Jean-Michel Jarre
“Planet Jarre”
(2CD, Sony Music, 2018)
Etwas jüngere Semester – und hiermit meine ich nicht nur die Kids, sondern auch Menschen unterhalb geschätzt 35 Jahren – kannten Jean-Michel Jarre bis zum Jahr 2015 oft gar nicht … und bei vielen hat sich dies auch dann nicht geändert. Der Franzose ist zwar eine der wichtigsten und einflussreichen Persönlichkeiten der elektronischen Musik, große Erfolge allerdings lagen bis zu diesem Zeitpunkt auch schon lange zurück.
Sein Durchbruch gelang Jarre 1976 mit der Veröffentlichung seines legendären Albums “Oxygene”. Dessen Machart war richtungsweisend für elektronische Musik riss Kompositionslehren und Produktionsdogmen der Vergangenheit nieder, zusammen mit Nachfolgern wie “Equinoxe”, “Magnetic Fields”, “Rendez-Vous” oder “Chronology”. Mit über 80 Millionen weltweit verkauften Alben gehört Jean-Michel Jarre zu den erfolgreichsten Musikern der Geschichte, wird von DJs und Musikern aus der Szene immer wieder als wichtiger Einfluss und Impulsgeber genannt.
Bahnbrechend waren damals aber nicht nur seine Scheiben, sondern vor allem auch seine Live-Shows und gigantischen Site-Specific-Performances. Mit seinen Konzerten an spektakulären Orten trug sich Jarre gleich mehrfach ins Guinness-Buch der Rekorde ein. Als erster Popstar des Westens wurde er 1981 eingeladen, im Post-Maoistischen China zu spielen. Andere denkwürdige Konzerte fanden zum Milleniumswende vor der Kulisse der Pyramiden von Gizeh, in der Sahara (2006) und vor dem Eiffelturm (1995) statt. Und nicht zuletzt hält Jean-Michel Jarre bis heute den Weltrekord an Konzertbesuchern — in Moskau spielte er 1997 vor über 3,5 Millionen Zuschauern.
2015 dann lieferte Jarre ein Comeback und veröffentlichte nach 15 Jahren, in denen er lediglich den Flop “Téo & Téa” 2007 erschaffen hatte, das erste Album seines “Electronica”-Zweiteilers. Auf diesem bot er größtenteils Kollaborationen, zu denen er Künstler ganz unterschiedlicher Genres ins Studio gebeten hatte und mit denen er die Geschichte der elektronischen Musik neu erzählen wollte – hier dann auch nicht mehr nur instrumental wie früher fast ausschließlich. Der zweiten Longplayer gleichen Konzepts folgte 2016. Ob Air, Pet Shop Boys, Cindy Lauper, Primal Scream, Vince Clarke (Depeche Mode, Erasure), Edgar Froese von Tangerine Dream, Gary Numan, Yello, Moby, die Filmkomponisten Hans Zimmer und John Carpenter, Pete Townshend von The Who, Pianist Lang Lang oder Produzenten wie 3D von Massive Attack oder Armin van Buuren – sie alle kamen gerne. Das Ergebnis überzeugte und brachte Jean-Michel Jarre zurück in die Top Ten, und das nicht nur in seiner französischen Heimat, sondern u.a. auch bei uns und in Großbritannien.
2018 nun blickt Jean-Michel Jarre mit “Planet Jarre” auf – der Untertitel verrät es – “50 Years Of Music” zurück. Aus 50 Jahren musikalischen Schaffens hat die Elektro-Legende 41 Tracks erwählt, diese mit modernen Mitteln remastered und in vier Rubriken eingeteilt: “Soundscapes”, “Themes”, “Sequences” und “Explorations & Early Works”.
Auf den mehr als 82 (!!!) Minuten von CD 1 findet man die ersten beiden Oberthemen, fast schon symmetrisch in jeweils 41 Minuten unterteilt. Die “Soundscapes” lassen den Hörer schweben, nehmen ihn mit in elektronische Sphären, sind ein optimaler Soundtrack für Träumereien, Sternenhimmel-Genüsse oder epische Momente. Natürlich dürfen hier gut bekannte Klangwelten aus seinem Meilenstein “Oxygene” nicht fehlen, daher eröffnet “Oxygene 1” die Zusammenstellung, direkt gefolgt von “Oxygene 19” aus dem 2016er-Album “Oxygene 3”. Ob ältere Stücke wie “Rendez-Vous 1”, “Chronology 1” und “Equinoxe 2” oder auch aktuellere Töne wie “The Heart of Noise (Origin)” – diese “Soundscapes” nehmen einen gefangen, wenn man sich die Zeit nimmt und auf sie einlässt.
