West Side Story
Darsteller: Ansel Elgort, Rachel Zegler, Ariana DeBose, David Alvarez
Regie: Steven Spielberg
Dauer: 156 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: www.20thcenturystudios.com/movies/west-side-story
Facebook: facebook.com/20thCenturyStudiosDE
Von Blockbuster-Action bis zu sentimentalen Dramen mit Anspruch und Tiefgang hat uns der große Steven Spielberg, wie man ihn nicht nur auf Grund seiner drei Oscar®-Auszeichnungen bei insgesamt 17 Nominierungen fraglos nennen darf, schon alles beschert. Nun hat er sich an eine filmische Neuinszenierung des weltbekannten und mega-erfolgreichen Musicals “West Side Story” heran gewagt, und das mit dem nötigen Respekt. “Dieser Film ist wahrscheinlich die größte Herausforderung in meiner Karriere”, erklärt er und fügt an: “Es ist sehr einschüchternd, ein Meisterwerk mit anderen Augen und einer anderen Sensibilität zu betrachten, ohne die Integrität dessen zu gefährden, was allgemein als die größte Musik gilt, die je für das Theater geschrieben wurde. Aber ich glaube, dass große Geschichten immer wieder erzählt werden sollten, auch um verschiedene Perspektiven und Momente der Zeit in das Werk einfließen zu lassen.”
Dass eine Musical-Verfilmung auch mächtig in die Hose gehen kann, bewies vor zwei Jahren erst “Cats”, das von Kritikern gnadenlos verrissen wurde und es nicht schaffte, sein Budget wieder einzuspielen – und das noch vor jeglichen Pandemie-bedingten Kinoschließungen. Bei “West Side Story” gestaltet sich das Ganze eigentlich noch komplizierter. Zwar muss man hier keine Menschen optisch in Katzen verwandeln, aber der Musical-Klassiker, der 1957 seine Premiere am Broadway feierte, wurde 1961 bereits von Robert Wise und Jerome Robbins ganz hervorragend in einer Kinoversion adaptiert, die zu einem erfolgreichen Blockbuster wurde und zehn Oscars® gewann, u.a. als “Bester Film”.
“Ich liebe den Originalfilm von Robert Wise mit Jerome Robbins. Wise war viele, viele Jahre lang ein enger Freund von mir, und ich habe mit ihm bis zum Überdruss über den Film gesprochen”, berichtet Spielberg und beschreibt, wie er sich dem Projekt annahm: “Man muss von sich immer wieder eine Rechtfertigung dafür einfordern, dass man auf etwas herumtrampelt, das sich anfühlt wie heiliger Boden. Das ging uns allen so. Keinem von uns ist entgangen, wie riskant dieses Unternehmen ist. Aber alle Beteiligten näherten sich dem Projekt mit außerordentlicher Liebe und großem Respekt, bisweilen fast schon Ehrfurcht vor der Show und natürlich auch ihren legendären Schöpfern. Aber wir wussten auch, dass wir einen Film für unsere Zeit machen mussten, und zwar mit dem heutigen Verständnis und zeitgemäßen Werten, denen wir uns verschrieben haben.”
Es geht um Rivalität, um Vorurteile und Gewalt gegenüber Immigranten, und um persönliche Konflikte – aber auch um Liebe, Mut und Optimismus. Geschaffen wurde das Musical einst von Regisseur und Choreograph Jerome Robbins, Komponist Leonard Bernstein, Texter Stephen Sondheim und Theaterautor Arthur Laurents, und ihnen gelang ein absolutes Meisterwerk, bei dem die Klasse der Handlung von den Liedern noch übertroffen wurde, besitzt doch kaum ein Musical so eine Dichte an konstant großartigen und hierbei abwechslungsreichen Songs, von Beginn bis zum Ende.
