Home Film “Wie im echten Leben” – das Sozialdrama deutet authentisch auf den Riss in der Gesellschaft

“Wie im echten Leben” – das Sozialdrama deutet authentisch auf den Riss in der Gesellschaft

Autor: Mick

"Wie im echten Leben" Filmplakat (© Neue Visionen Filmverleih)

Wie im echten Leben

Darsteller: Juliette Binoche, Léa Carne, Didier Pupin, Hélène Lambert
Regie: Emmanuel Carrère
Dauer: 106 Minuten
FSK: freigegeben ab 6 Jahren
Website: www.neuevisionen.de/de/filme/wie-im-echten-leben-118
Facebook: facebook.com/neuevisionenfilmverleihgmbh


Frankreich, nach Griechenland eigentlich das einzige westliche Land, das mit seinen Gelbwestenprotesten nachdrücklich gegen soziale Ungerechtigkeit aufbegehrt hat, zeigt sich auch im Kino äußerst sensibel für diese Problematik und bringt immer wieder Beiträge zu diesem Thema auch auf die große Leinwand. Hier engagiert sich niemand geringeres als Juliette Binoche für die Belange aller Abgehängten und verwirklicht mit ihrer Mitarbeit an „Wie im echten Leben“ ein Herzensprojekt, mit dem sie schon lange die Verfilmung von Florence Aubenas‘ 2010 erschienenem Buch verfolgte, in dem diese ihre Rechercheergebnisse in der Welt prekärer Arbeitsverhältnisse zusammenfasste. Erst jetzt kommt also unter der Regie des von der Autorin geforderten Emmanuel Carrère, der auch gleich das Drehbuch mit verfasst hat, das berührende Sozialdrama in die Kinos, bei dem der Name definitiv Programm ist.

Denn echter als das Leben der Putzkräfte in Ouistreham, so auch der Originaltitel des Films, dem Industriehafen des nordfranzösischen Caen könnte es nicht sein. Ganz anders als die Schriftstellerin Marianne (Juliette Binoche) rackern die sich nämlich jede zur Verfügung stehende Minute ab, um nur irgendwie über die Runden zu kommen. Genau das aber will Marianne auch, die sich von ihrem eigentlichen, komfortablen Mittelschichts-Alltag in Paris verabschiedet und sich beim Arbeitsamt im rauen Caen als verlassene, ungelernte Frau meldet. Und schon steckt sie drin in den gnadenlosen Mühlen des Prekariats, ist das Jobangebot für sie als Mittfünfzigerin sehr übersichtlich und findet sie sich schnell als Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt in der knallharten Reinigungsbranche inklusive wenig lehrreicher Fortbildungen wieder.

Dass uns Regisseur Carrère über ihre tatsächliche Identität anfangs im Unklaren lässt, hat durchaus seine Berechtigung, kriegen wir doch so die volle Breitseite an Verzweiflung eines vom Leben plötzlich ausgespuckten Menschen zu spüren und sehen mit Schrecken, wie schnell und unverschuldet man am untersten Rand der Gesellschaft ankommen kann. Und doch ahnt man schon da, dass Marianne, von Juliette Binoche unheimlich sensibel gespielt, von ihrer Bildung und Erziehung her da irgendwie nicht hingehört, da kann sie der Sachbearbeiterin ihre Geschichte noch so glaubwürdig schildern.

"Wie im echten Leben" Szenenbild (© Neue Visionen Filmverleih)

Die beiden Arbeitskolleginnen Christele(Hélène Lambert) und Marianne (Juliette Binoche) gönnen sich wertvolle freie Stunden am Meer.
(© Neue Visionen Filmverleih)

Das Gefühl trügt uns nicht, denn Marianne ist schließlich nur die Filmfigur der Journalistin Aubenas, die sich für die Recherche zum zugrundeliegenden Buch ähnlich wie bei uns damals Günter Wallraff nach „Ganz Unten“ in den Arbeitsmarkt begab. Sind wir aber erstmal im Bilde, ist Binoches Vorstellung als verlassene Ehefrau Marianne dermaßen authentisch, dass man es auch ihren Arbeitskolleginnen gar nicht übelnehmen kann, wenn sie ihr Doppelleben nicht im Entferntesten erahnen. Die, allen voran die junge Marilou (Léa Carne) und die alleinerziehende Christèle (Hélène Lambert), brauchen zwar eine gewisse Zeit, um mit der andersartigen Neuen warm zu werden, dann jedoch ist ihre Beziehung umso herzlicher, sind sie doch alle in der gleichen Situation gefangen.

Carrère zeigt uns ihren Alltag ungeschönt, lässt uns die Putzkolonne auf ihren auszehrenden Nachtschichten begleiten, während denen sie sämtliche Hinterlassenschaften der Fährpassagiere auf dem Schiff beseitigen müssen und dabei regelmäßig an die Grenze ihrer Belastbarkeit geraten, nur um am nächsten Tag wieder von vorne zu beginnen. Trotzdem verzweifeln sie nicht, richten sich viel mehr aneinander auf und begründen Freundschaften unter Benachteiligten, die nahezu durch nichts zu erschüttern sind.

Das alles transportiert Carrère ungeheuer glaubwürdig, bringt mit seiner Schar von Laiendarstellern, die an der Seite der großartigen Juliette Binoche mehr oder weniger sich selbst spielen, eine echte Herzlichkeit in seinen Film, die trotz aller Anklage Mut macht. Obwohl die Dramatik der vorauszusehenden Enttarnung wenig überrascht, die selbst Marianne in Selbstzweifel stürzt, überzeugt das Drama vor allem durch seine Warmherzigkeit. Dabei verweist es gekonnt auf die Spaltung unserer Gesellschaft, die letztendlich auch Marianne und ihre neuen Freundinnen nicht überwinden können, und wirft so einen wichtigen Blick auf prekäre Lebensverhältnisse, die sonst gerne ausgeblendet werden.

Trailer:

Bewertung: 8 von 10 Punkten

 

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