Unter den “Themes” findet man die bekanntesten Stücke von Jarre, und hier geht es auch weit rhythmischer zu, bis hin zu gut tanzbaren Stücken. Zu den noch bestens im Ohr befindlichen Tracks zählt die erste Nummer “Industrial Revolution Part 2” aus dem 1988er-Album “Revolutions” zwar noch nicht, aber in jedem Fall legendäre Instrumentalstücke wie “Oxygene 2”, “Oxygene 4”, “Equinoxe 4”, “Equinoxe 5”, “Magnetic Fields 2” und “Rendez-Vous 4”. Die “Themes” sind ein Genuss, vor allem unter dem Kopfhörer, wo die klangliche Genialität von Jarre ihre Schönheit besonders entfalten kann, hat er als Soundtüftler doch jeden Ton bewusst gesetzt und nutzt hiermit auch Stereo-Möglichkeiten bestens aus. In 5.1-Sound, in dem 12 Tracks als Download im Boxset und der Vinyl-Ausgabe enthalten sind, ist das Ganze sicher noch umwerfender, aber auch in Stereo herausragend.
Die ebenfalls prall gefüllte CD 2 bietet auf ihren 80 Minuten erneut eine saubere Halbierung. “Sequences” startet mit dem brandaktuellen “Coachella Opening”, entstanden als Eröffnungstitel seines Debüts beim renommierten Coachella Festival, wo Jarre im April dieses Jahres die Fans zu begeistern wusste. In dieser Rubrik sind nun auch einige seiner “Electronica”-Kollaborationen zu finden, wie das starke “Automatic Part 1” mit Vince Clarke, das clubtaugliche “Stardust” mit Armin van Buuren oder auch das Aufsehen erregende “Exit” mit Spoken Words von Edward Snowden. Klassiker wie “Equinoxe 7” oder “Oxygene 8” sind ebenfalls vertreten.
Mit “Explorations & Early Works” geht es der Benennung entsprechend in Raritäten und seine Anfänge. Hier findet man z.B. “Hypnose” als eines von Jarres allerersten Stücken überhaupt, welches er Ende der 60er-Jahre komponierte, nachdem er sein Studium der Harmonielehre und kontrapunktischen Musiktheorie beendet hatte. Auch “Souvenir of China” ist eine große Erinnerung, komponiert auf dem Rückweg von seinen ersten Konzerten in China in den frühen 80er-Jahren. Jarre selbst beschreibt das Stück als hörbare Diashow seiner Erlebnisse dort. Dieses letzte Viertel der Sammlung ist – z.B. bei dem düsteren “Erosmachine” oder dem verstörenden “Happiness is a Sad Song” – nicht immer leicht zugänglich, gehört aber natürlich auch zu Jarres musikalischer Geschichte.
Diese wird hier entsprechend gewürdigt – ein gut zusammen gestellter Überblick über das Schaffen des Elektro-Genies. Einziger Kritikpunkt ist, dass die Tracks, die im Original ja bei den instrumentalen Alben gerne ineinainder übergingen, hier nicht immer optimal beendet werden, da hätte der Großmeister sauberer und weniger abrupt ausblenden oder abschließen können als bei “Equinoxe 2” oder “Bells”. Ansonsten aber wieder ein Audio-Genuss.
Neben der Doppel-CD im Digipack erscheint “Planet Jarre” auch als Vierfach-Vinyl-Ausgabe (180g) im Gatefold Buch mit 5.1 Download-Code, außerdem als Boxset mit dem Digipack und zwei Musik-Kassetten sowie 5.1 Download-Code, und natürlich digital. Hier die gesamte Tracklist:
“Soundscapes”
01 Oxygene 1
02 Oxygene 19
03 Rendez-Vous 1
04 Millions of Stars
05 Chronology 1
06 Oxygene 20
07 Equinoxe 2
08 Waiting for Cousteau
09 The Heart of Noise (Origin)
“Themes”
01 Industrial Revolution Part 2
02 Oxygene 4
03 Equinoxe 5
04 Oxygene 2
05 Zoolookologie
06 Bells
07 Equinoxe 4
08 Magnetic Field 2
09 Rendez-Vous 2 (Laser Harp)
10 Rendez-Vous 4
11 Chronology 4
“Sequences”
01 Coachella Opening
02 Arpeggiator
03 Automatic Part 1 with Vince Clarke
04 Exit with Edward Snowden
05 Equinoxe 7
06 Oxygene 8
07 Stardust with Armin van Buuren
08 Herbalizer
09 Revolutions
“Explorations & Early Works”
01 Ethnicolor
02 Souvenir of China
03 Blah Blah Café
04 Music for Supermarkets (Demo Excerpt)
05 Roseland / Le Pays de Rose
06 La Cage
07 Erosmachine
08 Hypnose
09 The Song of the Burnt Barns / La Chanson des Granges Brulees
10 Happiness is a Sad Song
11 Aor Bleu
12 Last Rendez-Vous
www.jeanmicheljarre.com
facebook.com/jeanmichelJARRE
Bewertung: 9 von 10 Punkten
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