektvollen Umgang miteinander. Somit wird sein imposantes Regiedebüt zu einer aufwühlenden Erfahrung, die einem neue Blickwinkel eröffnet und noch dazu lange nachwirkt.
Trailer:
Bewertung: 10 von 10 Punkten