Home Film “Titane” – das verstörende Fantasy-Drama strengt emotional an

“Titane” – das verstörende Fantasy-Drama strengt emotional an

Autor: Mick

"Titane" Filmplakat (© Koch Films)

Titane

Darsteller: Agathe Rousselle, Vincent Lindon, Bertrand Bonello, Garance Marillier
Regie: Julia Ducournau
Dauer: 108 Minuten
FSK: freigegeben ab 16 Jahren
Website: www.titane-film.de
Facebook: facebook.com/KochFilms


Leicht macht es uns Julia Ducournau mit „Titane“ jedenfalls nicht, der im Juli überraschend die Goldene Palme bei den Filmfestspielen von Cannes gewann. Das allerdings war nach ihrem Vorgänger und Debüt „Raw“ (2016) auch nicht zu erwarten, der uns mit expliziten Bildern die metaphysische Transformation einer Vegetarierin zur Kannibalin vorführte. Jetzt also ihr zweiter Ausflug in die Welt des Body-Horrors, in dem sie die Übersinnlichkeit auf die Spitze treibt.

Es geht um Alexia (Agathe Rousselle), die schon in Kindertagen eine besondere Vorliebe für Autos entwickelt. Als ihr nach einem Unfall eine Titanplatte in den Schädel implantiert werden muss, wächst sich diese zu einer fast zärtlichen Obsession aus, der sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit nachgeht. Da verwundert es nicht, dass sie sich, inzwischen erwachsen, als Erotiktänzerin bei Autoshows auf Motorhauben räkelt. Gut, Fetische gibt es sicherlich genug, und selbst der Sex mit einem Cadillac in dessen Innenraum sprengt noch nicht unsere Vorstellungskraft. Dass daraus aber eine Schwangerschaft resultieren soll, bei der es auch gerne zum Vaginalausfluss von Motoröl kommt, ist schon etwas gewöhnungsbedürftig und fordert uns schon früh einiges an Abstraktionsbereitschaft ab.

Doch mit Alexia scheint auch sonst irgendwas nicht zu stimmen. Hat ihr Belästiger auf dem Parkplatz sein brutales Schicksal noch nicht anders verdient, so ist das blutige Gemetzel nach dem One-Night-Stand moralisch zumindest fragwürdig. Dabei aber öffnet Regisseurin Ducournau genügend Raum für Interpretationen und regt damit gezielt zum Nachdenken an. Hat die Titanplatte solch einen nachdrücklichen Effekt auf Alexias Impulsivität oder sieht sie sich selbst gar als legitime Nachfahrin der Titanen aus der griechischen Mythologie, die sich mit Allmachtsfantasien zum Herrscher über Leben und Tod aufschwingt?

"Titane" Szenenbild (© Carole Bethuel)

Nach der Gewaltorgie wird sie jedenfalls per Haftbefehl gesucht und ist gezwungen, ihr Äußeres grundlegend zu verändern. So wird aus ihr mittels Haarschnitt und schmerzhafter Nasenumgestaltung ein junger Mann, zu dem eine sich immer deutlicher abzeichnende Schwangerschaft so gar nicht passen will. Und trotzdem scheint der toughe Feuerwehrmann Vincent (Vincent Lindon), dem sie zufällig über den Weg läuft, in ihr seinen vor zehn Jahren verschwundenen Sohn wiederzuerkennen. Das scheint nicht plausibler als eine Schwangerschaft von einem Auto, und doch macht Ducournau damit nochmal eine ganz neue Ebene der Emotionalität auf.

Schnell sieht man da über die optisch augenscheinlichen Widersprüche hinweg und hinterfragt vielmehr etwaige Motivationen ihrer Hauptfiguren, die durch Vincent Lindon und vor allem Agathe Roussell mit enormer Körperlichkeit bis zur Erschöpfung gespielt werden. Das folgende Abarbeiten der beiden vom Schicksal so gepeinigten Seelen aneinander, die sich allen Umständen zum Trotz zueinander hingezogen fühlen, laugt uns dabei so sehr aus, dass es schon fast ermüdet. Und doch sind es die Gegensätze, die die Beschäftigung mit dem schwierigen Film lohnen, ist es der seit dem Verlust seines Sohnes von Verzweiflung gebrochene Vincent, der sich in der testosterongeschwängerten Atmosphäre der Feuerwache als Ausbilder keine Schwäche erlauben darf. Und es ist die von ihm aufgenommene, nach wahrer Liebe suchende Alexia, die sie weder von ihrem Vater (Bertrand Bonello) noch sonst irgendwo jemals erfahren hat und die ihr jetzt vom Seelenverwandten Vincent zum ersten Mal entgegengebracht wird.

Das zu beobachten, macht den intensiven Film trotz aller oder vielleicht gerade wegen allen Irritationen durchaus interessant und tröstet über so manche gezwungen kontrovers inszenierte Sequenz hinweg. Vielleicht macht am Ende dann alles doch wieder Sinn.

Trailer:

Bewertung: 6 von 10 Punkten

 

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