The Zone of Interest
Darsteller: Sandra Hüller, Christian Friedel, Medusa Knopf, Nele Ahrensmeier
Regie: Jonathan Glazer
Dauer: 105 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: www.leoninedistribution.com/filme/172097/the-zone-of-interest.html
Facebook: facebook.com/LEONINEStudios
Kinostart: 29. Februar 2024
Uns läuft wohl allen noch immer ein kalter Schauer über den Rücken, wenn wir die grauenvollen Bilder von der Befreiung der NS-Konzentrationslager kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs sehen: Berge von Leichen, Krematorien und Häftlinge in bedauernswertem, kaum für möglich gehaltenem Zustand. Bilder, fest eingebrannt in unser Gedächtnis, die ganz automatisch auftauchen, wenn wir den Namen Auschwitz hören. Genau das macht sich der britische Regisseur Jonathan Glazer („Sexy Beast“, „Under the Skin“) in seinem neuen, locker an Martin Amis‘ gleichnamigen Roman angelehnten Werk „The Zone of Interest“ zunutze, in dem er uns all den perversen Schrecken der Massenvernichtung von Juden einmal verstörend aus der Täterperspektive präsentiert.
Und verstörend ist sein Film schon, bevor er richtig angefangen hat, denn eine mehrminütige schwarze Leinwand gleich nach dem Vorspann muss man sich erstmal trauen. Seine Wirkung jedenfalls verfehlt das nicht, sind die Sinne augenblicklich geschärft für alles, was da kommen mag. Das ist zunächst einmal die komplett heile Welt einer Familie, die wir beim idyllischen, sommerlichen Picknick am Fluss kennenlernen, nur um kurze Zeit später zu erfahren, dass Vater Rudolf Höß (Christian Friedel) der Kommandant des Vernichtungslagers Auschwitz ist. Und hätte man deswegen nicht sofort die furchtbaren Bilder im Kopf, man könnte ihn für einen ganz normalen Arbeitnehmer halten, der einfach versucht, seinen Job so gut wie möglich zu machen.
Doch dass der in der Ermordung tausender unschuldiger Menschen besteht, wissen wir selbstverständlich und sehen so lediglich ein Monster in Uniform. Das aber wird praktisch mit dem Ausziehen der Stiefel zuhause zum liebevollen Familienmenschen, der abends im Bett seinen Kindern vorliest und es besonders seiner Frau Hedwig (Sandra Hüller) auch sonst an nichts fehlen lässt. Die wiederum genießt ihre Position sichtlich, kümmert sich, ganz dem nationalsozialistischen Frauenbild folgend, mit Freude um die Kinder und die Pflege des Hauses mit paradiesischem Garten, der direkt an die Lagermauer grenzt, als wäre es die normalste Sache der Welt.
Aber ausblenden wie Hedwig Höß lässt uns Jonathan Glazer das Grauen jenseits der Mauer nicht, auch wenn seine ästhetischen, fast statischen Bilder die Ruhe eines nahezu perfekten Familienidylls ausstrahlen. Seine Tonspur jedoch spielt geschickt mit unserer sowieso schon angeregten Vorstellungskraft und lässt von weit her immer wieder aufgeregte Befehle, Schüsse und Schreie ertönen, die einem im Wissen um die Vorgänge im Lager schlicht die Nackenhaare aufstellen, während die Familie friedlich bei Kaffee und Kuchen in der Frühlingssonne sitzt. Ganz verdrängen kann aber auch Familie Höß den Horror nicht, zu gegenwärtig ist das unaufhörliche Bollern der Krematorien, zu belastend die Asche der Opfer, die den Besuch von Hedwigs Mutter und bei entsprechender Verunreinigung erschütternd selbst das ausgelassene Flussbad jäh beendet.
Doch das nimmt vor allem Hedwig gern in Kauf, die stattdessen all ihre Privilegien genießt und sich anmaßend als „Königin von Auschwitz“ feiern lässt, für die bei Neuankömmlingen im Lager schon mal ein schicker Pelzmantel abfällt. Deren widerliche Mischung aus Gewissenlosigkeit und Ignoranz verkörpert hier Sandra Hüller einmal mehr in Bestform und lässt uns geradezu erschaudern, wenn Hedwig ihrem jüdischen Dienstmädchen einmal jähzornig mit der Vergasung droht. Dem steht ihr Mann allerdings in nichts nach, dem wir fassungslos dabei zusehen müssen, wie er sich tagtäglich skrupellos mit Eifer um die Steigerung der logistischen Effizienz des KZs kümmert und dazu sogar nüchtern die Installation einer Ringbrennkammer vorantreibt.
Dass die bestialischen Verbrechen des Nationalsozialismus von normalen Menschen verübt wurden, inszeniert Glazer genauso anschaulich wie realistisch und geht dabei mit seinem subtilen Schrecken, den er uns nie direkt zeigt, permanent unter die Haut. Erklärungen dafür lässt er allenfalls im Ansatz erkennen, vergleicht zum Ende im Gegenschnitt die professionelle ideologische Pflichterfüllung des Rudolf Höß mit der des Reinigungspersonals in der aktuellen Gedenkstätte Auschwitz, welches die unmittelbare Präsenz des Mordens ebenso wenig an sich heranlassen darf wie Höß, der sich in der Sperrzone um das Lager, dem „Interessengebiet“, in moralischer Abstraktion eingerichtet hat. Auf jeden Fall aber lässt uns eines der intensivsten Holocaust-Dramen der Geschichte nachdenklich und emotional ausgelaugt zurück.
Trailer:
Bewertung: 9 von 10 Punkten