Heinz Rudolf Kunze
“Können vor Lachen”
(CD, Meadow Lake Music, 2023)
Wenn Heinz Rudolf Kunze am 26. Mai 2023 “Können vor Lachen” veröffentlicht, dann handelt es sich hierbei bereits um sein sage und schreibe 30. Studioalbum – und doch zeigt der für seine intelligenten Texte bekannte Rockpoet keine Abnutzungserscheinungen. Im Gegenteil, in den letzten Jahren gelang es ihm, mit “Deutschland” (2016), “Schöne Grüße vom Schicksal” (2018) und “Der Wahrheit die Ehre” (2020, lies unsere Rezension hier) nach längerer Zeit mit für seine Verhältnisse mittelmäßigeren Scheiben wieder komplett überzeugende Werke abzuliefern.
Mit diesen drei Alben untermauerte der Deutsch-Pop-Rock-Liedermacher seine Klasse und Wichtigkeit als politischer, kritischer Poet in unserer musikalischen Landschaft, die er nach wie vor bereichert – und “Der Wahrheit die Ehre” bescherte ihm dann auch tatsächlich einen großartigen Rang 3 der Albumcharts und damit die höchste Platzierung seiner langen Karriere.
Und das war längst nicht alles in naher Vergangenheit. Nachdem Kunze sein 40-jähriges Bühnenjubiläum pandemiebedingt zunächst nicht groß mit seinen zahlreichen Fans feiern konnte und seine große Jubiläumstour auf 2022 verschoben werden musste, ließ er dem Ende 2020 veröffentlichten Livemitschnitt “Wie der Name schon sagt – Solo live” (lies unsere Rezension hier) ein ganz besonderes 29. Studioalbum folgen. Mit der Zusammenstellung “Werdegang” blickte Kunze auf seine Karriere zurück, aber nicht einfach als schnödes “Best Of”, sondern mit sehr interessanten Neuinterpretationen von 23 Liedern plus einer Neukomposition (lies unsere Rezension hier). Und da die Jubiläumstour dann endlich nachgeholt werden konnte, dokumentierte er diese auf seinem elften Live-Album “Auf frischer Tat ertappt – Das Jubiläum live”.
Nun ist es wieder Zeit für neue Songs, und auf den 57 Minuten von “Können vor Lachen” bietet Heinz Rudolf Kunze gleich 14 von ihnen, was sehr angenehm ist in Zeiten, in denen das Album-Format für KünstlerInnen immer unwichtiger zu werden scheint und Longplayer oftmals weniger als 40 Minuten aufbieten. Aber nicht mit Kunze – und er hat ja auch immer noch genug zu sagen, auch wenn er sich wünscht, dass er manchmal gerne mehr Ruhe im Kopf hätte, statt unendlich vieler Songideen, die niedergeschrieben werden wollen.
Mit dem trotz einer späteren E-Gitarren-Linie eher poppig angerichteten “Halt das Herz an” lieferte er im April einen ersten Appetitmacher, und die schwungvolle Nummer bohrte sich eingängig in Ohr und Herz, von Liebe, Wärme und Zuversicht schwärmend.
Ganz konträr hierzu keineswegs von Leichtigkeit getragen widmete Kunze sich dann mit dem eindringlichen “Igor” dem furchtbaren Ukraine-Russland-Konflikt und bot ein trübsinnig stimmendes Anti-Kriegs-Lied als zweiten Vorboten. Kunze erklärt: “In der Zeitung gab es Bilder die mich nachhaltig schockiert haben. Unter anderem ein Bild von einem jungen, russischen Soldaten, der in Kiew vor Gericht stand. Er hatte einen älteren, ukrainischen Mann erschossen. Dessen Leben ist aufgrund dieser Tat mit 21 vorbei. Das Thema der jungen Soldaten, die von Politikern in den Krieg geschickt werden hat mich so gepackt, dass mir direkt ein Text dazu einfiel. Und der Gedanke über diesen jungen Mann ließ mich nicht los. Ich nannte ihn Igor.”
Politisches Gehalt, Gesellschaftskritik, tiefsinnige Worte – auch dafür ist Kunze bekannt, auch dafür lieben ihn die Fans, und doch ist die neue Scheibe mehr vom eigenen Leben geprägt. “Ich widme meine Songs immer allen Menschen, aber natürlich hat das Album auch viel Persönliches. Das ist vor allem der aktuellen Zeit geschuldet”, so Kunze. “Können vor Lachen” sei etwas wie die Hin und Her-Bewegung einer Schildkröte, die den Kopf ab und zu mal wieder skeptisch aus dem Panzer steckt und fragt: “Ist es immer noch so schlimm? Ja, es ist immer noch so schlimm”, und den Kopf dann wieder einzieht. “Da verschwindet man manchmal lieber im Privaten, wo alles in Ordnung ist.”