An der Story selbst hat Spielberg nicht viel geändert. Im New York der 50er-Jahre kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen den rivalisierenden New Yorker Straßenbanden Jets und Sharks. Mit solch einem geht es dann auch direkt los, wenn die weißen, einheimischen Jets angeführt von Riff (Mike Faist) durch die Straßen ziehen, um sich zu sammeln und dann ausgerüstet mit Farbeimern eine riesige puerto-ricanische Flagge an einer Wand zu beschmieren. Das ruft die Sharks um Bernardo (David Alvarez) auf den Plan, die als ebenso gewaltbereite Gang von Zugewanderten die Ehre ihres Heimatlands verteidigen wollen, und so kommt es zu einer Keilerei, die von Lieutenant Schrank (Corey Stoll) und Officer Krupke (Brian d’Arcy James) gestoppt wird – nicht zum ersten Mal.
Aufgeschoben ist natürlich aber nicht aufgehoben, und so strebt Riff einen organisierten Kampf an, den er den Sharks bei der anstehenden nachbarlichen Tanzveranstaltung vorschlagen möchte. Hierfür versucht Riff, seinen Freund Tony (Ansel Elgort) als ausgetretenen früheren Anführer der Jets zu reaktivieren, ist er doch der beste Kämpfer gewesen. Tony, der nach der Abkehr von kriminellen Aktivitäten seinen Frieden gefunden hat und sogar im Laden einer alten Puerto-Ricanerin (Rita Moreno) arbeitet, verweigert zunächst seine Teilnahme, geht dann aber schließlich doch zur Veranstaltung, weil er sich innerlich nach mehr Aufregung sehnt.
Hier lernt er die erst kürzlich nach Amerika gekommene Maria (Rachel Zegler) kennen und verguckt sich Hals über Kopf in die hübsche Puerto-Ricanerin, die als solche und vor allem auch als Schwester von Bernardo, der seinen Kumpel Chino (Josh Andrés Rivera) als ihren künftigen Ehemann vorgesehen hat, sicher keine unproblematische Liebschaft bedeuten kann. Die beiden küssen sich trotzdem und aus den rivalisierend statt interkulturell ausgetragenen Tänzen wird so ein noch größerer Konflikt, als Bernardo voller Wut eine klärende Schlägerei in den Raum stellt, die dann auch bald terminiert ist.
Motiviert von der in ihm aufgeflammten Verliebtheit, die sich durch einen heimlichen Besuch bei Maria zu Hause noch steigert, fasst Tony den Entschluss, sich lieber für einen Waffenstillstand der Gangs einzusetzen – sein Erscheinen beim Kampf gipfelt dann allerdings in einer ungewollten Eskalation.
“‘West Side Story’ bedeutet vielen sehr viel. Ich bin begeistert, dass ich die Gelegenheit habe, ihr neues Leben zu schenken und mit einem neuen Publikum teilen zu können”, sagt Steven Spielberg, und begeistert lässt er uns dann auch aus dem Kino gehen, ist ihm doch ein neuerliches Meisterwerk gelungen.
Nach einem Drehbuch des Pulitzer Preis- und Tony Award®-Gewinners Tony Kushner hat Spielberg eine von Nostalgie geprägte Neuauflage inszeniert, die vom Start weg zu faszinieren weiß. Die wunderbar mit Licht spielenden Bilder von Kameramann Janusz Kamiński passen optisch bestens zur in den 50er-Jahren angesiedelten Handlung und transportieren viel Atmosphäre, wobei man spürt, wie hier die Perfektion jeder Einstellung angestrebt und auch gefunden wurde. Die zeitlosen Kompositionen von Leonard Bernstein mit tollen Texten von Stephen Sondheim nehmen einen dirigiert vom Grammy®-Gewinner Gustavo Dudamel und arrangiert vom Oscar®-nominierten David Newman auch heute noch gefangen, die tollen Choreographien der Tanzszenen wurden von Tony®-Gewinner Justin Peck mitreißend umgesetzt.
