Treasure – Familie ist ein fremdes Land
Darsteller: Stephen Fry, Lena Dunham, Zbigniew Zamachowski, Wenanty Nosul
Regie: Julia von Heinz
Dauer: 112 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: www.alamodefilm.de/kino/detail/treasure-familie-ist-ein-fremdes-land.html
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Kinostart: 12. September 2024
Als Tochter von Elek (Stephen Fry) hat man es schon nicht leicht. Eine Ewigkeit wartet Ruth (Lena Dunham) am Warschauer Flughafen auf ihren aus New York anreisenden Vater, dem es dann in fröhlicher Plauderstimmung herzlich egal zu sein scheint, dass er seinen ursprünglich geplanten Flieger leichtfertig verpasst hat. Schon mit ihrer Anfangsszene drückt Regisseurin Julia von Heinz („Ich bin dann mal weg“, „Und morgen die ganze Welt“) herrlich die Widrigkeiten einer komplizierten Vater-Tochter-Beziehung aus, mit der sie uns die nächsten knapp zwei Stunden beschäftigen wird. Die nämlich bildet die Basis ihrer Verfilmung „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ des Romans „Zu viele Männer“, mit dem die Australierin Lily Brett 2001 ihre eigene jüdische Familiengeschichte verarbeitet hat.
Die Reise von Ruth und Vater Elek trägt dabei deutlich autobiografische Züge, die ihren Anfang am eingangs erwähnten Flughafen von Warschau nimmt. Nur widerwillig tritt Elek da den Trip in seine alte Heimat Polen an, wo er seit über 40 Jahren nicht mehr gewesen ist, Ruth im Jahr 1991 nun aber endlich Antworten auf die Fragen nach ihrer Familiengeschichte sucht, die ihr Elek im Exil USA offensichtlich nie geben wollte. Der hat bis auf seine Frau seine gesamte jüdische Verwandtschaft im Vernichtungslager von Auschwitz verloren, scheint mit seinem tragischen Schicksal nach dem Tod seiner Frau aber inzwischen seinen Frieden gemacht zu haben.
Das zumindest vermittelt uns Stephen Fry, der seinen rüstigen Rentner Elek wunderbar als Lebemann mit unerschütterlich guter Laune gibt, neben dem die ernsthafte Ruth fast wie eine miesepetrige Spaßbremse wirkt. Dabei müsste ihm die Aussicht auf eine Rückkehr an die Schauplätze seiner dunklen Vergangenheit doch eigentlich gründlich die Stimmung verderben. Für ihn aber steht das Vergnügen des gemeinsamen Trips mit seiner Tochter im Vordergrund, der statt einer von ihr gebuchten, beschwerlichen Zug- eine Fahrt im komfortablen Mercedes vorsieht, denn schließlich hasst Elek zwar die Deutschen, keinesfalls aber deren hochwertige Autos. Mit dessen kurzerhand angeheuerten Fahrer Stefan (Zbigniew Zamachowski) – wie fast alle Menschen schon bei der ersten Begegnung mit Elek zum dicken Kumpel ernannt – ist die kleine Reisegruppe komplett, die wir fortan auf dem Weg in Eleks Vergangenheit begleiten.
Und der bietet trotz des tragischen Hintergrunds erstmal überwiegend komische Momente, lebt von den komplett gegensätzlichen Charakteren von Vater und Tochter, die Fry und seine kongeniale Partnerin Lena Dunham sich hier aneinander abarbeiten lassen. Das ist nicht nur mit Frys regelmäßigen polnischen Einschüben hoch authentisch, irgendwie fühlt man sich zwischen dem alles leicht nehmenden Elek und der langsam extrem genervten Ruth verständnisvoll hin- und hergerissen, sondern schlägt spätestens mit dem Besuch von Eleks alter Wohnung in Łodz, die damals von den Nazis enteignet wurde, gekonnt auch ernstere Töne an. Plötzlich nämlich ist auch für Elek beim Betrachten seines alten Mobiliars nicht mehr alles lustig, und lässt der großartige Stephen Fry auch andere Erklärungsansätze für das Verhalten seines Holocaust-Überlebenden zu.
Im Lager Auschwitz selbst dann sind sie wieder allgegenwärtig, Eleks Erinnerungen an ein Leben in Gefangenschaft, bei dem der Tod von Angehörigen an der Tagesordnung war und der Transport mit dem Zug, bequemer Mercedes hin oder her, bei ihm vor allem traumatische Spuren hinterlassen hat. Dabei lässt Regisseurin von Heinz Eleks mühsam aufrechterhaltene Fassade langsam bröckeln und ihren Hauptdarsteller:innen gleichzeitig feinfühlig allen Raum, den sie brauchen, um uns am Aufarbeitungsprozess ihrer Figuren teilhaben zu lassen. Das ist nicht nur ein virtuoser Drahtseilakt zwischen feinem Humor und finsterster Tragödie, sondern lässt uns obendrein mit versiertem Locationscouting das typische Ostblockflair der Nachwendezeit samt längst eingezogenem Neokapitalismus spüren.
Allein Stephen Fry dabei zuzusehen, wie er die Sorglosigkeit seines Elek langsam als reine Verdrängung entlarvt, ist dabei schon das Eintrittsgeld wert, und macht von Heinz‘ humoristische Vater-Tochter-Geschichte hintenraus auch noch hoch emotional. Damit beweist die Regisseurin, dass seriöse Beschäftigung mit NS-Verbrechen nicht zwingend todernst erfolgen muss, sondern mit dem nötigen Respekt als leichtfüßige Inszenierung vielleicht sogar noch mehr berühren kann.
Trailer:
Bewertung: 7 von 10 Punkten