Boytronic
Jewel
(CD, Oblivion, 2017)
Lang, lang ist es her, dass Boytronic mit ihrer Musik Fans von Synthiepop aufhorchen ließen. 1983 war es, als ihre Debütsingle “You” Platz 10 der deutschen Charts erreichte und sich in deren Sog auch das Album “The Working Model” einigermaßen gut verkaufte. Das war es dann aber auch schon mit Erfolgen, auch wenn bis 1992 weitere Alben und auch einige Singles folgten – wobei nicht immer Boytronic drin war, wo es drauf stand. Auf Grund von Streitigkeiten mit dem Label waren die Bandgründer Holger Wobker und Peter Sawatzki irgendwann schon gar nicht mehr dabei und das Label suchte andere Musiker zusammen, um den Bandnamen weiter zu nutzen.
Damit war 1992 erst einmal Schluss, und Holger Wobker hatte sie komplett ausgeklinkt, ging für einige Jahre in ein Kloster nach Asien. Dort fand er zu sich selbst und nach seiner Rückkehr auch wieder zur Musik. Mit Peter Sawatzki wollte er wieder aktiv werden, tragischerweise aber erkrankte dieser an Krebs und nahm sich 1998 das Leben. Es dauerte weitere vier Jahre, bis mit “Autotunes” ein Comeback-Album vorlag. Hayo Lewerentz, einer der zuletzt unter Boytronic aktiven Musiker, hatte Holger Wobker zurück in die Band geholt. Da der Erfolg sich stark in Grenzen hielt, bediente man sich aus dem Archiv und die ersten beiden Alben wurden 2003 und 2005 neu aufgelegt, überarbeitet und mit Bonustracks versehen. Auch beim 2004er-Doppelalbum “Maxi” mit allen Maxi-Versionen der 80er-Jahre und ein paar neuen Stücken wurde größtenteils Recycling betrieben. Hayo verließ die Band wieder, und mit zwei neuen Mitgliedern zusammen nahm Holger 2006 das Album “Dependance” auf, welches kaum beachtet wurde. Boytronic lösten sich auf und schienen nun endgültig Geschichte zu sein.
Wir schreiben das Jahr 2017 – und siehe da, ein neues Boytronic-Album liegt auf dem Tisch. Auf den 57 Minuten von “Jewel” findet man jedoch elf Stücke, die alles andere sind als Juwelen. Boytronic klingen, als hätte man sie 1983 mitsamt ihrer damaligen technischen Möglichkeiten eingefroren und nun aus Versehen wieder aufgetaut. Aber Moment mal, wer ist denn überhaupt gerade als Boytronic aktiv? Hier geht es zu wie beim Dschungelcamp, und Holger Wobker – du bist es nicht. Hayo Lewerentz hat die Band zusammen mit Ingo Hauss und dem britischen Sänger James Knights reanimiert. Lewerentz: “Genaugenommen waren wir eh noch nie eine feste Band im traditionellen Sinne, sondern mehr ein Projekt mit Musikern, die für gezielte Aktionen zusammenkommen. Da unser bisheriger Sänger Holger derzeit nicht zur Verfügung steht und wir mit James den idealen Nachfolger gefunden haben, war die perfekte Konstellation für das neue Projekt gefunden.” Na ja, Boytronic waren einst mit Holger und Peter schon eine Band…
Der Sound der CD schockt umso mehr, wenn man bedenkt, dass Lewerentz als Inhaber des Labels Major Records durchaus moderne Klänge mit Nitzer Ebb oder IAMX veröffentlichte, und wenn er in den Presseinformationen zum neuen Album zitiert wird mit: “Als Musiker und Label-Manager habe ich mich immer schon für ganz unterschiedliche Bands wie etwa Chemical Brothers, Underworld oder auch das House/Dubstep-Duo Knife Party interessiert. Ingo und ich waren noch nie reine Depeche Mode-Devotees, sondern künstlerisch deutlich vielseitiger orientiert.”
Ob “Time After Midnight”, das langweilige “The Universe”, das mit Oktavenbass und völlig altbackenen Elektro-Zwirblern versehene “Mad Love”, das etwas EBM-lastiger anberaumte “Share” oder die Ballade “Jewel” – die Stücke klingen so retro, dass es keine Freude mehr macht, denn inzwischen klingt guter Synthiepop halt völlig anders. Wenn wenigstens gute Melodien oder Texte zu vermelden wären, dann würden wir das ja gerne tun – so ist es aber nicht, das klingt alles wie schon hundert Mal gehört, und zwar weit besser.
Erst an “Free Love” als achtem Song findet man etwas Gefallen, das klingt wie solider Synthiepop, wenn auch alter Prägung. “Big Hands For The Dreamers” besitzt ebenfalls seinen Reiz, bevor “Disco City” dann jegliche aufkommende Verwunderung über passable Nummern wieder betäubt. Die meisten Stücke sind, wie auch die U2-Coverversion “New Year’s Day” zum Abschluss, völlig überflüssig im heutigen Musikkosmos. Vielleicht sollte das Projekt Boytronic einfach mal enden, weitere Experimente benötigt hier wohl niemand.
www.boytronic.de
facebook.com/boytronicmusic
Bewertung: 2 von 10 Punkten