Schauspielerisch und gesanglich stehen Ansel Elgor (“Baby Driver”, “Das Schicksal ist ein mieser Verräter”) als Tony und die zauberhafte Newcomerin Rachel Zegler als Maria natürlich im Mittelpunkt, und die beiden glänzen, auch weil zwischen ihnen die Chemie voll stimmt. Aber auch der Rest des Ensembles singt, spielt und tanzt hervorragend, und es ist toll, dass Rita Moreno hier als ältere Shopbesitzerin Valentina mit dabei ist, die in der 1961er-Verfilmung die Rolle von Bernardos Freundin Anita spielte und hierfür einen Oscar® als “Beste Nebendarstellerin” erhielt.
“Das ist die eine Produktion, bei der ich mir gewünscht habe, dass sie niemals enden würde”, schwärmt auch Steven Spielberg. “Ich hatte eine wunderbare Zeit beim Dreh von ‘West Side Story’. Das letzte Mal, dass ich einen Dreh so sehr genossen habe, war ‘E.T. – Der Außerirdische’ im Jahr 1981. Und dieser Film ließ mich mit Themen wie Vaterschaft und alle möglichen anderen Dinge, über die ich mir nie Gedanken gemacht hatte, in Berührung kommen. Vielleicht setzte mir dieser Film hier Musicals und alle möglichen anderen Dinge, über die ich mir immer schon Gedanken gemacht habe, aber nie den Mut hatte, sie in die Tat umzusetzen, in den Kopf.”
Spielberg profitierte hierbei auch davon, dass die Handlung – leider, muss man sagen – nichts an Aktualität verloren hat. Vorurteile und Hass gegenüber Immigranten, die von vermeintlich Einheimischen, deren Wurzeln vor Generationen oft auch noch ganz woanders lagen, angefeindet werden, sind nicht nur durch die Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre omnipräsent, und auch rivalisierende Banden gibt es heute noch. Zum Glück ist aber auch die Liebe eine Konstante, die immer eine zentrale Rolle in unserer Gesellschaft spielen wird, und trotz aller Tragik sehen wir hier auch eine schöne, zärtliche Liebesgeschichte.
Spielberg erklärt: “Die Botschaft von ‘West Side Story’ ist zeitlos, für die Ewigkeit. Das erscheint heute noch aktueller als 1957, als das Stück erstmals am Broadway aufgeführt wurde. Noch aktueller, als es 1961 und 1962 gewesen war, als der Film die Menschen im Kino bewegte. Es geht darum, wie wir heute in diesem Land leben – eine Zeit tragischer Division und grenzenlosen Misstrauens und das Verschwenden menschlichen Lebens durch Gewalt, Rassismus und Xenophobie. Und obwohl die Geschichte eine Tragödie ist, deutet ‘West Side Story’ wie alle großen Tragödien, darunter ‘Romeo und Julia’ an, dass Hoffnung aus all der Zerstörung und Verzweiflung erwachsen kann. Dank der Musik und Texte von Bernstein und Sondheim ensteht ein Gefühl, dass es trotz all des Kummers und der Hässlichkeit die Liebe ist, die die Oberhand gewinnen und alles transzendieren kann. Also gebt niemals auf! Deshalb wollte ich diese Geschichte jetzt erzählen. Es geht mehr noch um das Jetzt als um das Damals.”
Die von ihm bzw. Drehbuchschreiber Tony Kushner vorgenommenen Änderungen gegenüber des Original-Musicals oder der alten Filmfassung wirken hierbei allesamt sinnvoll, ob es nun leichte Abweichungen in der Reihenfolge der Lieder sind oder die Figur der puerto-ricanischen Ladenbesitzerin Valentina, die an Stelle von Doc, der hier ihr verstorbener Mann ist, nun den Drugstore führt und für einige sehr tiefsinnige Momente sorgt. Steven Spielbergs “West Side Story” ist eine rundum gelungene Neuauflage, der man ansieht, mit wie viel Liebe und Engagement er und das Team an die Sache heran gegangen sind. Das Ergebnis dankt es ihnen und weiß zu begeistern.
Trailer:
Bewertung: 10 von 10 Punkten