Mit dem um in den heutigen bewegten Zeiten umso wichtigere Geborgenheit bittenden, aber auch zum Erkennen von Anzeichen des Bösen aufrufenden “Halt mich fest” wird das neue Album direkt packend eröffnet, von Streichern bereichert, ansonsten aber rockig aufrüttelnd. “Mehr als sonst brauchen wir in dieser Zeit einen Rückzugsort, einen Menschen, der einen umarmt und an den man sich anlehnen kann”, erklärt Kunze.
Der geradlinig und doch auch gemütlich rockende Titelsong “Können vor Lachen” verarbeitet die alte Tugend, die ihm als Lehrersohn schon früh mitgegeben wurde: Erst kommt die Arbeit, dann das Vergnügen. “Der Titel entstand ganz unspektakulär auf einer Autofahrt in Düsseldorf, als ich an einem Plakat mit genau diesem Spruch vorbeifuhr. Es war wie eine Offenbarung.”
Einige schöne, gute Liebeslieder sind zu hören, mit “Du tust mir gut”, mit dem im Midtempo gehaltenen, von Piano eingeleiteten “Immer nur um dich” und später dem flotten Folk-Rock-Song “Liebes Lied”. “‘Liebes Lied’ ist ein Gebirge von Bekenntnissen für eine geliebte Person und am Ende sagt man “warte doch mal, ich fang ja gerade erst an!'”, erklärt Kunze. “Natürlich widme ich Liebeslieder immer meiner Frau, aber auch allen anderen Paaren auf dieser Welt, egal ob alt, jung, gleichgeschlechtlich liebend oder hetero.”
Mit “Die furchtbaren herrlichen Jahre” blickt Kunze auf seine Karriere zurück, demütig und dankbar. “Der Beruf des Künstlers ist zerreißend und emotional und trotzdem ist es ein Lebensweg, den ich nicht missen möchte. Man zahlt aber auch einen hohen Preis: Phobien, Existenz- und andere Ängste und Sorgen, die sich (wie in meinem Fall) manchmal bis hin zu Panikattacken auftürmen. Ich habe diese Panikattacken immer für den Preis meiner unendlichen Fantasie gehalten, denn die spielt manchmal eben auch gegen einen Golf.” Offen und verletzlich passt die schöne Midtempo-Ballade “Klar hab ich geweint” bestens hierzu – und an Tränen gibt es schließlich nichts Peinliches.
Mit “Trostlosigkeitsallee” bietet Kunze eine Hommage an Bob Dylans “Desolation Row”, wenn er gescheiterte Existenzen, bekannte Künstler, Dichter, Denker und Verrückte aufeinandertreffen lässt, die in diesem Song mal alle zusammen in einer Straße wohnen.
Hin und wieder aber blickt die Schildkröte dann doch aus ihrem Panzer in die momentane Welt. “Kein Zeitgefühl” bemängelt ein Vergessen von Geistern der Vergangenheit, “Der Irrsinn hat System” ist eine provokante Aufforderung, aus der eigenen Bequemlichkeit in Bewegung und ins Gespräch zu kommen, wobei “Lass uns tun was geht” mit Groove aber auch versöhnlich zu Verstehen gibt, dass man anstatt zu verbittern einfach im Rahmen der eigenen Möglichkeiten aktiv werden sollte.
Mit “Leuchtturm” schließt ein düster und mit Synthieklängen zu rockigen Riffs sphärisch voran kriechendes, hinten raus mächtig progressives Stück über einen Leuchttum-Wärter, der schon längst eigentlich nicht mehr benötigt weiter tapfer seine Lebensaufgabe erfüllt, eine weitere gute, erneut abwechslungsreiche und mit vielen ansprechenden Songs gespickte Scheibe des Altmeisters ab.
Natürlich ist Heinz Rudolf Kunze auch mit dem neuen Album wieder live zu sehen, und zwar Anfang 2024 – aber auch vorher spielt er noch einige Gigs. Tickets gibt es z.B. hier bei Eventim (Partnerlink).
www.heinzrudolfkunze.de
facebook.com/heinzrudolfkunze
Bewertung: 8 von 10 Punkten
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