Wie wilde Tiere
Darsteller: Denis Ménochet, Luis Zahera, Diego Anido, Marina Foïs
Regie: Rodrigo Sorogoyen
Dauer: 137 Minuten
FSK: freigegeben ab 16 Jahren
Website: prokino.de/movies/details/WIE_WILDE_TIERE
Facebook: facebook.com/Prokino
Kinostart: 7. Dezember 2023
Dass Rodrigo Sorogoyens („Macht des Geldes“) intensives Drama „Wie wilde Tiere“ bei der diesjährigen Verleihung der spanischen Filmpreise ganze neun Goyas abräumte, kann kaum verwundern, so beeindruckend ist dem Regisseur sein neues Werk gelungen, in dem er ein breites Spektrum von Themen unterbringt, das von Ökologie über Globalisierung bis zu Fremdenhass reicht. Und damit überfrachtet er seinen Film keineswegs, sondern integriert all diese großen Fragen in eine Auseinandersetzung innerhalb des Mikrokosmos einer kleinen Dorfgemeinschaft, die er nervenaufreibend langsam eskalieren lässt.
Dabei könnte alles so schön sein im kleinen galizischen Bergdörfchen, in dem der Franzose Antoine (Denis Ménochet) seine neue Heimat gefunden zu haben scheint. Mit seiner Frau Olga (Marina Foïs) lebt er den Traum des Aussteigerdaseins, bewirtschaftet mit ihr einen kleinen Bio-Gemüsehof und renoviert nebenbei ehrenamtlich die verfallenen Häuser der Nachbarschaft, um die wunderschöne Gegend langsam zu einer nachhaltigen Tourismusregion umzugestalten. Das Geschäft läuft gut, und auf dem Markt muss er wegen der herausragenden Qualität seiner Erzeugnisse sogar schon Vorbestellungen aufnehmen.
Doch in der Dorfkneipe – traditionsgemäß das Herz einer jeden Gemeinde –, in der sich regelmäßig die Einheimischen zum reichlich alkoholgeschwängerten Austausch über ihre Alltagsprobleme treffen, ist von der eingangs geschilderten Idylle nur noch wenig zu spüren. Wie als würde er einen Schalter umlegen, kreiert Sorogoyen hier im schummrigen Licht eine ungemein beklemmende Atmosphäre, in der sich Antoine schnell im Fokus der Anfeindungen des Wortführers Xan (Luis Zahera) sieht. Der schwingt sich mit selten gesehener Aggressivität, die stets nur eine Haaresbreite vom körperlichen Angriff entfernt scheint, zum Sprachrohr der Bergbauern auf, die allesamt schon bessere Zeiten gesehen haben. Doch warum er sich ausgerechnet den „Franzosen“ als Sündenbock für ihre wirtschaftliche Lage ausgesucht hat, will einem nicht so recht einleuchten. Angesichts des offensichtlichen Bildungsunterschieds vermuten wir Fremdenhass als naheliegende Erklärung, der ja immer dann ins Spiel kommt, wenn Machtlosigkeit keine andere Lösung zulässt.
Aber so einfach macht es uns der sich langsam zu einem wahren Psycho-Thriller wandelnde Streifen nicht, der tatsächlich auf einem wahren Fall beruht und uns Stück für Stück Xans eigentliche Motive offenbart. Die Gemeinschaft nämlich sieht den Ausweg aus ihrer Perspektivlosigkeit im einträglichen Verkauf von Teilen ihres Landes an eine Windparkgesellschaft, die der erst vor kurzem zugereiste, aufgeklärte Antoine mit seinem Veto allerdings schon geraume Zeit blockiert. Der sieht dadurch nicht nur die Landschaft gefährdet sondern die eigentlichen Profiteure fernab Galiziens beim Betreiber der Windräder. Das ist für uns und Antoine nachvollziehbar, macht jedoch die prekäre Situation der Einheimischen kurzfristig nicht besser, die nicht wissen, wie sie das Futter für ihr Vieh bezahlen sollen.
Als wir bei einem klärenden Tresengespräch aber einen Blick auf Xans Lage werfen können, steckt der Karren längst so tief im Dreck, dass Antoine einen letzten Ausweg in der direkten Konfrontation sucht. Vorher hat Sorogoyen die latent über der Beziehung von Antoine und seinem Nachbarn Xan schwebende Feindseligkeit längst eskalieren lassen und die Schraube der Gewalt langsam effektvoll angezogen. Sind es zunächst leere Flaschen und bepinkelte Stuhlauflagen auf Antoines Veranda, so sind es bald existenzbedrohende Autobatterien in seinem Bewässerungsbrunnen, die seine Ernte vernichten und ihm ohnmächtig den Aufenthalt im Dorf vergällen. Beweise für die Urheber der hinterhältigen Aktionen sind schwer zu erbringen, doch liegt die Vermutung nahe, dass Xan und sein geistig eingeschränkter Bruder Lorenzo (Diego Anido) als willfähriger Handlanger ihre Hände im Spiel haben, die dann auch in blankem Hass vor direkter Bedrohung nicht zurückschrecken.
Es ist vor allem die von Sorogoyen mit der ersten Kneipenszene aufgebaute enorme Spannung, die uns hineinzieht in das vielschichtige Drama und bis zum Ende fast unerträglich wird. Von Anfang an das Schlimmste befürchtend, tauchen wir ein in die von den großartigen Schauspieler:innen vermittelte, verfahrene Auseinandersetzung, bei der sich die Alteingesessenen in ihrer Not holen wollen, was ihnen ihrer Meinung nach zusteht. Dass sie dabei bereit sind „wie wilde Tiere“ bis zum Äußersten zu gehen und darüber ihre Menschlichkeit vergessen, gibt nicht nur zusätzliche Denkanstöße, sondern lässt uns bei der Suche nach Lösungen auch noch ohnmächtig zurück. Dass uns der Film mit seiner ungeheuren Intensität so ungemein mitnimmt, sorgt für ein beklemmendes Kinoerlebnis, das eine langanhaltende Nachdenklichkeit zur Folge hat.
Trailer:
Bewertung: 9 von 10 Punkten